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Gedruckt mit Genehmigung der philosophischen Fakultät der
Universität Tübingen.
Referent: Professor Dr. Voretzsch.
25. Juli 1908.
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Meinen Eltern.
Lebenslauf.
Geboren bin ich, Richard Schuster, am 6. Januar 1884
in Heilbronn, als Sohn des jetzigen Stationsverwalters Schuster
in Dusslingen O.-A. Tübingen. Ich besuchte die Friedrich-
Eugenrealschule in Stuttgart und die Oberrealschule in Reut-
lingen. An dieser erlangte ich 1902 das Zeugnis der Reife,
1904 erhielt ich durch eine Ergänzungsprüfung im Lateinischen
das Reifezeugnis eines württembergischen Realgymnasiums. Von
1902--1907 studierte ich neuere Sprachen und Geschichte haupt-
sächlich an der Universität Tübingen. Im Sommersemester 1903
besuchte ich die technische Hochschule in Stuttgart. Ausserdem
hielt ich mich vom Sommer 1905 ab 10 Monate in Frankreich
auf, ich studierte in Besancon und Paris und war zwischen-
durch (vom November 1905 bis März 1906) assistant allemand
am Iyc&e Chanzy in Charleville. Von Juni bis September 1906
war ich in London und kehrte dann nach Tübingen zurück, wo
ich die zwei folgenden Semester blieb. Im Oktober 1907 be-
stand ich die erste Dienstprüfung für das realistische Lehramt
sprachlich-geschichtlicher Richtung und war bis nach Ablegung
der zweiten Dienstprüfung, Herbst 1908, an der Oberrealschule
in Heilbronn verwendet. Zur Zeit genüge ich meiner Militär-
pflicht im Hohenzollernschen Fussartillerie-Regiment Nr. 13. in
Ulm a.D.
Meine Lehrer waren die Professoren v. Below, Bohnen-
berger, Busch, v. Fischer, Franz, Jakob, Pfau, Sapper,
T Sigwart und Voretzsch (Tübingen); F Koller, f Weit-
brecht (Stuttgart).
Ihnen allen sage ich herzlichen Dank, insbesondere Herrn
Professor Dr. Voretzsch. Er hat auf mein Studium grossen
Einfluss gehabt und ist allezeit ein gütiger Förderer desselben
gewesen, auch hat er mich auf vorliegendes Thema hingewiesen
und mich während der Ausarbeitung jederzeit aufs freundlichste
mit Rat und Tat unterstützt.
Vorwort.
In der vorliegenden Abhandlung: „Griselidis in der fran-
zösischen Literatur“ habe ich sämtliches auffindbare Material
über die Verbreitung des Griselidisstoffes in Frankreich ver-
arbeitet. Den Stoff habe ich im allgemeinen innerhalb der
einzelnen Gattungen chronologisch angeordnet. Bei den Prosa-
bearbeitungen habe ich den französischen Übersetzungen der
Petrarkaschen Griselidis, den Drucken aus dem Anfang des
16. Jahrhunderts einen verhältnismässig grossen Raum für die
Besprechung gegönnt. Dies lässt sich mit der Seltenheit der
Drucke rechtfertigen, sowie auch damit, dass die von Köhler
angekündigte nähere Besprechung dieser Drucke nicht zur
Ausführung gelangt ist.
Den fünf deutschen Verserzählungen stehen nur zwei
französische gegenüber; von diesen verdient die Arbeit Imberts
im Vergleich zu jener Perraults weitaus den Vorzug.
Von den fünf dramatischen Bearbeitungen hat nur eine
auf der Bühne Erfolg gehabt, die Griselidis von Armand Silvestre
und Eugene Morand. Eine eingehende, allseitige Besprechung
des modernen Mysteres dürfte daher schon von diesem Gesichts-
punkt aus betrachtet als berechtigt erscheinen.
Als bibliographische Unterlage hat dieser Untersuchung
Reinhold Köhlers Griselda-Artikel gedient, wie er sich in R.
Köhlers Kleineren Schriften Bd. 2, S. 501—534 findet.
Die französischen Bearbeitungen sind fast durchweg schwer
zu erreichen, da die verschiedenen Werke sich wieder auf ganz
verschiedenen Bibliotheken befinden. Dem Auskunftsbureau
der deutschen Bibliotheken in Berlin W. 64, Behrenstrasse 70,
bin ich für die stets bereitwillig erteilten Büchernachweise zu
grossem Dank verpflichtet. Auf den befragten grösseren Bib-
liotheken hat sich jedoch die Comedie der Madame de Sain-
tonge nicht nachweisen lassen, sie ist daher auf die ofllizielle
Suchliste gesetzt worden, ohne dass bis jetzt ein positiver Erfolg
erzielt wurde. I
Vorwort .
I. Die
II. Die
‘Inhaltsangabe.
ältesten Bearbeitungen des Stoffes vom Mittelalter
bis zur Renaissancezeit .
BoccacciosGriselidis und Petrarkas Verhältnis z zu dieser
Übersicht über die Griselidisliteratur .
Ursprung und Geschichte des Stoffes
Die älteste Bearbeitung in französischer Sprache:
Histoire von 1315
Notiz über eine Bemerkung; am Schluss der Hand-
schrift. Spons Miscellanea eruditae antiquitatis. Die
lateinische Inschrift betreffend die Nymphae Griselicae
aus dem dritten Jahrhıundert ;
Die Handschriften der Petrarkaübersetzung ind die
französischen Volksbücher des 16. en
Das moderne Volksbuch ;
Die Griselidis des Olivier de la Marche
Verserzählungen der neueren Zeit er
Perraults Novelle. Hervorhebung der Unterschiede
zwischen Perrault und Imbert. De und
Kritik von Imberts Griselidis .
die
III. Die dramatischen Bearbeitungen der neueren Zeit
Allgemeines
Die Griselidis der Madame de Saintonge
Die Com&die gemessen nach dem Massstabe des 18.
Jahrhunderts
La Griselde, tragi- -comedie Alaltenne). en u nctes von
Luigi Riccoboni, dit Lellio .
. Die Ballet-Pantomime von Dumanoir und Mazilier
IV. Die
Anhang:
Griselde ou la fille du peuple, drame en 3 actes, en
vers, von Chr. Ostrowski
Ostrowskis Griselidis. Kritik. Vetgieichung mit Halm
Griselidis von A. Silvestre und E. Morand
Biographie von A. Silvestre
Die Komposition der Griselidis
Die poetische Sprache der Griselidis
Die Quellen des modernen Mysteres
I. Der Reim in Silvestres Griselidis
2. Der lateinische Brief Petrarkas
Seite
I—II
1—38
l— 5
5— 9
9—12
13—14
15—16
16—33
33—35
36—38
39—49
39—49 -
50—87
50—52
52—60
61—63
64—68
69—70
71—80
81—87
88—129
88—91
91—110
111—116
116—129
130— 134
135—142
Digitized „Google
l. Die ältesten Bearbeitungen des Stoffes vom
Mittelalter bis zur Renaissancezeit.
„Griselidis est le plus beau type de la patience ‘et de la
„fdelite conjugales; mais ce type abonde dans la litterature du
„moyen äge et des temps modernes. Chose singuliere, jamais
„la femme n’a ete plus censurde et plus moquee que dans la
„litterature du moyen äge, et jamais non plus elle n’a et& plus
„lou&e et plus glorifide. Cette grande part qu’elle a en bien et
„en mal t@moigne du rang nouveau de la femme dans la societe;
„elle tEmoigne surtout de son independance. Ce qui honore
„Griselidis, c'est que sa soumission est volontaire et devouee.
„I yaeu dans l’antiquite, il ya en Amerique des femmes qui
„ne sont pas mieux traitees que Griselidis, qu’on prend et qu’on
„quitte, & qui on arrache leurs enfants; mais ce sont des es-
„claves, A qui la loi refuse le droit d’avoir une volonte Dans
„Griselidis, la femme a change l’esclavage en obeissance; c’est
„la son merite, et la litterature du moyen äge ou la litterature
„moderne a souvent represente ce me£rite dans la femme, soit
„qu’elle I’y trouvät par experience, soit qu’elle l’admirät par
„rarete.“
So urteilt im Jahre 1860 Saint-Marc Girardin im vierten
Band seines Cours de litterature dramatique auf S. 335 ff.
Die Griselda taucht zum ersten Male im 14. Jahrhundert
in der Literatur auf, sie bildet die letzte Novelle von Boccaccios
Decamerone, ihr Inhalt ist hier folgender:
Gualtieri, Marquis von Saluzzo wurde von seinen Vasallen
wiederholt gebeten, sich zu vermählen, damit er nicht ohne
Erben und sie nicht ohne Lehensherrn blieben („accio che egli
l
2 Richard Schuster.
senza erede, ne essi senza Signor rimanessero“). Stets war ihm
die Jagd lieber gewesen als die Frauen. Endlich willfahrt er
ihren Bitten und zwar nicht ohne gewichtige Bedenken gegen
die Heirat vorzubringen. Seine Lehensleute müssen ihm jedoch
versprechen, jede beliebige Wahl einer Gattin gut zu heissen.
In einem Orte nahe bei Saluzzo wohnt ein armes schönes
Mädchen Griselda, sie will er zu seiner Gemahlin erheben, die
Einwilligung des armen Vaters Gianucolo wird sofort erlangt
Einige Tage verstreichen, reichlich ausgefüllt mit den Vorbe-
reitungen und Zurüstungen zur bevorstehenden Hochzeit, die
Braut weiss noch nichts von der auf sie gefallenen Wahl des
Markgrafen; im Beisein ihres Vaters fragt dieser sie nun:
„se ella sempre, togliendola egli per moglie, s’ingegnerebbe
„di compiacergli, e di niuna cosa, che egli dicesse, o facesse,
„non turbarsi; e s’ella sarrebbe obediente, e simili altre cose
„assai, delle quali ella a tutte rispose di si.“
In Gegenwart zahlreicher Personen lässt sie nun der Graf
schöne und reiche Kleider anlegen und- ihr einen Kranz aufs
Haar setzen, hierauf stellt er sie seiner Umgebung als die von
ihm Erkorene vor und sofort wird die Hochzeit gefeiert. Neun
Monate später gebiert sie eine Tochter. Kurz hernach beginnt
ihre Leidenszeit, Gualtieri verfällt auf den sonderbaren Gedanken
„di volere con lunga esperienzia, e con cose intollerabili
„provare la pazienzia di lei.“
Ein Diener, vom Markgrafen beauftragt, kommt, um die
Tochter, welche die Untertanen angeblich nicht anerkennen
wollen, zu holen und -— wie Griselde meint — zu töten. Sie
nimmt das Kind aus der Wiege, küsst und segnet es und gibt,
sich gewaltsanı beherrschend, dem Diener das Kind in den Arm
und spricht:
„Te, fa compiutamente quello, che il tuo e mio Signore
„tha imposto, ma non la lasciar per modo, che le bestie, e
„gli uccelli la divorino.“
Der Diener geht nun auf Befehl seines Herrn zu einer
vornehmen Verwandten, welche das Kind sorgältig erziehen
und ausbilden soll. |
Als nach einiger Zeit Griselde Mutter eines Sohnes wird,
widerfährt diesem anscheinend das gleiche Schicksal, aber auch
er wird nicht getötet, sondern wie seine Schwester nach Bologna
Griselidis in der französischen Literatur. 3
gebracht. Die Untertanen haben das innigste Mitleid mit Griselde
und tadeln in bitteren Worten die Grausamkeit ihres Herrn.
Gualtieri aber will nun, um eine andere Gattin wählen und
Griselde verlassen zu können, vom Papste Dispensation seiner
Ehe erwirken. Kurz darauf lässt er sich gefälschte Briefe aus
Rom einhändigen: durch diese Schriftstücke macht er seine
Untertanen glauben, der erforderliche Dispens vom Papste sei
eingetroffen. Seiner Frau aber teilt er mit, er wolle eine eben-
bürtige Gattin sich erwählen, sie aber könne mit der ihm zu-
gebrachten Mitgift in ihres Vaters Haus zurückkehren.
Mit grosser Selbstbeherrschung und übermässiger An-
strengung hält sie ihre Thränen zurück und spricht:
„Signor mio, io conobbi sempre la mia bassa condizione
„alla vostra nobilitä in alcun modo non convenirsi, e quello,
„che io stata son con voi, da voi e da Dio il riconoscea, ne
„mai, come donatolmi, mio il feci o tenni, ma sempre l’ebbi
„come prestatomi: Piacevi di rivolerlo, et a me dee piaccere,
„e piace di renderlovi. Ecco il vostro anello, col quale voi
„mi sposaste, prendetelo.. Commandatemi, che io quella dote
„me ne porti che io ci recai: alla qual cosa fare, ne a voi
„pagatore ne A me borsa bisognerä ne somiere, perciö che
„uscito di mente non m’& che ignuda m’aveste. E, se voi
„giudicate onesto, che quel corpo, nel quale io ho portat;
„figliuoli da voi generati, sia da tutti veduto, io me n’andrö
„ignuda; ma io vi priego in premio della mia virginitä, che
„io ci recai, e non ne la porto, che almeno una sola camiscia
„sopra la dote mia vi piaccia, che io portar ne possa‘“
Gualtieri, äusserlich streng, im Innern jedoch tief gerührt,
gestattet ihr, dass sie nach dreizehnjähriger Ehe wenigstens mit
einem Hemde bekleidet zu ihrem Vater Gianucolo zurückkehre.
Kurze Zeit darauf lässt der Graf sie wieder holen und
befiehlt ihr, die Zurüstungen zu seiner Hochzeit mit der Tochter
des Grafen von Panago zu treffen; wenn die Hochzeit vorüber
sei, könne sie wieder heimkehren. In ärmlichem Gewand
entbietet Griselde heiteren Antlitzes der zwölfjährigen Braut und
ihrem sechsjährigen Bruder den herzlichsten Willkommgruss.
In Gegenwart vieler fragt Gualtieri Griselde lächelnd, wie sie
über seine Gemahlin denke. „Viel Gutes denke ich von der
jungen Braut, und wenn ihr Verstand ihrer Schönheit entspricht,
4 Richard Schuster.
so werdet ihr, mein Gebieter, mit ihr glücklich werden.“ Doch
beschwört sie ihn, dem Herzen der jungen Braut die Stiche zu
ersparen, die sie selbst, unter Entbehrungen und Mühsalen aller
Art zur Jungfrau erwachsen, von ihm erduldet, die junge Gattin
würde ihrer Jugend und weichlichen Erziehung wegen eine
solch harte Behandlung nicht ertragen können. Nun ist auch
die letzte Probe Griseldens zu Ende und der Markgraf spricht:
„Weil ich niemals gesehen habe, dass du in Worten oder Taten
dich von meinen Wünschen entfernt hättest, und ich überzeugt
bin, dass ich durch dich das Glück erreichen kann, das ich
begehrte, so gedenke ich, dir auf einmal alles wiederzugeben,
was ich dir einzeln zu vielen Malen raubte, und durch höchste
Freuden die Wunden zu heilen, die ich dir zufügte. So um-
fange denn jreudigen Mutes diese, die du für meine Braut
hieltest, und ihren Bruder als deine und meine Kinder Sie
sind dieselben, welche du und viele andere seit lange grausam von
mir ermordet wähnten, und ich bin dein Gemahl, der dich über
alles liebt und glaubt sich rühmen zu können, dass kein anderer
lebe, der gleich mir Ursache hat, sich seiner Gattin zu freuen.“
Darob freuten sich alle unaussprechlich und mehrere Tage
dauerten die Festlichkeiten. Wenn man auch den Grafen für einen
weisen Mann hielt, so erachteten doch alle die Proben, welchen
er seine Gattin unterworfen hatte, für hart und unerträglich.
Angeregt durch die Novelle Boccaccios hat sein Freund
Petrarka ihm einen Brief geschrieben, der betitelt ist: de obedien-
tia ac fide uxoria mythologia.!) Dieser Brief enthält die latei-
nische Nacherzählung von Boccaccios Griselidis. Die prächtige
Beschreibung der Pest am Anfang des Decamerone und die
Griselidanovelle gefallen Petrarka am meisten, denn diese beiden
Stücke gehören zu den „pia et gravia“, die er „inter multa sane
iocosa et levia“ gefunden.
Die Erzählung Petrarkas schliesst sich, was den Gang der
Handlung anbetrifit, ganz an Boccaccio an. Der Geist aber,
der die Petrarkasche Erzählung durchzieht, ist moralisch-didak-
tisch, man vergleiche zur lllustrierung die religiöse Schlussmoral
Petrarkas.’)
1) Dieser Brief findet sich auf Seite 541—46 der opera Petrarkas. (Basler
Ausgabe v. J. 1554.) Siehe Abdruck der Nacherzählung im Anhang.
2) Der Schluss des Briefes ist abgedruckt bei Widmann 8.7, siehe ferner
den Anhang.
Griselidis in der französischen Literatur. 5
Boccaccio steht dem ganzen Stoff viel unbefangener und
mit gesunderem Gefühl gegenüber, dies zeigt schon ein Ver-
gleich von Petrarkas lateinischem Schlusssatz mit dem iolgen-
den Boccaccios: „Wer ausser Griselden hätte, nicht bloss mit
trockenem, sondern mit heiterem Auge die rauhen und nie zu-
vor erhörten Proben zu bestehen vermocht, welchen Gualtieri
sie unterwarf? Diesem aber wäre es vielleicht verdienter Lohn
gewesen, wäre er auf eine getrofien, die, als er sie im Heınde
aus.dem Hause verjagte, sich von einem andern ihr Pelzchen
so hätte schütteln lassen, dass ihr ein schönes Kleid daraus
entstanden wäre!“
Petrarka hat auch die Hauptcharaktere mit moralisch-
didaktischem Geiste durchtränkt, vor allem sucht er die Hand-
lungsweise Walthers humaner zu zeichnen, eine bessere Be-
gründung der Gehorsamsproben liefert freilich auch er nicht.
Alle Einzelheiten finden bei Petrarka eine eingehendere, breitere
Darstellung, damit hängt auch zusammen, dass Petrarka, wo es
nur angeht, seine Personen in direkter Rede so ausführlich als
möglich sprechen lässt, Boccaccio, der jede unnötige Detail-
malerei vermeidet, bevorzugt durchweg die indirekte Rede.
Petrarkas Erzählung hat sich über das ganze Abendland
hin verbreitet und hat die Quelle gebildet für prosaische und
poetische Bearbeitungen aller Art.
Die verschiedenen Formen der literarischen Einkleidung
haben in den letzten zwei Jahrzehnten von verschiedenen Seiten
eine eingehende literarhistorische Behandlung erfahren. Eine
kurze Übersicht über diese Griselidisliteratur wird
in mannigfacher Hinsicht lohnend sein.
Die älteste Arbeit, abgesehen von der später zu besprechen-
den Dissertation von Groeneveld, ist vom Jahre 1888 von
Friedrich von Westenholz.!) Er hat sich nicht die Aufgabe
gestellt, ganz eingehend die Wandlungen und Bearbeitungen des
Griseldisstofies in einem bestimmten Lande darzustellen, sondern
er hebt die Bearbeitungen heraus, die durch Originalität der
Darstellung oder durch die Namen ihrer Verfasser ihm einer
besonderen Berücksichtigung würdig zu sein scheinen. Neben
den beiden grundlegenden Bearbeitungen und den auf Petrarka
zurückgehenden Volksbüchern wird ein deutsches, dänisches,
1) Fr. von Westenholz!: Die Griselidissage in der Literaturgeschichte.
Heidelberg 1888.
6 Richard Schuster.
russisches und isländisches Märchen besprochen. Die poetischen
Bearbeitungen gliedert Westenholz in epische und dramatische
Dichtungen. Chaucer’s Tale und Perraults Novelle erfahren
nebst einer altenglischen Ballade unter den epischen Gedichten
eine eingehende Besprechung. Von dramatischen Dichtungen
werden vier eingehend besprochen: The pleasant comedy of
patient Grissil,!) die spanische Komödie des Lope de Vega, die
Griseldiskomödie des Hans Sachs und das dramatische Gedicht
Griseldis von Friedrich Halm.
Sechs Jahre später erschien eine Strassburger Dissertation:
die Griseldissage auf der iberischen Halbinsel von Franz Xaver
Wannenmacher.?) Wichtig ist in dieser Schrift besonders die
Einleitung, die nach einer Kritik und Besprechung der Haupt-
charaktere den mutmasslichen Quellen der Boccaccioschen Novelle
eingehende und gründliche Untersuchung angedeihen lässt. Den
Stoff selbst ordnet Wannenmacher nach Sprachgebieten. Vom
spanischen Gebiet behandelt er der Reihe nach Castigos y do-
trinas, die Griselidis Timonedas, die Griselidis Lope de Vegas
und die spanische Romanze des Anönimo. Dann erfahren drei
Bearbeitungen auf portugiesischem Gebiete nähere Behandlung
und zwar das Märchen des Trancoso, das Drama von Nicolaus
Luiz, die Constancia de Grizelia von Theophilo Braga. Das
katalanische Gebiet weist nur eine Bearbeitung in der Historia
d’Walter e de la pacient Griselda von Bernat Metge auf.
Reinhold Köhler hat im Jahre 1871 in Ersch und Grubers
Allgemeiner Encyclopädie der Wissenschaften und Künste?) einen
Artikel Griselda veröffentlicht. Im Jahre 1900 ist dieser mit
vielen Zusätzen und Erweiterungen aufs neue erschienen in den
Kleineren Schriften zur erzählenden Dichtung des Mittelalters von
Reinhold Köhler, herausgegeben von Johannes Bolte (S. 501—555).
Er enthält den Inhalt der Novelle Boccaccios und dann genaue
bibliographische Nachweise über die Verbreitung des Griselda-
stoffes in den bekannten Kulturländern. Zuerst werden die
Volksbücher, dann die poetischen Bearbeitungen (Epos und
Drama) besprochen und zuletzt wird noch die Griseldisnovelle
1) Das gemeinsame Werk der drei Autoren Thomas Dekker, Henry Chettle
und William Haughton.
?) Wannenmacher: Die Griselidissage auf der iberischen Halbinsel, Strass-
burger Diss. 1894.
3) Bd. 91, Sp. 4135—421e.
Griselidis in der französischen Literatur. 7
als Volksmärchen behandelt. Diese grundlegende für jeden
Griselidisforscher unentbehrliche Arbeit umfasst 54 Seiten.
Luigi Savorini hat i. J. 1901 veröffentlicht: La leggenda
di Griselda, Parte prima. Teraımo, Rivista Abruzzese. 6. Diese
68 Seiten starke Schrift enthält ausser einer allgemeinen Ein-
leitung eine Untersuchung über den Ursprung des Stoffes und
eine Besprechung der Arbeiten von Boccaccio und Petrarka.
Er weist erneut auf die Ähnlichkeit des lai del Fresne der
Marie de France mit der Novelle Boccaccios hin und nimmt
eine gemeinsame Quelle für beide an. Savorini sieht die Ent-
stehung der Griselidisiabel „als wertvolle Schöpfung des Volks-
idealismus“ an und leugnet entgegen anderen Forschern geist-
lich lehrhafte Einflüsse (vgl. die Kritik Widmanns im Littbl.?f. g.
und r. Ph. 24 S. 117—119),.
Siefkens Arbeit vom Jahre 1903: Der Konstanze-Griseldis-
typus in der englischen Literatur, behandelt das geduldige
Weib in der alt- und mittelenglischen Literatur. Dem geist-
lichen Typus der Dulderin Konstanze und ähnlichen Stoffkreisen
widmet er der stärkeren Verbreitung wegen bei der Besprechung
einen grösseren Raum als dem rein weltlichen Typus der Dulderin,
der uns in den einzelnen Erzählungen des Griseldiskreises
entgegentritt. Zu diesem Kreise rechnet er ausser der Griselidis-
erzählung noch das Lai von Fresne und den Kreis des nuss-
braunen Mädchens. Eine eigentümliche Auffassung von Grisel-
dens unbedingtem Gehorsam zeigt Sieiken, wenn er schreibt:
„Griseldens unbedingter Gehorsam ist nicht so sehr
„der Ausfluss der mittelalterlichen Unterordnung der Frau
„unter den Mann als die Folge der absoluten Abhängigkeit
„der Leibeigenen von ihrem Herrn.“
Siefken kann weder bei Boccaccio noch bei Petrarka
einen einzigen Beleg dafür anführen, dass Gianucolo und seine
Tochter Leibeigene des Grafen waren; daher dürfte wohl nach
wie vor Griseldens beispielloser Gehorsam der auf die Spitze
getriebene Ausdruck des mittelalterlichen Verhältnisses zwischen
Mann und Weib sein.
Im Jahre 1905 erschien eine Tübinger Dissertation von
Gustav Widmann:') Griselidis in der deutschen Literatur des
1) Vollständig ist die Arbeit abgedruckt im Euphorion, Band XILI,
8.1—47, und 8. 535—556, Band XIV, 8. 101—134.
8 Richard Schuster.
19. Jahrhunderts. In seiner Einleitung über Eigenart, Ursprung
und Geschichte des Stoffes hat der Verfasser alle wichtigen
Fragen, die sich an den Stoff anschliessen, erörtert. Er bespricht
auch in wertvollen Anmerkungen die italienischen Arbeiten
von Patrucco und Savorini. Boccacios und vor allenı Petrarkas
Bearbeitung als gemeinsame Quelle der späteren Darstellungen
werden besprochen, in Anmerkungen finden sich reichlich
lateinische Citate des schwer zu erlangenden Petrarkaschen
Briefes. Er behandelt die verschiedenen deutschen volkstüm-
lichen Prosabearbeitungen des Petrarkaschen Textes und ana-
Iysiert noch am Schluss seines ersten Hauptteils zwei deutsche
Griselidis-Märchen. Nach den fünf deutschen Verserzählungen
werden die dramatischen Bearbeitungen besprochen, und von
diesen besonders eingehend Halms Griselidis.
Widmann fasst das Ergebnis seiner Untersuchung in das
Schlussurteil zusammen, dass der Griselidisstoff nach den Be-
arbeitungen, die er in der deutschen Literatur des 19. Jahr-
hunderts erfahren hat, unter die Dinge gehört, über deren
Daseinsberechtigung durch das Wort entschieden wird: Sint ut
sunt aut non sint. |
Neben den deutschen Forschern hat sich auch ein nieder-
ländischer Gelehrter J. Verdam mit dem Griselidisstoff beschäftigt,
er hat im Jahre 1898 in der Tijdschrift voor Nederlandsche
Taal- en Letterkunde einen Artikel veröffentlicht „De Griseldis-
Novelle in het Nederlandsch.“ Er kennt die Artikel von Westen-
holz und Köhler. Von Übersetzungen gehen in den Niederlanden
drei auf Petrarka zurück, eine von diesen niederländischen Über-
setzungen ist bei Verdam auf S. 19-—30 abgedruckt, lateinische
Citate unter dem Text sorgen für das nötige Verständnis. Eine
vierte Prosabearbeitung von Van Coornhert ist nach Boccaccio
übersetzt.')
Die poetischen niederländischen Bearbeitungen zerfallen
auch in epische und dramatische. Von zwei Verserzählungen
werden einige Strophen angeführt. Das älteste Drama ist von
einem Priester Eligius Houckaert of Houcarius verfasst und im
Jahre 1519 zu Antwerpen gedruckt worden. Zu jedem Werk
gibt Verdam genaue bibliographische Angaben. Er beschränkt
1) Als vierde proza-bewerking in onze taal naem ik de vertaling van Coorn-
hert, in zijne „Vijftigh lustighe Historien oft Niew wigheden Joannis Boccatü“,
warin de laatste vertelling de geschiedenis bevat en beschrijft van Griseldis.
Griselidis in der französischen Literatur. 9
sich im allgemeinen darauf, Äusserlichkeiten wie verschiedene
Namensformen in den verschiedenen Werken festzustellen, eine
Inhaltsangabe wird weder bei den Prosa- noch bei den poe-
tischen Bearbeitungen gegeben. Auf Ursprungsfragen hat sich
Verdam überhaupt nicht eingelassen.
Über den Ursprung und die Geschichte des
-Stoffes haben sowohl Deutsche wie Italiener, auf das bis
jetzt vorliegende Material gestüzt, eingehende Untersuchungen
angestellt. |
Von den Deutschen ist es zuerst v. Westenholz gewesen,
der in seinem Buche: Die Griseldissage in der Literaturgeschichte
(siehe oben S.5), eine Vergleichung zwischen den beiden
ältesten Aufzeichnungen überhaupt angestellt hat. Er hat die
italienische Bearbeitung Boccaccios mit der Steinhöwelschen
deutschen Übersetzung der lateinischen Überarbeitung Petrar-
kas verglichen!) und nach einer ausführlichen Inhaltsangabe
der Erzählung von Boccaccio weist er auf die Unterschiede
in der Auffassung des Griselidisstoffes zwischen Boccaccio
und Petrarka hin und sucht nachzuweisen, dass Griselidis bei
Boccaccio in ihren Reden nirgends eigentlich als das liebende
Weib zu erkennen und nur der Gehorsam die alleinige Richt-
schnur ihres Handelns sei. Petrarka dagegen, meint er,
lasse es sich angelegen sein, die bedingungslose Unterwürfig-
keit der Griselda unter den Willen des Gemahls aus der Liebe
zu erklären, von welcher er ihr Herz völlig erfüllt sein lässt.
Demgegenüber gibt Gustav Widmann, dessen Forschungen auf
ein vollständigeres Material basiert sind, der Erzählung Boc-
cacios den Vorzug vor derjenigen Petrarkas. Mit Recht weist
er darauf hin (S. 6 ff.), wie weit Petrarka von dem gesunden
Gefühl und der freien Stellung, die Boccaccio der Griselidis-
novelle gegenüber einnimmt, entfernt ist, wenn er das Ver-
halten des Markgrafen als una matta bestialit@ bezeichnet und
nur bedauert, dass er ungestraft davon gekommen ist.
Was den Ursprung der Sage betrifit, so weist schon Groene-
veld auf die Ähnlichkeit bei der Vermählungsfeier zwischen
dem Lai der Marie de France „Fresne“ und der Griselidis hin,
Eingehender wird das Verhältnis dieser beiden Erzählungen in
ı) Von der Kritik ist dieser methodische Fehler stark getadelt worden, der
Verfasser hätte unter allen Umständen der Vergleichung den lateinischen Text
zu Grunde legen müssen.
10 Richard Schuster.
der Wannenmacherschen Arbeit besprochen, worin :auch die
mutmasslichen Quellen und die grundlegenden literarischen
Bearbeitungen der Fabel behandelt werden. Wannenmacher
weist auf S. 29-32 da und dort sogar Übereinstimmung in den
Ausdrücken zwischen dem Lai del Fresne!) und Boccaccio nach,
und vermutet mit Recht, dass der Verfasser des Decamerone
das Lai der Marie de France gelesen hat.
Siefken (S. 74) geht wohl zu weit, wenn er als das ge-
meinsame Grundmotiv zwischen beiden Erzählungen die Über-
einstimmung ansieht, dass Fresne und Griselidis bei der Hoch-
zeitsfeier ihres ehemaligen Geliebten Dienste tun und der Braut
freundlich entgegen kommen.
Höchstens könnte man in dieser Ähnlichkeit ein und nicht
das gemeinsame Grundmotiv sehen, bei der Griselidis muss
man schon von Grundmotiven sprechen und das sind zweifellos
die Gehorsamsprüfungen. Zu diesen gehört allerdings auch das
Verhalten der Griselidis bei der zweiten Vermählung des Marquis.
Sieiken, der nur die Arbeit von v. Westenholz zu kennen
scheint, weist auf S.77 die Übereinstimmung beider Erzählungen
in verschiedenen Hauptpunkten nach.
Wir werden Wannenmacher beipflichten, der nachgewiesen
hat, dass die von den Engländern so gern mit Griselidis in
Verbindung gebrachte Nut-Brown Maid als Quelle Boccaccios
abzulehnen ist, wenn er sagt: „Alle Einzelheiten der Quelle
Boccaccios lassen sich freilich in der uns zugänglichen Erzäh-
lungsliteratur nicht mehr nachweisen, es sind uns aber auch
nicht alle Novellenstoffe erhalten, die Boccaccio zur Verfügung
standen. Die erwähnten Erzählungen aber beweisen, dass schon
vor Boccaccio der Stoff von der verstossenen, ‘duldenden Gattin
und Mutter ein beliebter war. Er gestaltete ihn nach eigenem
Geist und Vermögen, ohne Erfinder des Grundgedankens zu
sein. Ihm gehört jedenfalls der Versuch, in seiner Griseldis-
novelle jenes: Dulden bis zur alleräussersten Grenze des Mög-
lichen und Erlaubten, mit einem Wort — bis zur matta bestialitä
— emporgeschraubt zu haben.“
1) Inhaltsangaben des Lai del Fresne bei Siefken 8. 71 ff. und Wannen-
macher S.29 f. Der Text des Lais findet sich in den von Karl Warnke heraus-
gegebenen Lais der Marie de France, in Suchiers Bibliotheka Normannica III,
S.54-74. In seinem Spielmannsbuch hat Wilhelm Herz auf S. 157-170 eine
prächtige neuhochdeutsche Übersetzung der Fresne gegeben.
Griselidis in der französischen Literatur. 11
Eine neue These hat Angelo de Gubernatis aufgestellt.
Er hat auf dem 13. internationalen Orientalistenkongress in
Hamburg im September 1902 einen Vortrag gehalten: De Sa-
countala a Griselda, le plus ancien des contes aryens In diesem
Vortrag weist er nach, dass die Novelle des Decamerone iden-
tisch ist mit einem Märchen, das sich ın den russischen
Volkserzählungen von Afanassiefi findet. Nun geht weder
die russische Erzählung auf den Decamerone noch dieser
auf die erstere zurück. Diese überraschende Ähnlichkeit er-
klärt er durch die Annahme einer gemeinsamen byzanti-
nischen Quelle.
In den Verhandlungen des 13. internationalen Orientalisten-
kongresses, Hamburg, September 1902, findet sich der Vortrag
‘von de Gubernatis allerdings nur verkürzt.!) Es heisst dort u. a.
„L’auteur donne un developpement tres large & toute
„cette these, pour en venir enfin au conte de Boccace; il
„signale sa ressemblance d’un cötE au lai de Marie de France,
„de Pautre aux contes populaires de !’Italie meridionale et
„sourtout de la Sicile; il montre en outre, que le conte du
„Decameron est identique & celui de la pastourelle &Eprouvee
„du recueil des contes populaires russes d’Afanasiefl. Le
„conte russe serait-il derive du Decameron? Non? Le conte
„italien remonterait-il au conte russe? Moins encor. Com-
„ment donc expliquer cette ressemblance frappante? L’auteur
„pense qu’il serait sage de songer ä une source commune
„byzantine, et il fournit des preuves de cette derivation
„probable.“
Es ist bis jetzt noch keinem Forscher gelungen, für die
Griseldissage eine historische Grundlage zu schaffen. Mulatti,
der Historiograph von Saluzzo, vermag ausser Vermutungen
nichts Historisches beizubringen. (Wannenmacher S. 27.) Eben-
sowenig können Jean Bouchet, Noguier, Manni und Michaud
auf Grund irgend einer historischen Urkunde beweisen, dass
Griselidis und Walter wirklich gelebt haben. (Wannenmacher
S. 24 fi.) Einiges Licht ist uns über einige Fragen durch die
09) Der Vortrag findet sich nach einer Mitteilung des Auskunftsbureaus
der deutschen Bibliotheken vollständig in den Cronache delle civilta Elleno-Latin«.
3. 1905. In Deutschland ist diese Zeitschrift nirgends vorhanden, sie wurde von
d. A.d.d. B. auf die offizielle Suchliste gesetzt. Da mir der Vortrag nur im
Auszug vorliegt, kann ich leider die Resultate von Gubernatis nicht nachprüfen.
12 Richard Schuster.
Schriften der Italiener Savorini (La leggenda di Griselda, siehe
oben S.6) und Patrucco (La storia della leggendadi Griselda,
Saluzzo 1901) zugekommen. Savorinis Arbeit ist die erste, die
eine wirklich umfassende literarhistorische Entwickelung des
Griselidisstoffes geben will, lässt aber in der wissenschaftlichen
Durchführung im Einzelnen, soweit der bis jetzt allein er-
schienene erste Teil erkennen lässt, vieles zu wünschen übrig.
(Widmann, Littbl. f. g. u. r. Phil. 24, S.117—119.) Patrucco weist
an der Hand von Dokumenten die getreue Wiedergabe der
feudalen Verhältnisse in der Novelle Boccaccios nach, ebenso
mehrere Signori des Namens Valterus in einer Familie, die in
Saluz begütert war und sich daher auch de Salucijs nannte.
(Widmann, Littbl. 26, Nr. 3.)
Leider war mir die Schrift Monacis: „La novella di Gri-
selda secundo la lezione di un manuscritto non ancora illustrato
del Decamerone“ (Nozze Tommasini-Bronn, Perugia 1902) nicht
zugänglich. Es ist möglich, jedoch nicht gerade wahrschein-
lich, dass Monaci neues Material aufgefunden hat, meiner Ver-
ımutung zufolge handelt es sich nur um eine andere Lesart der
Novelle Boccaccios.
Ob Boccaccio den Stoff mündlich überliefert oder durch
eine lateinische Vorlage vermittelt bekam, wissen wir nicht, die
Entstehungsgeschichte des Stoffes ist aus Mangel an authen-
tischem und beweiskräitigem Material noch in Dunkel gehüllt.
(Widmann S. 2.) Auf jeden Fall ist sicher, dass Boccaccio bei
der Abfassung seiner Novelle Züge aus französischen fabliaux
ınit in seine Erzählung übernommen hat, ohne dass man ein
ganz bestimmtes französisches fablel als ursrüngliche Quelle
nachweisen kann. Julleville behauptet zwar, die Abenteuer des
lai du Fröne der Marie de France seien weit ausführlicher in
einem fabliau erzählt. Der ursprüngliche Text sei jedoch noch
nicht wieder aufgefunden worden; jedenfalls habe aber Petrarca
diesen Text gekannt, ehe er den Decamerone gelesen habe
(vgl. Le Petit de Julleville: Histoire du theätre en France. Les
mysteres 2. Bd., S. 243). Mit dieser Vermutung lässt sich in-
dessen nichts anfangen.
Für die Weiterverbreitung des Stoffes in Frank-
reich ist wie allüberall sonst ganz allein die in der interna-
tionalen Literatursprache erschienene lateinische Bearbeitung
Petrarkas massgebend gewesen.
‘Griselidis in der französischen Literatur. 13
Die älteste dramatische Bearbeitung und die älteste Bear-
beitung in französischer Sprache überhaupt, das alte Mystere
von 1395, geht auf Petrarka zurück. Groeneveld hat das Drama
herausgegeben und bespricht sehr eingehend die Handschrift,
Drucke und Erwähnungen des Dramas, dann die metrische und
dramatische Technik, die Stellung des Griseldisdramas in der
gieichzeitigen dramatischen Literatur Frankreichs und schliesst
mit Bemerkungen über die Sprache und die Quelle der historia
de Griseldis. |
Ebert (S. 33) stellt das Drama schon zu den „Mysteres,
welche rein profane Stoffe behandeln.“ Groeneveld sagt mit
Recht hiezu (S. 21):
„Eben darum ist es kein Mystere. Es legt sich in der
„hs. selbst auch keinen andern Titel bei als „histoire“.
Die „Histoire de Griseldis“ ist also die älteste uns bekannte
französische Moralite, und zwar eine Histoire im Gegensatze
zu den allegorischen Moralites. (Ebert S.36). Die moralisierende
Absicht des Stückes tritt im Prolog verschiedentlich hervor:
Aflfin que l’en si puist mirer (12)....
Si fait bon oyr exemplaire (18)
Et bonnes vertus raconter,
Dont on puet par raison monter
En l’estat de perfection (21).
Ebenso unbekannt wie der Verfasser der Histoire de Griseldis
ist auch der Ort, an welchem das Drama entstand. Diesen aus
der Sprache zu bestimmen, macht deshalb Schwierigkeiten, weil
diese, von einigen picardischen Formen abgesehen, fast schon
dialektfrei ist. (GroeneveldS.36.) Am Ende des 14. Jahrhunderts ist
die Verwischung und Vermengung der Dialekte ın den Literatur-
denkmalen schon in solchem Masse eingetreten, dass sich aus
der Sprache allein der Entstehungsort des Dramas nicht wohl
mit Sicherheit bestimmen lässt. Aus den Gesprächen der
Hirten, die danach angetan sind, zur Erheiterung der Gross-
städter zu dienen, und die sich damals schon gern über die
Provinzialen lustig machten, schliesst Groeneveld, das Drama
sei in Paris verfasst worden.
Als Quelle der Histoire de Griseldis führen Köhler und
Petit de Julleville den lateinischen Brief Petrarkas an. Groene-
veld weist in 15 Hauptphasen der Handlung die Übereinstimmung
zwischen Petrarka und der Histoire nach (S. 37—40). Als Eigen-
14 Richard Schuster.
tum des französischen Verfassers sind einige nebengeordnete
Szenen zu betrachten: die beiden Jagden, die Gespräche der
Mädchen und der beiden Hirten, die förmliche Trauung von
Gautier und Griseldis, die Darstellung der Geburt beider Kin-
der, die Klagen des Janicola, als seine Tochter zu ihm zurück-
kehrt, und die Ausrichtung der verschiedenen Botschaften.
Letztere mussten notwendig hinzugedichtet werden, weil dem
Verfasser doch oblag, das in Handlung umzusetzen, was er
in seiner Quelle oft nur mit wenigen Worten angedeutet fand
(Groeneveld S. 40—41.)
Die Groeneveldsche Edition, die auch auf die Verschieden-
heiten des in 42 Exemplaren herausgegebenen Neudrucks vom
Jahre 1832 gegenüber der Handschrift hinweist, ist philologisch
sehr genau und zuverlässig) und wird in Zukunft wohl ein
Vergleichen mit dem Original überflüssig machen.
Am Ende der Handschrift befindet sich folgende Anmerk-
ung, die von einer späteren Hand, vielleicht gegen Ende des
17. Jahrhunderts herrührt:
„On a trouve en Provence une inscription qui marque
qu’icele (!) nom de Griseldy (comme la M. de Saluce est appellee
dans ce livre) nestpas nouveau puisquon apelloit les Nymphes
d’un certain endroit Griselicis.“
Spon = X. 94 myscell.“
Die Citation Spon 94 mysc. hat Groeneveld wegen der un-
deutlichen Schrift wahrscheinlich übersehen oder aber nichts
mit ihr anzufangen gewusst. Nachdem ich in der Nouvelle
biographie generale Bd. 44, S. 354 über Spon die nötige Aus-
kunft erhalten, fand ich in dem Werke dieses gelehrten Lyoner
Altertumsforschers Miscellanea eruditiae antiquitatis, Lyon 1685
auf S. 94:
ı) Die auf der Nationalbibliothek in Paris befindliche Handschrift der
Griselidis habe ich mit der Groeneveldschen Edition kollationiert: ausser ge-
legentlich ganz unbedeutenden orthographischen Verschiedenheiten habe ich zwischen
Handschrift und Druck vollständige Übereinstimmung feststellen können.
Griselidis in der französischen Literatur. 15
XLLX Nymphar. Griselicar.
In pago Greoulx Provinciae Gallicae, ad Balnea reperta.
NYMPHIS XL
GRISELICIS.
Ex Peireskij') schedis.
Prodeat jam in scenam Nympharum chorus,
quae hoc in pago verisimiliter olim Griselo dicto,
cum recentiore nomine Greoulx conveniente
Griselicae cognominabantur, balneorum _illic
celebrium custodes.
Dieses noch jetzt wegen seiner MHeilquellen bekannte
Greoulx?) liegt im französischen Departement Niederalpen,
Arondissement Digne, am Verdon. Ein Blick auf die Karte
zeigt uns, dass Saluzzo, die Kreishauptstadt in der italienischen
Provinz Cuneo, zwischen dem Po und der Varaita, und das
französische Departement Niederalpen nicht sehr weit ausein-
anderliegen; daher wäre das Vorkommen des Namens Griselica
resp. ital. Griselda in benachbarten Gebieten leicht erklärlich
und begreiflich.
Das von Peiresc wiedergegebene Fragment wird durch
ein zweites, 182] aufgefundenes Fragment ergänzt. Die so ver-
vollständigte Inschrift?) stammt aus dem dritten Jahrhundert n. Chr.
und lautet nach der Wiedergabe des Corpus Inscriptionum
Latinarum XIl, No. 361, S. 51):
ı) Peiresc (1580-1637) geboren in Belgentier (Var.), gestorben in Aix, war
ein berühmter weitgereister Altertumsforscher, auf seinen Reisen hatte er eine
Menge Sammlungen aller Art angelegt. Scaliger, Pierre Bayle, Gassendi zählten
zu seinen Freunden. Peiresce schrieb viel, veröffentlichte jedoch nichts. Auf
116 Bände belaufen sich seine Manuseripte, die grösstenteils in der Bibliothek
von Carpentras sich befinden. J. Marchand urteilt über deren Wert in der Grande
Encyclopedie folgendermassen: Ce sont des documents inestimables pour Vhistoire
litteraire et scientifique de 20 annees dw XVIIe siecle (vgl. Grande Eneyclopedie).
2) Meyers Konversations-Lexikon entnehme ich, dass die Heilquellen von
(Greoule kochsalzhaltige Schwefelquellen von 36° C. Temperatur sind und stark
besucht werden.
%) Die Inschrift findet sich ausserdem noch in den Oewvres comylötes
(Bd. IIT, 245) von Bartolomeo Borghesi. Paris 1864 und schon 1828 im zweiten
Band von Casp. Orellius Inseriptionum latinarum seleetarum unter No. 3421.
16 Richard Schuster.
FIL. FAVSTINA
T. VITRASI. POLL;
ONIS. COS. II. PRAE..
qv AEST. IMP. PONTIF
procOS. ASIAE
VXOR
NYMPHIS
GRISELICIS
Aus dieser Inschrift geht soviel hervor, dass Griselicae
kein Synonym von Nymphae ist, wie Spon meinte, sondern dass
es sich um die Nymphen von Griselum handelt. Ob nun der
Name Griselda mit dem Ortsnamen Griselum — Griselicus zu-
sammenhängt, ist immerhin fraglich. Liesse sich durch Analogien
nachweisen, dass von einer Herkunftsbezeichnung wie Gri-
selica ein Name Griselda sich ableiten liesse, so wäre die Her-
kunft des Namens auf französischem Gebiet zu suchen; dann
wäre es auch nicht ganz aussichtslos und unwahrscheinlich an-
zunehmen, dass auch der Ursprung der Griseldisfabel auf
französischen Boden fällt. |
Für die Verbreitung der Griselidisnovelle in. Frankreich
war, wie schon bemerkt, allein Petrarka massgebend. Widmann
vermutet als Träger des mittelalterlichen Geistes, der in der
Griselidis-Erzählung den Typus der gehorsamen Ehefrau auf die
Spitze getrieben zeigt und dem die Erzählung ihren Ursprung
verdankt, einen Geistlichen. Ganz sicher aber sind manche der
französischen Übersetzer der Petrarkaschen Griselidis Geistliche
gewesen. Dies geht schon aus dem ganzen lehrhaften, da und
dort noch religiöser als bei Petrarka gewendeten Charakter
dieser Übersetzungen hervor.
Von den acht Handschriften der Nationalbibliothek und den
drei der Bibliotheque de l’Arsenal, die Übersetzungen der Petrar-
kaschen Griselidis darstellen, ist die Handschrift Nr. 24398 der
Nationalbibliothek als einzige von den elf, die ich durchgesehen,
von einem Prolog begleitet. Ich gebe die Stellen des Prologs’)
wieder, aus denen hervorgeht, dass der Verfasser ein Geistlicher
ı) Bei der Wiedergabe der Handschriften und der Drucke führe ich dureh-
weg die Worttreunung durch und setze die Accente auf die auslautenden e,
Km:
Griselidis in der französischen Literatur. 17
war und das Werk des „frommen und gelehrten“ Katholiken und
berühmten Dichters Petrarka aus dem Lateinischen ins Franzö-
sische für die des Lateinischen Unkundigen übersetzt hat. In
diesem Vorwort findet auch die religiös und lehrhaft gewendete
Tendenz des Uebersetzers lebhaften Ausdruck:
„Cette histoire gracieuse et piteuse de la marquise de
Saluce laquelle pour sa grant difficult€ et aussi comme im-
possibilite de la vertu d’une femme a aucuns lisans par auenture
pourroit sambler estre une chose fainte ou histoire coutrouee,
dont il est assauoir que le poure pelerin aucteur de cestui
liure trouua ceste histoire en lombardie entre les gracieuses
escripturez du vaillant et solempnel Docteur poete maistre
Franchois patrac, (!) jadis son especial amy, lequel Docteur
poete en sa science fu reputt€ a son temps le plus soufissant
poete qui depuis cent ans ait este en la crestiente, et oultre plus
il fu tres devot et vray catholique qui n’est pas ainsi comunal-
ment des poetes docteurs, si come il appert par les beaus
liures plusieurs qu’il fist lesquelz sont raemplis de tres grant
deuocion et de vraye doctrine catholique, pour laquelle chose
le poure pelerin a donn& plus grande foy ä l’istoire souuente
foys repetee escripte et translat&e par cel Docteur deuot catho-
lique, et est la ditte histoire publique et noctoire in lombardie
et par especial en piemont ou marquise de saluce est reputde
pour vraye et est escripte histoire par le dit docteur maist®
Franchois patrac en latin hault et poetique et fort a entendre
a ceuls qui n’ont pas a coustume a lire tel latin, et toutes foys
le dit poure pelerin la translata de latin en francois rudement
et grossement en substance et pour ce que cestui liure traitte
de la vertu du sacrement de mariage et la garda pour un
miroir des dames mariees, le dit poure pelerin en la fin de
son liure leur presente ceste piteuse vertueuse et merveil-
leuse histoire en priant Dieu que celle leur vaille, si en
prenderont le grain et en laisseront la paille.“
Die Hs. No. 24394, von der im Vorstehenden der Schluss
des Prologs angeführt wurde, stammt aus dem 15. Jahrhundert,
ist, abgesehen von manchen undeutlichen Stellen, gut geschrie-
ben, ın 8 Kapitel eingeteilt, deren jedes durch einen schön ver-
zierten Buchstaben gekennzeichnet ist.
Ausser der schon genannten Hs. 24 394 befinden sich noch
folgende Handschriften in der Nationalbibliothek:
2
18 Richard Schuster.
Nr. 1505. Le Romant de Griselidis marquise de Saluce,
beginnt auf fol. 126 der Hs. also:
„A lexemple des femmes marides et autres a marier ay
icy mis selon mon petit engin et entendement du latin en
frangois“ und schliesst auf fol. 136 mit den Worten: „Et luy
succeda son filz et vesquit apres luy comme son heritier.“
Eine Kapiteleinteilung fehlt in dieser Hs.
No. 1834 (fol. 145 bis fol. 151) stammt ebenfalls aus dem
15. Jahrhundert, ist eine freie Übersetzung Petrarkas und weist
manche nicht ganz unwesentliche Auslassungen auf. Sie ist eng
geschrieben und ganz und gar schmucklos. Diese Histoire de
Griselidis beginnt mit den Worten: „Aux pies des mons, en
une coste d’Italie“* und endigt: „d’une fraile feme dont ıl a dte
peu de semblables.“
No. 1881 rührt aus dem 16. Jahrhundert her und ist, ebenfalls
Histoire de Griselidis betitelt, sowohl im Anfang wie am Schluss
von der vorigen verschieden:
„C’est Cosme de Pymont en Lombardie, ainsi comme au
pied de la grant montaingne qui divise France et Ytalie... .“
Der Schluss lautet: „... s’offrir pour son mortel mary. Amen.“
No. 2201 teilt mit den beiden eben genannten Handschriften
die gleiche Überschrift. Sie stammt aus dem 15. Jahrhundert
und enthält Zeichnungen, Vignetten und verzierte Buchstaben.
Mit den Worten:
„Es confines de Piemont en Lombardie, ainsy come au pie
de la grant montaigne qui devise France et Italie“ beginnt sie
und endigt: „.. .. sanz honneur et science souffiry pour
son mortel mary.“
Die Hs. No. 12459 ist die künstlerisch vollendetste von
allen, ausserordentlich sauber und schön geschrieben, und ent-
hält sehr hübsche und gewandte Zeichnungen.
Das erste Bild stellt einen Jagdzug dar, einen Hirsch ver-
folgend.
Das zweite weist die Gesandschaft der Vasallen an den
Graien auf, der seine Getreuen im Freien empfängt.
Das dritte zeigt uns das Häuschen des Janicola, das
genau so gemalt ist wie ein deutsches Schilderhäuschen,
der Graf stellt seine barfüssige Braut den Rittern und Edel-
frauen vor, die bewundernd die Hände emporheben. Griselidis
Griselidis in der französischen Literatur. 19
hat langes, strohgelbes Haar und führt mit der rechten Hand den
Besen. Ihr Vater sieht aus wie ein Mönch in einem grünen Kleid.
Das vierte Bild stellt uns die Marquise dar, wie sie dem
in einen roten Mantel gehüllten Diener ein in Linnen ge-
wickeltes liebliches Kind übergibt, das dieser mit rauhem Griff
gepackt hat. Der traurige Ausdruck auf Griseldens Gesicht,
die wohl zum Zeichen der Trauer in ein graubraunes, langes
Kleid gehüllt ist, ist sehr treffend gezeichnet.
Das fünfte Bild zeigt dieselbe Gruppe zum andern Mal,
nur scheint Griseldens Gesichtsausdruck dies Mal noch schmerz-
licher zu sein.
Das sechste führt Griselden vor, wie sie in ihrem ein-
fachsten Kleidchen zu ihrem Vater in die heimatliche Hütte
zurückkehrt, dieser streckt schon von weitem verlangend die
Hände nach ihr aus
Das siebente und letzte Bild stellt dar, wie der Graf
Griselden wieder zu Ehren annimmt.
Die Erzählung ist in sechs Kapitel mit entsprechenden
Überschriften eingeteilt, die fünf ersten Kapitel sind mit je einem,
das letzte mit zwei Bildern geschmückt. Die Hs. ist ebenfalls
aus dem 15. Jahrhundert.
In der Hs. No. 20042 fehlen die Überschriften, ebenso die
Kapiteleinteilungen, sie ist schön geschrieben und weist kunst-
volle, in allen Farben verzierte Buchstaben auf. Anfang und
Ende des „Roman de Griselidis“ lauten:
„Au pres des mons en un cost& d’Ytalie est la terre de
Saluces qui jadis estoit moult peuplee,*..... „et que pour
son mari mortel soufirit et endura cette pauvre femmelette.“
Die nächste Hs. No. 2443 (fol. 311 bis fol. 317) ist auch
wieder ohne Kapiteleinteilung und weist schmucklose, einfache
Schrift auf; sie ist gegen den Schluss hin unvollständig (cf.
Brunet, Manuel du libraire Bd. IV, col. 569).
No. 24868 (fol. 203 bis fol. 220) ist in zehn Kapitel geteilt,
deren Überschriften mit roter Tinte geschrieben sind. Der
Titel lautet:
„L’istoirre du Mirouer des dames mariees, c’est a savoir
de la haulte et merveilleuse vertu de pascience, obe-
dience, vraye humilite et constance de Griselidis, marquise
de Saluces.“
20
Richard Schuster.
Als Stilprobe möge eine Vergleichung des einzigen in der
Nationalbibliothek vorhandenen Drucks!) mit der Hs. dienen.
Ich wähle hiefür die Schilderung des Marquis.
Hs. No. 24 8682)
Le marquis estoit
apell& gautier, sens
per(t) dicelle con-
Iree,
les aultres marquis
auquel tous
dicelle viron, ba-
rons chevaliers,
bourgoys, escuiers,
marchans et laboı-
reurs naturellement
obeissoient. Le dit
gautier marquis de
Saluce estoyt bel
de corps, fort et le-
gier, noble de cens
(sens), riche d’au-
oir et de grant sig-
nourie,plaindetou-
tesbonnes meurset
parfaitement gar-
nis de nature de
fortune et de grace.
Une chose avoit en
lui, car il amoit fort
solitude et.....
et pou luy plot
le lien de mariage
vouloit
et n’en
oir parler. Toute
Histoire?)
50 Aussi comme au
pie de grant mont
Qui depart france
et ytalie
Ou siet la d’ce mar-
quisie
Dont marquis &
seigneursanz per
Estoit & se faisoit
nommer
55 Le dit gautier
soubz qui estoient
Gouuernez et obeis-
soient
De droit tous les
autres marquis
Barons et cheva-
liers de pris
Escuiers bourgoiz
& marchans
60 Tous lui furent
obeissans
Si estoit cil mar-
quis gautier
Beau de corps fort
preu & legier
Noble de sanc et
de lignie
D’auoir Riche et de
seigneurie
65 Debonnes meurs
parfaitement
Enrichi naturelle-
ment
Desbiensde nature
et de grace
Petrarca
Inter caetera ad
radicem Vesuli,
terra Salutiarum,
vicis et castellis
salis frequens, Mar-
chionum arbitrio
nobilium, quorun-
dam regitur viro-
rum, quorum unus
primusqueomnium
et maximus fuisse
traditur Gualtherus
quidam ad quem
familiae ac terra-
rum omnium regi-
men pertineret, et
hic quidem forma
virens atque aetate,
nec minus moribus
quam sanguine no-
bilis, etad summam
omniumexpartevir
insignis, nisi quod
praesenti sua sorte
contentus, incurio-
sissimus futurorum
erat.Itaque venatui
aucupioque deditus,
sic illis incubuerat
ut alia pene cuncta
Druck
Aupied des mons,
a ung coste& d’Italie
oü est la terre de
Saluces, laquelle
estoit moult peu-
plee de bonnes
villes et chäteaux,
en laquelle avoit
plusieurs grands
seigneurs et gen-
tilz hommies des-
quels le premier et
le plus grant entre
eulx estoit appele
Gaultier,
principalement ap-
auquel
partenoit le gou-
vernement et do-
d’icelle
Et estoit
icelluy jeusne seig-
mination
terre
neur moult noble
de lignaige et plus
asses en bonnes
meurs; et en som-
me, noble en toutes
manieres.Fors tant,
qu’il ne vouloit que
et es
et passer
soy jouer
battre,
1) Der Druck, von Köhler an zweiter Stelle auf S. 510 erwähnt, stammt aus
dem 15. Jahrhundert und ist betitelt: „Le histoire et pacience de yriselidis.“
2) Aus Abkürzungen aufgelöste oder aus unleserlichen Buchstaben ergänzte Buch-
staben sind durch Cursivdruck bezeichnet. |
*) Der Text ist hier wie auf S..24 abgedruckt nach (rroeneveldls Angabe.
Hs. No. 24868
sa vie s’etoit de-
duit en boys en
riviere en chiens
en oiseaux et du
gouvernement de
sa seigneurie pou
se meloit pour la-
quelle chose une |
sassem-
blerent.
Griselidis in der französischen Literatur.
Histoire.
Si nest pas mestier
que jen face
Quant a present
plus long deuis
70 Mais il avoit son
deduit mis
Seul en chacier et
en voler
Seulement se voult
deporter
En oyseauz et en
chiens chassans
La Riviere li fu
plaisans
75 Et le bois au de-
duit des chiens
Mais point ne lui
plot li liens
Ne li estas de ma-
riaige
Souffrirnen vouloit
le seruaige
Ne nen vouloit oyr
. parler
80 Etpouleveiston
meller
De gouuerner sa
seignourie
Que deduit deme-
noit sa vie
Par champs par
boiz& parRiuierez
A son gre et main-
tes manieres
85 Mais ses barons
tant lenorterent
Par leur senz qua
ce lamenerent
Quil saccorda a
femme auoir
Affin de faire son
deuoir
Et que dele il eust
lignie
90 Pour maintenir
sa seignourie.
Petrarca
negligeret‚quodque
in primis aegre po-
puliferebant, ab ip-
sis quoque coniu-
gij consilijs abhor-
reret.Idaliquamdiu
taciti cum _ tulis-
sent, tandem cater-
vatim illum adeunt,
quorum unus cui
vel auctoritas ma-
ior erat, vel facun-
dia maiorque cum
suo duce familia-
ritas.
21
Druck
temps; il ne con-
sideroit point au
temps et es choses
advenir, mais seu-
lement fors que ä
chasser et a voller;
et ne pregnoit ä
aultre chose son
desduit et plaisir,
et de toutes aultres
peu Jluy
chailloit; et mes-
choses
mement ne se vou-
loit point marier.
Dont sus toutes les
aultres choses le
peuple estoit cour-
rouce, en tant que
une foys tous en-
semble allerent par-
ler A luy, et esleu-
rent P’ung d’eulx,
de
grant auctorite et
lequel estoit,
prive du dict seig-
neur.
22 Richard Schuster.
Aus der Vergleichung sehen wir, dass die Hs. und die Histoire
vielfach sehr enge Berührungen aufweisen, es ist jedoch der Zu-
sammenhang zwischen beiden nur indirekt, denn die Histoire wie
die Hs. gehen ja auf die gleiche Quelle, auf Pertrarka, zurück. Wir
erkennen ferner, dass sowohl der Druck wie die Hs. freie Über-
setzungen der Petrarkaschen Griselidisbearbeitung sind, dass aber,
wenn man so sagen darf, der Druck philologisch genauer ist als
die Hs. Die Abweichungen dieser Hs. von dem Druck in sprach-
licher und stilistischer Beziehung sind im Vergleich mit den andern
Handschriften am stärksten ausgeprägt; ferner zeigt sie starke
Abweichungen von dem von Köhler an erster Stelle genannten
Druck!) (S. 509). Die Hs. No. 24808 ist also eine dritte Über-
setzung neben den zwei verschiedenen Übersetzungen der Petrar-
kaschen Griselidis, welche als Volksbücher gedruckt worden sind.
Dann wäre noch über drei Handschriften zu berichten, die
"In der Bibliotheque de l’Arsenal von der Griselidiserzählung
vorhanden sind.
Am Kopf der Hs. No. 2076 auf fol. 225 lesen wir:
„Du commandement et soubz la correction de mon
maistre et a l’exemplaire des fames marides et toutes autres,
Jay mis, selon mon advis et entendment de latin en francoys
l’istoire, qui cy apres s’ensuyt, de la constance et patience
merveilleuse d’une feme, laquelle histoire translata de lombart
en latin un tres vaillant poete qui fut appel& Francois Petrarch,
dont Dieu ait l’äme.“
Anfang und Schluss der Hs. bieten nichts Besonderes.
Doch ist diese schlecht erhaltene, wurmzerfressene, schief linierte
Hs. die einzige, die eine bestimmte Angabe über die Zeit ihres
Entstehens bietet. Sie ist 1402 oder früher geschrieben, wie aus
folgender Notiz auf der inneren Seite des Einbands hervorgeht:
„Ego Henricus de Breteneriis nosco et confesso
vendisse librum istum nomine magistri Cautus, et fuit venditus
die Il. martis post Epyphaniam: praesens (sic) Willermum de
Puecain et Joannem Bouruety. Scriptum per manum meam,
anno Domini Mille CC CC° secundo.
Dem Aussehen nach zu urteilen, dürfte diese von Heinricus
de Breteneriis verkaufte Hs. die älteste aller vorliegenden sein;
sie wäre also spätestens 7 Jahre nach der Histoire entstanden.
1) Dieser Druck ist in Paris nicht mehr vorhanden, in Deutschland befindet
er sich auf der Grossherzoylichen Bibliothek zu Gotha (s. S. 28 Anm.t).
Griselidis in der französischen Literatur. 23
No. 2687 ist die schönste und best erhaltene von den drei
Handschriften der Arsenalbibliothek, sie ist auch aus dem
15. Jahrhundert, in 10 Kapitel eingeteilt und mit goldenen und
farbigen Initialen geziert. Fol. 102.:
„Cy commence l’istoire du mirouer des dames marides,
c’est assavoir de la haulte et merveilleuse vertu de pacience,
obedience, vraie humilite et constance de Griselidis, marquise
de Saluces.“ Anfang und Ende lauten: „Es confines de pie-
mont, en Lombardie....“ — „....pour son mortel mari.“
Die letzte Hs. No. 4655 ist wieder sehr schlecht geschrie-
ben, ohne Kapiteleinteilung, zeigt weder bunte noch grosse An-
fangsbuchstaben, stellenweise ist sie direkt unleserlich. Nach
den Schlussworten der Erzählung erhalten wir Auskunft über
den Eigentümer des Buches, Gauvain Quieret:
„Ce livre ycy appartient a mon tres honoure et tres
redoubte seigneur messire Gauvain Quieret, chevalier, seig-
neur de Daustreville et de Warquin en partie.“
Der Schluss der Erzählung weicht von der Petrarkaschen
Fassung insofern ab, als die Verheiratung der beiden der Ehe
Griseldens entsprossenen Kinder erzählt wird. _
Die zusammenfassende Betrachtung der Handschriften er-
gibt, dass die Weiterverbreiter der Griselidiserzählung in Frank-
reich uns weder ihren Stand noch ihren Namen überliefert haben,
doch dürften es in der Hauptsache Geistliche gewesen sein.
Der Prolog der Hs. No. 24394 erweist, dass ein Geistlicher ihr
Übersetzer ist. Die drei Handschriften der Arsenalbibliothek
und die sieben der Nationalbibliothek stammen aus dem 15. Jahr-
hundert, nur die Hs. No. 1881 rührt aus dem 16. Jahrhundert her.
Die schönste und deutlichste, selbst künstlerisch ausgeführte
Hs. befindet sich auf der Nationalbibliothek unter Nr. 12459
Älter noch als alle diese Handschriften ist die dramatisierte
Histoire der Griselidis vom Jahre 1395.') Groeneveld hat in
15 Punkten die Übereinstimmung zwischen der Aistoire und
Petrarkas Arbeit nachgewiesen, und nur dann und wann, viel-
leicht aus Raumrücksichten, ein paar Worte zur deutlicheren
Illustrierung angeführt. Klarer und deutlicher wird die Ab-
hängigkeit der /listoire von der lateinischen Vorlage werden
durch Gegenüberstellung eines grösseren Teils beider Texte.
1) Die ausführlichste Inhaltsangabe befindet sich in dem Theätre serieuxr
du moyen äge von Euy. Lintilhac im 1. Bd. (Paris 1901) auf S. 277— 293.
24
Richard Schuster.
Abnahme des Gehorsamsversprechens.
Histoire
938 A ton pere et a moy
agree
Que soies ma femme es-
pousee
Et croy que d’accort en
seras
Ne pas ne me Refuseras
Ainsi com je le pense
et croy
M’espeuse vueil faire de
| toy
Maiz auant vueil que
facons clere
45 Une chose deuant ton
pere
Que ou cas que je te
prendray
A femme et espouseray
Que jentens faire de
present
par droit
conuenant
Se de ta franche voulente
Le corage as entalente
Sauoir vueil
Et vuelz encliner et
soubzmettre
A ma voulente sanz |
demettre
Par telmaniere que de toy
55 Et de ta personne par
’ moy
Et de ce qui te touchera
Soit fait tout ce qui me
plaira
Repugnance ou
contredit
En fait enpensee ouendit
60 Nen signe en aucume
maniere
Sauoir vueil ta pensee
entiere
Sur ce si soiez auisde
Car il me plaist que
deuisee
Soitlachosep’nt ton pere
Sanz
Petrarca
Et patri tuo placet, in-
quit, et mihi ut uxor mea
sis. Credo id ipsum tibi
placeat; sed habeo ex te
quaerere, ubi hoc perac-
tum fuerit quod mox erit.
An volenti animo parata
sis, ut de omnibus tecum
mihi conveniat, ita ut in
nulla unquam re a mea
voluntate dissentias, et
quidquid tecum agere
voluero, sine ulla frontis
aut verbi repugnantia, te
ex animo volente mihi
liceat. Ad haec illa mi-
raculo rei tremens:
Druck!)
Griselidis, dist-il, il plaist
a ton pere et a moy que
tu soyes ma femme, et
je croy qıil te plaist
aussi; mais je t'ay a de-
mander et vueil savoir
de toy se de bon cueur
et bon vouloir tu es
preste et le veulx; mais
en quelque maniere que
ce soit, tu me prometz
que tu ne contrediras
a ma voulente, et que
tu veuilles et te plaise,
quant qu’il me plaira &
faire ne & dire. Et elle,
moult esbahye, toute
tremblant, respondit:
ı) Es ist der auf Seite 20 in der Anm. erwähnte Druck.
Griselidis in der französischen Literatur.
Histoire
65 Sire destre t’espeuse
chiere
Non mie ta poure me-
schine
Tant seulement ne sui
pas digne
Maiz puisque ta bonte
le vuelt
Et fortune ne le desuuelt
70 Ains doucement le me
presente
Jamais pour dolour que
je sente
Ne diray ne demanderay
Ne feray ne ne penseray
Chose que jepuissesauoir
75 Qui soit encontre ton
vouloir
Ne jamaiz Rien ne me
feroies
Non pas se morir me
faisoies
Que je ne souffre vou-
lentiers
Et telz est mes vouloirs
entiers
80 Ja par moy nen sera
menti.
Griseldis.
Petrarca
Ego mi domine, inquit,
tanto honore me indig-
nam scio; at si voluntas
tua, sique sors mea est,
nil ego unquam sciens,
nedum faciam, sed etiam
cogitabo, quodcontraani-
mum tuum sit, nec tu
aliquid facies, et si me
mori iusseris, quod mo-
leste feram.
25
Druck
Monseigneur, dist-elle, je
say certainement que je
ne suis pas digne ne
suffisante de si grant
honneur recevoir comme
vous me pre&sentez, mais
toutes foys, puisque ceste
chose vous plaist et est
votre voulente et mon
heur, jamais rien ne feray
ne ne penseray quelcon-
que chose ä mon pouvoir
qui soit contre vostre
voulente ou plaisir, ne
me ferez jamais chose,
et me fissiez-vous mourir
que je ne le souffre pa-
ciemment.
Diese Gegenüberstellung beweist zur Genüge, wie weit
der unbekannte Dichter der /iszoire die Hauptgedanken Petrarka
entlehnt hat, wenn er ‘auch im Einzelnen die Situationen mit
nebensächlichen Zügen weiter ausmalt und erweitert Der
„erbaulich-rührsame Dunstkreis, in den Petrarka die Geschichte
versetzt“ (Widmann) wird auch in der /istoire ebenso wie dort in
der Zeichnung der Charaktere sichtbar. Selbständige Zutaten sind
nirgends festzustellen. Griselidis erscheint wie bei Petrarka in
zu ideales Licht gerückt, wie bei diesem enthält sie sich in der
Histoire jeder Schmerzensäusserung bei der Wegnahme der
Kinder; menschlicher und als Mutter wahrscheinlicher und
natürlicher stellt sie uns bei diesem Akt Boccaccio dar, hier
hält sie ihre Klagen nicht zurück. Das Gehorsamsversprechen,
26 ° Richard Schuster.
das der Markgraf von Griselidis verlangt, ist, trotzdem dieser
weit humaner als bei Boccaccio gezeichnet ist, doch in stärkeren
Ausdrücken gehalten. Bemerkenswert ist, dass das „sine ulla
frontis aut verbi repugnantia“ in der poetischen Bearbeitung
genauer übersetzt ist als in der sonst natürlicherweise wörtlicheren
prosaischen.
Es liegt nun sehr nahe, die verschiedenen französischen
Drucke des 15. und 16. Jahrhunderts mit einander zu vergleichen.
Köhler weist zwei verschiedene Übersetzungen der Pe-
trarkaschen Griselidis nach, welche als Volksbücher gedruckt
worden sind. Die eine Übersetzung ist in drei Drucken vor-
handen. Als einziges Exemplar davon in Deutschland findet
sich auf der Universitätsbibliothek Jena unter der Signatur Op
th IV, g. 17 der erste Druck!) mit dem Titel: „La pacience de
griselidis, marquise de saluces“ (zwischen 1499 und 1504 in
Paris gedruckt). Das Buch enthält 223 Folioseiten und 13 Er-
zählungen, die siebente ist die Erzählung der Griselidis (fol. 107
bis 122). Nicht uninteressant dürfte wenigstens eine Anführung
der Titel der in diesem alten französischen Volksbuch ent-
haltenen Erzählungen sein.
Il. La confession de frere Olivier Maillard.
Il. Conseil pourfitable contre les ennuys et tribulations
du monde,
III. Le purgatoire Saint Patrice.
IV. Les quinze ioyes de mariage.
V. La vie de Robert le Diable.
VI. Les Souhays des hommes.
VII. La pacience de Griselidis, marquise de Saluze.
VII. Le Cordial. u
IX. La vie Saint Jehan Baptiste
X. La doctrine du pere au filz.
XI. Les demandes ioyeuses pour rire.
XI. Paris et Vienne.
XII. L’ospital damour.
J, hat Kapitelüberschriften, jedem Kapitel ist ein Holzschnitt
beigefügt; doch ist die Überschrift nicht merklich getrennt vom
Text, nur durch den Holzschnitt ist jedesmal hervorgehoben,
ı) Für diesen Druck führe ich die Abkürzung „J,“ ein.
Griselidis in der französischen Literatur. 27
dlass ein neuer Abschnitt beginnt; beim ersten Kapitel steht an
Stelle der Überschrift der folgende Prolog:
„Pour exemple et rememoration des femmes mariees et
de toutes aultres generallment selon la rudit€E de mon petit
entendement pour scavoir explaner langaige plaisant comme
scavent aorner et exposer les souverains orateurs poetes
et excellens rethoriciens par quy ie humble et simple com-
positeur supplie a ung chascun qui ce present traictE vouldra
lire pour prendre exemple .ou recreation qu’il leur plaise auoir
agreable l’histoire exemplaire que j’ay a ma possibilite trans-
late de latin en langaige francoys comme cy apres s’ensuyt.
En laquelle hystoire est contenue par escript la vertueuse
et merveilleuse sapience d’une femme qui iadis fut nommee
Griselidis fille d’ung poure homme rustique appell& Janicole
demourant au pays de saluces. Et premierement du pays
et comment le marquis de saluces desiroit passer son ieune
aage sans auoir voulent€E de soy marier. Et comment le dit
marquis fut prie et requis d’aucuns de ses gentilz hommes
familiers qu’il luy pleust de soy marier pour le prouffit et
utilitE du pays et de la responce quwil leur fist.“
Von der Disposition dieser Petrarkaübersetzung erhält man
am besten ein Bild durch Anführen der Kapitelüberschriften:
2. cap. Comment apres les preparations faictes le dit
marquis se disposa pour venir demander a feme et
espouse Griselidis fille du poure homme ianicole.
3. cap. Comment le marquis et Griselidis furent espous&s
ensemble.
4. cap. Comment griselidis fut esprouude et temptee du
marquis.
5. cap. Comment le marquis envoya querir sa fille par
ung sergent et comment il la fist envoyer a Boulogne la
grasse a sa seur pour la gouverner et endoctriner comme
il appartient aux enfans des grans seigneurs.
6. cap. Comment derechief le marquis de saluces veult
tempter sa femme griselidis et luy oster son filz, et de la
franche pacience qu’elle eut en son adversite.
7. cap. Comment le marquis de saluces derechief envoya
son sergent loyal a la marquise Griselidis pur luy oster
son filz comıne il auoit fait de sa fille.
28 Richard Schuster.
8. cap. Comment puis apres le marquis dist a son espouse
griselidis qu’il vouloit prendre une aultre femme
que elle,
9. cap. Comment griselidis fut deuestue de tous les veste-
mens et comment elle rendit au marquis tous les ioyaulx
excepte sa chemise.
I0. cap. Comment le marquis envoya querir griselidis pour
servir a la solempnite ou il declaira son intention a son
espouse griselidis et ce qu’il fut fait a la dicte solemnite.
Am Schlusse lesen wir noch:
„Imprim& a paris par Jehan treperel demourant en la
rue saint iaques a l’enseigne saint laurens pres saint yves.“
Mit dem eben besprochenen Druck stimmt inhaltlich wört-
lich überein die am 24. April 1522 in Paris gedruckte Erzäh-
lung:') „La patience griselidis marquise de saluces.“
Äusserlich sind einige Unterschiede zwischen beiden Drucken
hervorzuheben. Einmal befindet sich im Druck von 1522 nur
die Erzählung von Griselidis, andere Erzählungen fehlen, ferner
ist der Druck in G im Gegensatz zu dem vorhin besprochenen
Buche sehr klein; die Holzschnitte zu Kapitel 5, 6, 8 und 10
fehlen völlig bei.G, die Holzschnitte im 2., 3., 4., 7. und 9. Kapitel
stimmen nicht überein mit denen in den gleichen Kapiteln bei ],
Auf einige kleine sprachliche resp. orthographische Verschie-
denheiten wäre dann noch hinzuweisen: G hat Zangaige, aucuns,
chier, J, Zangage, aulcuns, cher.
Auf denselben Übersetzer wie die in Jena und Gotha vor-
handenen Drucke geht auch die folgende im Verlag von Benoist
Rigaud in Lyon im Jahr 1577 erschienene Übersetzung der
Petrarkaschen Griselidis zurück:
„Histoire de la patience de Griselides fille d’un pauure homme
rustic appell& Janicolle demourant au pais de Saluces etc.“.. .?)
1) Dieser Druck ist in Deutschland nur auf der herzoglichen Bibliothek
zu Gotha vorhanden. Abkürzung: @.
Am Schluss des Büchleins lesen wir: Imprime a parıs le 24 iour d’avuril
mil cing cent 22 par philippes le noir libraire et Vung des dewxc grans relieurs
turez de Vumiversite de paris. Demourant en la grant rue saint twaques a V’enseigne
de la rose blanche couronnee.
?) Dieser Druck ist nur vorhanden auf der Stadtbibliothek Zürich unter
der Signatur: XVIII. 176. 5. (Abkürzung: Z.)
Griselidis in der französischen Literatur. 29
Inhaltlich stimmt Z Wort für Wort mit G überein; jedoch
zeigt Z moderneren weiteren Druck und umfasst 32 Seiten,
während der Lenoirsche Druck (G) die Geschichte der Griselidis
auf 18 Seiten zusammengedrängt hat. In dem Rigaudschen Druck
erscheint die Griselidis in Gesellschaft folgender Erzählungen:
I) Conqueste du grand Charlemaigne, Roy de France et
des Espaignes: Avec les faicts et gestes des douze pairs
de France, et du grand Fierabras, et le combat faict par
luy contre le petit Olivier, qui le vainquit.
2) Histoire des nobles prouesses et vaillances de Galien
Restaure, fils du noble Olivier le marquis; et de Ja
belle Jaqueline fille du roy Hugon empereur de Con-
stantinople
3) Histoire des gestes du preux et vaillant chevalier Bayard
d’Auphinois. 1580.
4) L’histoire terrible et merveilleuse de Robert le Diable,
lequel apres fut nomme& I’homme Dieu.
5) Griselidis. |
6) Histoire admirable de Jeanne la Pucelle, native de
Vaucouleur.
Wieder auf der Uhniversitätsbibliothek Jena befindet sich
unter der Signatur 4. A. 1. XII I(*) eine aus dem 15. Jahrhundert
stammende Übersetzung der Petrarkaschen Griselidis, die auch
im Wortschatz und in den Satzwendungen von den drei bis
jetzt besprochenen ziemlich verschieden ist.!) J, Z und G
sind verschiedene Drucke derselben Übersetzung. Auf der
Pariser Nationalbibliothek findet sich nur der mit ]J, gleich-
lautende Druck. Auch zeigen bei J, die zwölf Kapitelüber-
schriften, die hier wie dort selbständige Zutaten des Übersetzers
sind, dass der zweite Übersetzer die Kapitel nach völlig anderen
Gesichtspunkten eingeteilt hat wie der erste. Hiedurch ist schon
in der Hauptsache erwiesen, dass der zweite Übersetzer völlig
unabhängig vom ersten seine Übersetzung anfertigte; die weiter
unten zum Vergleich angefügten Textproben beider Übersetz-
ungen veranschaulichen das Gesagte aufs Deutlichste. —
Der Prolog bei Js beginnt also: |
„Est le tres noble mireouer de vertu de pacience d’obe-
dience de vray humilit€ et de constance. Auquel se doi-
09 Abkürzung: Je. Le histoire et patience de Griselilis (vgl. 8.20 Anm.1).
Druckort, Druckjahr sowie der Name des Druckers sind nicht überliefert.
30
Richard Schuster.
bvent mirer toutes dames marides voulans et desirans faire
leur devoir en mariage envers dieu et leurs maris pour
. avoir l’amour de dieu et de leurs seigneurs et maris. Et pour
avoir louenge et honneur de tout le monde et comme elles
le doibvent faire et y sont tenues. En pregnant exemple a
la tres noble dame de haulte et merveilleuse vertu la dame
griselidis iadis marquise de saluces qui eut toutes les vertus
dessus dictes avecques vraie amour chastet@ et perseverence
a son seigneur de laquelle la propre histoire sensuyt.“
Ich begnüge mich mit der Aufführung der jeweiligen
Kapitelüberschriften.
1.
2.
3.
4.
oO Io Qu
9,
10.
11.
12.
cap. (Vorstehender Prolog.)
cap. La requeste que les barons et chevaliers firent
a leur seigneur.
cap. La responce du marquis A ses barons.
cap. La premiere temptacion que le marquis fit ä
griselidis.
. cap. La responce de la dame a son seigneur.
. cap. La responce de la dame au sergant.
. cap. La seconde tentation de la dame.
. cap. La responce de la dame & son seigneur, qui fust
de merveilleuse vertu et pacience.
cap. Latierce temptacion que le marquis fist a sa femme.
cap. La responce de la dame a son seigneur.
cap. La grant pacience et grant vertu et obedience.
cap. La responce du marquis a sa femme presens
ses barons.
Als Textprobe der beiden Drucke J, und G möge die Bitte
der Barone und Ritter an den Marquis, sich wieder zu ver-
heiraten, dienen. Man wird sofort die Verschiedenheit im Stil
und in der Satzkonstruktion der beiden Übersetzungen erkennen.
Griselidis in der französischen Literatur. 31
G (Lenoir)
Ton humanite sire mar-
quis nous donne hardy-
ment:pourcequebesoing
nous est de par tous
subiectz et hommes non
pas que j’aye aucune sin-
gularit@ en ceste chose:
fors qu’entre les aultres
tu m’as chier de ta grace
comme aultrefoys ie t’ay
esprouve. Ft comme il
soit ainsi que tous tes
faitz me plaisent et tou-
iours nous ont pleu si que
noussommes heureux que
tauons a seigneur, mais
une chose est laquelle si
tu nous veulx accorder
nous serons. se nous
semble, plus aises de tous
noz voisins. Cest assavoir
que tu te veuilles marier
sans plus attendre, car le
temps se passe et s’en
va. Et iacoit ce que tu
soyes ieune et en fleur
de ieunesse tu envieillis
sans dire mot et est la
mortprochaineatonaage,
ne nul ne luy eschappe,
mais tout ainsi fault
mourir lung
’aultre,etnesceton quant
ne comment. Or doncques
recois et accepte les
humbles suplications et
prieres et requestes de
ceulx charger de toy
querir femme et nous la
te querrons telle que elle
sera digne de toy avoir
et de si bon et de si grant
lieu que par raison devras
esperer tous biens d’elle.
Orten delivre donc, nous
ten prions de ton grand
comme
Petrarca.
Tua, inquit, humanitas
optime Marchio, hanc
nobis praestat audaciam
ut et tecum singuli quo-
tiens res exposcit devota
fiducia colloquamur, et
nunc omnium tacitas vo-
luntates ‚me a vox tuis
auribusinvehat, non quod
singulare aliquid habeam,
ad hanc rem, nisi quod
tu me inter alios charum
tibi multis indicijs com-
probasti. Cum merito
igitur tua nobis omnia
placeant semperque pla-
cuerint, ut foelices nos
tali domino iudicemus
unum est, quod si a te
impetrari sinis, teque no-
bis exorabilem praebes,
plane foelicissimi finiti-
morum omnium futuri
sumus, ut coniugio, scili-
cet animum applices, col-
lumquennonliberummodo
sed imperiosum legitimo
subijeias iugo, idque
quamprimum facias, vo-
lant enim dies rapidi, et
quamquam florida sis
aetate, continue tamen
hunc florem, tacita senec-
tus insequitur morsque
ipsa omni proxima est
aetati,nulli muneris huius
immunitas datur, aeque
omnibus moriendum est,
utque id certum, sic illud-
ambiguum quando eve-
niat. Suscipe igitur ora-
mus eorum preces; qui
nullum tuum imperium
recusarent, quaerendae
autem coniugis studium
noPis lingue, talem enim
J
Sire Marquis, ton hu-
manite nous donne har-
diesse de parler ä& toi
feablement ethardiement,
ettevueil dire et requerir
de par tous les hommes
et subjectz. non pas que
jaye aulcune singularite
a ceste chose, fors que
entre les aultres tu m’as
chier de ta gräce. Comme
en maintes manitres je
’ay esprouv&, et comme
doncquesetäbonne cause
tu nous plais, et as tou-
jours pleu; si que nous
tenons pour moult heu-
reux de ce que nous
t’avons ä seigneur. Mais
d’une chose te prions
laquelle chose se te nous
veulx accorder et oc-
troyer, nous serons, se
noussemble,lesplusaises
de touz nos voisins. C’est
assavoirque tu teveuilles
marier sans plusattendre,
car le temps passe et
s’en va; et jasoit ce que
tu soyes jeune et en fleur
de jeunesse la mort suit
etchasse, etest prochaine
a toutes gens ne ou ne
luy :peult eschapper; et
aussi bien faut-il mourir
ung comme l’aultre; et
ne scet homme quant ne
comment. Or doncques
recoy etaccepte noz prie-
res, car nous t’en prions
et supplions, et t’en fai-
sons prieres et requestes
de par ceulx que nul de
tes commandemens ne
refuseroient, que tu nous
veuilles charger de toy
32
G (Lenoir)
prouffit et honneur, car
tu scez se tu alloyes de
vie a trespas nous de-
mourrions sans seigneur
dont grant esclandre et
dommaige nous en pour-
roit ensuyvre et si ne
seroyes mye tant a louer
apres ta mort.
Richard Schuster.
Petrarca
tibi procurabimus, quae
te merito digna sit, et
tamclaris orta parentibus
ut de ea spes optima sit
habenda, libera tuos om-
nes molesta sollicitudine
Quaesumus ne si quid hu-
manitas tibi forsan acci-
deret, tu sine tuo succes-
sore abeas, ipsi sine
uotiuorectoreremaneant.
J»
querir feme, et now
la te procurerons tell
qu’elle sera digne de
t’avoir, et de si bon
de si grant lieu que par
raison devras espe6rertout
bien d’elle. Or, ten de-
livre; carnous t’en prions
de grant affection, affın
que se tu mouroyes, nous
ne demourissions sans
seigneur et gouverneur.
Beide Übersetzungen folgen ohne nennenswerte eigene
Zutaten Satz für Satz Petrarca. Allgemein gilt für den Über-
setzer von J,, dass er im Vergleich zu G Neigung zur stärkeren
Hervorhebung der einzelnen Wortgruppen besitzt. Entweder
sucht er eine verstärkende Partikel wie moulf einzuschieben,
oder er wendet bei Verben gern zwei synonyme Ausdrücke an.
Wenn in G z.B. impetrari mit accorder übersetzt wird, so wird
in J, dieses Zeitwort mit accorder et octroyer wiedergegeben.
An Einzelheiten sei noch auf kleine sprachliche Verschieden-
heiten hingewiesen. G hat or, J], homme, J, übersetzt @ ceste
chose, G en cheste chose. )J, übersetzt volant emin dies mit car
le temps passe, G verwendet hiefür das reflexive Verb se passer.
Auf sämtliche französische Übertragungen von Petrarkas
Text trifft das über dessen Griselidis gefällte Urteil Widmanns
zu, der auf S. II schreibt:
„Petrarkas Mythologie steht trotz mancher hübscher
Einzelzüge an künstlerischem Wert hinter Boccaccios Novelle
weit zurück; denn sie hat die Unnatur und Rohheit des
Stoffs durch Ausführlichkeit und Aufdringlichkeit der Dar-
stellung, falsche Idealisierung der Charaktere und moralische
Rührseligkeit entschieden verschärft. Aber gerade diese
Mängel bedeuten für eine didaktische Geschmacksrichtung
ebenso viele Vorzüge: daher der grosse internationale Erfolg
der Geschichte.“
Jedoch tritt in den französischen Volksbüchern, allerdings
nicht so stark wie in den deutschen, die Eigenart der Über-
|
|
|
Griselidis in der französischen Literatur. 33
setzer in kleinen Abänderungen, Zusätzen und Weglassungen
hervor.
„G“ hat allem nach zu urteilen einen Geistlichen als Ver-
fasser. Wenn irgend möglich, kommen in dieser Übersetzung
Anrufungen an Gott vor; der Übersetzer geht darin weit über
Petrarka hinaus. J, bleibt in dieser Beziehung eher hinter der
lateinischen Vorlage zurück. Die religiös angehauchte Schluss-
moral Petrarkas bringt G, während J, sie weglässt. Sie lautet:
„Cest assauoir que ceste histoire a este descripte a la
memoire des hommes et non tant seulement affin que les
dames et matrones de nostre temps doiuent ensuiuir la pa-
cience de ceste noble dame laquelle pacience semble estre
impossible a porter. Mais a celle fin que les liseurs de ceste
hystoire se doiuent bien eiforcer d’auoir loyault€ amour et
constance enuers dieu ainsi que ceste noble dame fist enuers
son mary combien que comme dit sainct Jacques l’apostre
- dieu ne tempte pas les gens ainsi que fist le marquis de
saluces a sa femme et espouse griselidis. Mais aulcuneffois
dieu consent que nous ayons souuent des aduersitez, et
maintes tribulations affin que par les tribulations continuelles
nostre propre fragilit€E nous soit monstree et de tout bien
congneue.‘“
Ueberhaupt ist die Übersetzung G viel weitschweifiger als
J,, welch letztere manches Nebensächliche weglässt. ' ]J, hat z. B.
nicht wie G den folgenden schon bei Petrarka religiös ge-
wendeten. Satz übersetzt:
P
Quicquid in homine boni est,
non ab alio quam a Deo est. Illi
ergo et status et matrimonij mei
sortes sperans de sua solita pietate
commiserim, ipse mihi inveniet,
quod quieti meae sit expediens
ac saluti.
G
Touteffoys aulcun bien vient a
’homme tout vient de dieu de
Jessus et a luy ie recommande le
fait de mon mariage touiours
esperant en sa doulce beaute qui
me octroye avecques mes amys
telle chose avec laquelle ie puisse
vivre en paix et en repos expediant
mon salut.
Auf die Übersetzung G geht das moderne Volksbuch zu-
rück : „Le miroir de Dames ou la Patience de Griselidis, autrefois
3
34 Richard Schuster.
marquise de Saluces, oü il est montre la vraie obeissance que
les femmes vertueuses doivent & leurs maris.“
Diese Erzählung findet sich in der Histoire des livres po-
pulaires von Ch.Nisard auf Seite 482— 493; ferner auf Seite 48—65
in Jaques Loyseau Les fabliaux du moyen äge colliges,
Paris 1848, Griselidis Ausser Griselidis finden sich bei Loyseau,
der mir für meine Untersuchung vorgelegen hat, les Aventures
de Tyl P’Espiegle und le Roman du Renard.
Der Bearbeiter hat sich im Gang der Handlung ziemlich
eng an die Übersetzung G angelehnt. Ein Beispiel aus der
Beschreibung von Griseldens Fürsorge für den Vater wird das
Gesagte deutlicher veranschaulichen:
G. Miroir.
Elle appareilloit les poures vian- Elle lui appretait son modeste
des de fortune, et puis le couchait repas, le levait ou le couchait sur
et le matin le levait: briefvement son lit, et lui rendait tous les ser-
toute l’humanite que fille doit faire vices et tous les soins qu’une fille
a pere tres doulcement elle luy doit ä son pere.
faisoit.
Der Bearbeiter hat natürlich den Text orthographisch und
grammatisch erneuert, sonst aber bestehen die Änderungen,
die er sich erlaubt, hauptsächlich in Weglassungen oder in
wesentlicher Kürzung breit wiedergegebener Reden, die den
Fortschritt der Erzählung aufhalten. Solche Änderungen, aus
denen eine andere als Petrarkas Auffassung der Hauptcharaktere
sich ergeben würde, kommen bei ihm nicht vor. Auch selbst-
ständige kleinere Züge, wie sie sich in der deutschen Griselidis-
übersetzung von Fiedler finden, fehlen in der französischen
völlig. Wenn z.B. bei Fiedler Janicola bei der Heimkehr seiner
verstossenen Tochter auf den Trug und die Untreue der grossen
Herren schilt, so bewahrt dieser im Miroir völlig die Ruhe
und schwingt sich sogar zu folgendem unwahrscheinlichen Ver-
halten auf:
„sans t@moigner ni couroux ni douleur, il remercia les
dames et les chevaliers qui l’avaient accompagnee, et les
exhorta ä bien aimer leur seigneur et & le servir foyalement.“
Der Papst ist in dem modernen Volksbuch völlig ausge-
schaltet, während die alten Volksbücher berichten, der Marquis
Griselidis in der französischen Literatur. 35
habe vom Papste zur Verstossung seiner Gemahlin die nötige
Erlaubnis erwirkt Im Miroir wird uns kurz und bündig berichtet:
„A fit courir le bruit qu’il allait r&pudier sa femme pour
en prendre une autre.“
Sind die Änderungen hinsichtlich des Inhalts ganz gering-
fügiger Natur, so zeigen doch manche Stellen an, dass der
Übersetzer über dem Stoffe stand und gesundes Gefühl nicht
ganz verloren hatte. Bezeichnend hiefür sind die Reflexionen,
die er bei den Griselden auferlegten Prüfungen anstellt.
„Oh! Quelle douleur mortelle dut ressentir en ce moment:
cette femme incomparable, quand, se rappelant qu’elle avait
deja perdu sa fille, elle vit qu’on allait lui ravir encore ce
fils, son unique esperance! Quelle est, je ne dis pas la
mere tendre, mais me&me l’etrangere compatissante, qui,
ä une telle sentence, eüt pu retenir ses larmes et ses cris?“
„Apres deux aussi terribles Epreuves, Gautier eüt bien
dü se croire sür de sa femme et se dispenser de l’affliger
davantage. Mais il est des coeurs soupgonneux que rien
ne guerit, qui, lorsqu’ une fois ils ont commence, ne peuvent
plus s’arreter, et pour lesquels la douleur des autres est
un plaisiir Non seulement la Marquise paraissait oublier
son double chagrin, mais, de jour en jour, Gautier la trou-
vait plus soumise; et neanmoins il se proposait de la tour-
menter encore.“
36 Richard Schuster.
Eine kürzere prosaische Fassung der Griselidis findet sich
in dem Werke von Olivier de la Marche (1426-1502): Le
Parement et Triumphe des Dames d’honneur.!)
Nach einem von mir auf der Nationalbibliothek vorge-
nommenen Vergleich zwischen le Parement und La Source
d’Honneur (Lyon 1531), bin ich zu dem Ergebnis gelangt, dass
das zweite Werk nur eine Neubearbeitung des Triumphe des
Dames ist, der einzige Unterschied besteht in der Umstellung
der Kapitel. Von dem Werk Oliviers ist 1870 ein Neudruck
erschienen, bei dem aber die lateinischen Anmerkungen des
ersten Herausgebers von des Dichters Werken fehlen.?)
Julie Kalbfleisch hat in einer Berner Dissertation vom
Jahre 1901 den „Triumphe des Dames“ von Olivier de la Marche
nach den Handschriften neu herausgegeben, sie weist auf S. XX
nach, dass „wir es in den Prosastücken (also auch in dem von
mir in Paris benützten Druck) mit einer mehr oder minder
glücklichen Korrektur zu tun haben“ und die ursprüngliche
Fassung nur in den Handschriften ist. Nachstehend folge ich
ihrer Ausgabe (S. 31—36) bei meiner Besprechung.
| Was den Inhalt anlangt, so ist die Griselidis des Olivier
de la Marche von allen französischen Volksbüchern die freieste
Bearbeitung der alten Erzählung, weniger religiös -und senti-
mental gefärbt als die Griselidis Petrarkas. Man merkt: der
glatten, flüssigen Darstellungsform den gewandten Erzähler ohne
weiteres an.
Die geographische Einieitung fehlt, die langen Reden der
Vasallen an ihren Herrn, die Antwort des Marquis, die Rede
und Antwort des Janicola sind nicht in direkter Rede angeführt,
sondern in wenigen Worten wird deren Hauptinhalt erzählt. Die
Reden des Marquis und die Antwort der Griselidis bei der
Wegnahme der Kinder und bei ihrer Verstossung sind direkt,
1) Köhler täuscht sich, wenn er auf 5.516 meint, im Magasin pittoresque
1838, 356 f. finde sich eine Analyse dieses Werkes. Es ist dies nur eine Art
kulturgeschichtlicher Aufsatz, der über das Aussehen und die Verwendung der in
15. Jahrhundert üblichen Bekleidungsstücke handelt und zwar genau nach dem
Werk Oliviers.
?®) Exemplar des Neuwdrucks auf der Berliner Universitätsbibliothek.
Griselidis in der französischen Literatur. 37
aber.kurz und prägnant angeführt, die gegebenen Situationen
und die Empfindungen der handelnden Personen werden wenig
ausgemalt. | |
Der Charakter des Marquis ist von Olivier weniger human
gezeichnet als in den Petrarka folgenden alten Volksbüchern.
Bei Olivier teilt der Marquis in rauhen Worten seiner Gemahlin
mit, ihr Kind müsse auf Verlangen seiner Verwandten sterben.
„Et par ung matin entra en la chambre de sa femme
qui. gisoit en son lit, fist chacun partir de sa chambre et lui
dist qu’elle ne fut que fille de Jehan Nicholle, povre fille et
de petite extraction, et que les parens de lui, qui estoient
princes et de grant lignaige, n’entendoyent point que la lignie
venue de sy petit lieu a cause d’elle deust succeder a sy
haulte signourie, et que en effect il vouloit celle leur fille
faire morir pour complaire a ses parens. La dame lui
respondit passiamment: „Monseigneur, le fruit est vostre;
vostre gre soit le plaisir de dieu.“ |
Auch sucht Olivier nicht psychologisch zu erklären, warum
Wuistasse, marquis de Salise, seiner Frau all diese Prüfungen
auferlegt; es ist ihm nicht darum zu tun, uns seine Handlungs-
weise irgendwie verständlich zu machen. Er folgt im allgemeinen
dem Gang der Handlung in der Petrarkaschen Griselidis, wenn
er auch ausser dem nicht näher begründeten Prüfungsmotiv')
noch eine einschneidende Änderung in der Richtung sich er-
laubt, dass er von Griselidis kein Gehorsamsversprechen verlangt.
Griselidis zeichnet sich wie bei Petrarka durch einen
willenlosen, hingebenden Gehorsam aus, ohne dass wie bei
diesem ihre Liebe hiefür als Erklärung diente, durch das Unter-
drücken jeglicher Schmerzensäusserung erscheint sie hier eher
als abstrakter Typus denn als ein Wesen von Fleisch und Blut.
Mit richtigem Gefühl übergeht Olivier, dass Griselidis schon als
Jungfrau einen virilis senilisque anımus besitzt, auch vertritt
sie nicht wie eine geborene Regentin ihren abwesenden Gemahl
in Regierungsgeschälten.
Wenig Worte braucht Olivier, um sie uns vor der Hoch-
zeit klar und anschaulich zu schildern.
1) Le marquis qui fut homme soubtil et de fort couraige, praticqua pour
executer son desir et voulut assayer la constance et obeijssance de sa femıne.
38 Richard Schuster.
„Ceste Griselidis estoit jeusne de quinze ans, belle,
dilligente et de bonnes meurs, servoit son pere soigneusement,
estoit humble et devotte et fort recommandee par renom
en vertu.“
Bezeichnend ist auch, dass der Marquis nur bei Janicolle
um Griselden anhält, sie wird überhaupt nicht gefragt.
„Et tout droit vint descendre a l’ostel de Jehan Nicholle
et requist au preudomme qu’i lui donnast sa fille en mariage.
Le preudomme just tout honteulx, aussy fut la fille et tous
ceulx qui la furent. Mais le marquis le volt avoir et la
fiancha de main de prestre.“
Janicolle wird als gescheiter, wenn auch als armer Untertan
geschildert. Da er ein kenntnisreicher Mann ist, sucht der
Marquis gerne seine Gesellschaft auf. Er weiss von den Aben-
teuern seiner Zeit und selbst von den Taten und Eroberungen
der Vorgänger des Marquis viel zu berichten.
„A quoy le Marquis Witasse prenoit grand recreation et
plaisir.“
Bei diesen Besuchen hat er Griselidis kennen gelernt.
An epischen Kleinigkeiten ist noch zu berichten, dass der
Verfasser die beiden Kinder Griseldens Elizabeth und Jehan
heisst und der Altersunterschied bei ihnen nur ein, nicht vier
Jahre beträgt. Zur angeblichen Ermordung seiner Kinder be-
dient er sich zweier varletz; Petrarka spricht nur von einem
sergent.
Auf 144 Zeilen ist die Erzählung Oliviers zusammengedrängt,
jedes unnötige Detail ist vermieden, kein Vor- und Nachwort
bringt eine Beurteilung des Inhalts, Schlag auf Schlag folgen
sich in gedrängter Kürze die Ereignisse. Jegliche Schönfärberei
und moralische Rührseligkeit fehlt und gereicht der Erzählung
im Vergleich zu Petrarka zu grossem Vorzug. Inhaltlich viel-
leicht Petrarka gleichwertig, ist Oliviers Griselidis formell in
Bezug auf Anschaulichkeit, Kürze der Handlung und gewandte
Darstellung der lateinischen Vorlage sicher überlegen.
Griselidis in der französischen Literatur. 39
ll. Verserzählungen.
Die Griselidis hat in Frankreich zwei poetische Behand-
lungen in epischer Form erfahren.
Peraults Novelle!) in Versen: La Marquise de Saluses,,
ou la patience de Griselidis erschien im Jahre 1691, als
ihr Verfasser 63 Jahre alt war.?)
Perault hat sich bei seinen 932 Versen keines bestimmten
Versmasses bedient, doch bevorzugt er den Achtsilbner und
den Alexandriner vor dem Zehnsilbner.
Als Quellen dienten ihm das französische Volksbuch und
Boccaccio; er hat seinen Stoff ziemlich frei behandelt. In einer
langen Schilderung rühmt er die Vorzüge des Helden: seine
schöne Gestalt, seine Schlachtenbegeisterung, seinen Sinn für
1) Über diese Novelle hat Saint-Marc Girardin im vierten Band auf
8.326 ff. seines Cours de literature dramatique gehandelt. Sehr ausführlich
hat Westenholz darüber geschrieben in seinem Buche „Griselidis in der Literatur-
geschichte.“ Nach einer ausführlichen Inhaltsangabe weist er nach, inwiefern
Perrault seinen Stoff frei behandelte und welche wesentlichen Änderungen der
Fabel er sich erlaubte.
Theodor Pletscher widmet in seinem Buch „Die Märchen Charles Perrault’s“
(Berlin 1906) auch der Griselidis zwei Seiten. Neu ist in dieser Besprechung
die Wiedergabe von Teilen einer gegen Perraulis Griselidis gerichteten scharfen
Kritik, wie sie sich findet im BRecueil Moetjens 1694 in zwei Lettres de Monsieur**
iı Mademoiselle*** sur les pieces de Griselidis & Peau d’Asne, de Mr. Perrault
(s. Pletscher 8. 19).
2) Elle parut a Paris en 1691, chez Jean Baptiste Coignard. L’auteur
en avait fait une lecture dans une des seances publiques de ’ Academie francaise
et, ü ce titre, elle fut imprimee dans le volume que cette compagnie publiait alors
tous les ans (s. Walkenaer: Lettres sur les Contes de Fees attribues a Perrault,
Paris 1826, p. 13).
40 Richard Schuster.
Kunst, seinen praktischen Blick in Regierungsgeschäften, seine
landesväterliche Fürsorge. Schade, dass der Fürst ein solcher
Weiberhasser ist.
Ce temperament heroique
Fut obscurci d’une sompre vapeur,
Qui, chagrine et melancolique,
Lui faisait voir dans le fond de son coeur
Tout le beau sexe infidele et trompeur.
Kein Wunder, dass die Gesandten, die kommen, ihn zu
einer Heirat zu bewegen, eine Fehlbitte tun, in mehr als 30 Versen
zählt der Fürst die schlimmen Eigenschaften des Weibes auf.
Kurz hierauf reitet er auf die Jagd und erblickt, abgesondert
von seinem Gefolge, Griseldis.
C’etait une jeune bergere
Qui filait au bord d’un ruisseau,
Et qui, conduisant son troupeau,
D’une main sage et menagetre
Tournait son agile fuseau.
Elle aurait pu dompter les coeurs les plus sauvages;
Des lis son teint a la blancheur,
Et sa naturelle fraicheur
S’etait toujours sauvee A l’ombre des bocages;
Sa bouche de P’enfance avait tout l’agr&ment,
Et ses yeux qu’adoucit une brune paupiere
Plus bleus que n’est le firmament
Avaient aussi plus de lumietre.
Der Fürst heiratet Griselden, nachdem sie ihm zuvor ge-
schworen hat nie einen andern Willen als den seinen zu haben.
Ehe das Jahr zu Ende ist, wird den erfreuten Eltern eine Prinzessin
geboren. Nun beginnt die Leidenszeit Griseldens, denn das Über-
mass ihrer Tugend verletzt den misstrauischen Gatten, er sagt
sich, dass auch die härteste Behandlung nur dazu dienen kann,
diese Tugend, falls sie echt ist, zu befestigen. Wie eine Ge-
fangene hält er sie in ihrem Zimmer zurück, all ihren Schmuck,
an dem sie eine lebhafte Freude empfindet, muss sie heraus-
geben. Griselde fasst — und dies ist das wesentlichste, im
Unterschied zu den andern Bearbeitungen ganz neue Moment
in der Charakterzeichnung der Heldin — alle Heimsuchungen
als von Gott kommend auf, nur dazu bestimmt ihre Stand-
haftigkeit und ihren Glauben zu prüfen.
Griselidis in der französischen Literatur. 4
[110] Il me choisit comme un enfant qu’il aime,
Et s’applique ä me corriger.
Aimons donc sa rigueur utilement cruelle;
On n’est heureux qu’autant qu’on a souffert:
Aimons sa bonte paternelle,
Et la main dont elle se sert.
Ihr Kind liebt Griselde über alles, der Vater ist Zeuge
dieser Liebe, als die Mutter ihr Kind still, das kleine Wesen
wird nun der Mutterbrust entrissen,
„pour la preserver de certains mauvais airs qu’avec
vous l’on peut prendre.“
Eine einsichtsvolle Dame soll die Prinzessin erziehen, nach
zwei Tagen enthüllt er ihr den angeblichen Tod ihres Lieblings.
Fünizehn weitere Jahre leben nun beide Ehegatten in zärtlicher,
durch nichts getrübter Eintracht dahin. Unterdessen ist die
Tochter in einem Kloster zur herrlichen Jungfrau erblüht, ein
junger Edelmann, der dem Fürsten als Schwiegersohn hätte
willkommen sein können, liebt sie und wird wieder geliebt.
Der Graf beginnt sein frevelhaftes Spiel von neuem: Griselidis
wird verstossen und muss die Zubereitungen zur Hochzeit mit
der im Kloster erzogenen Braut treffen. Auch hier bittet Gri-
selidis um schonendere Behandlung für die junge Braut, zu der
sie eine unwiderstehliche Neigung hinzieht. Vor versammelten
Gästen erklärt der Fürst, dass die Braut seine Tochter ist und
er sie dem jungen Edelmann zur Gattin geben will,. Griseldens
Leidenszeit ist zu Ende.
„Sachez encor que, touche vivement
‘De la patience et du zele
De l’Epouse sage et fidele
Que j’ai chassde indignement,
Je la reprends, afin que je repare,
Par tout ce que l’amour peut avoir de plus doux,
Le traitement dur et barbare,
Qu’elle a recu de mon esprit jaloux.
Plus grande sera mon &etude
A prevenir tous ses de&sirs,
Qu’elle ne fut, dans mon inquietude,
A V’accabler de deplaisirs;
Et si dans tous les temps doit vivre la memoire'
Des ennuis dont son coeur ne fut point abattu,
Je veux que plus encore on parle de la gloire
Dont j’aurai couronne sa supr&me vertu.“
42 Richard Schuster.
Uns ergeht es wie Saint-Marc Girardin, der über den
Fürsten das Urteil fällt:
„Jaurais mieux aime un persecuteur serieux que cet
„experimentateur de sangfroid.“ Und von Griselde sagt er:
C’est une sainte qui a pris son mari pour Dieu. Je puis ne
N
pas aimer le Dieu qui est fantasque et mechant; j’admire
la sainte.“
Griselidis hat rund 100 Jahre später, im Jahre 1795 eine
erneute Behandlung in epischer Form durch Barthelemy
Imbert erfahren. Während einer sechsmonatlichen Krankheit hat
sich der Verfasser in seiner unfreiwilligen Mussezeit damit beschäf-
tigt, die alten Fabliaux in Verse zu bringen. Namentlich kamen ihm
hierüber die Veröffentlichungen von Legrand d’Aussy zu statten,
aus dessen Werk er hauptsächlich schöpite. Aus den folgenden
Worten, die seinem Avertissement (X) entnommen sind, ersehen
wir, wie er sich dem überlieferten Stoffe gegenüber verhielt.
„En choisissant parmi les fabliaux que Legrand d’Aussy
a recueillis, jai change quelquefois, mais bien plus souvent
encore j’ai abrege la narration, parce que j’ai observ& que les
longueurs sont bien plus fatiguantes et bien moins pardonndes
dans les vers que dans la prose.“!)
Ein teilweiser Vergleich zwischen Perrault und Imbert
schien mir. die nutzbringendste Methode diesen beiden Vers-
erzählungen gegenüber zu sein, Imbert musste natürlich mehr
in den Vordergrund gerückt werden, da über seine Arbeit noch
nichts geschrieben ist und sie auch, wie bald erhellen wird, die
wertvollere und wichtigere ist.
Schon in der Form unterscheiden sich beide Dieningen:
das Imbertsche Gedicht besteht aus drei in flüssige und gewandte
Zehnsilbner geschriebenen Gesängen. Jeder Vers hat, meistens
nach der vierten Silbe, eine Cäsur. Perraults Versnovelle besteht
aus 932 freien Versen, die nicht durch Einteilung in Kapitel
oder Gesänge übersichtlicher werden, sondern ohne irgend
einen Einschnitt einander ununterbrochen folgen.
Wenn auch der Schauplatz in beiden Verserzählungen die
Lombardei ist, so ist doch in der Zeichnung der Charaktere
des Grafen ein ziemlich tief gehender Unterschied aufzustellen.
0) Auf der Strussburger Universitätsbihliothek ist ein Exemplar von B. In-
bert vorhanden, Choir de fabliaux 1795, 2, 233: Griselidis, po@me en trois chants.
Griselidis in der französischen Literatur. 43
Glücklicherweise erspart sich Imbert die lange Schilderung der
Vorzüge des Helden; bei Perrault ist der Marquis von Hause
aus Pessimist, er hält das schöne Geschlecht ohne Ausnahme
für treulos und wahrer Hingebung unfähig, daher auch seine
tiefgehende Abneigung gegen die Eingehung jeglicher Ehe.
Ein Mann von ganz anderem Schlage ist der Imbertsche Fürst.
Er ist leichtsinnig und sorglos, Vorbilder für ihn waren ja gewiss
vor der grossen Revolution am französischen Hofe genug vor-
handen, seinen Standpunkt charakterisieren am besten die fol-
genden Verse:
„A son avis, toujours la volupte
Prenoit la fuite A l’aspect d’un notaire.
Oui, disoit-il, oui, ’hymen dans ses bras
Glace le coeur par ses devoirs austeres;
L’amour le fuit; il veut que ses soldats
Sous ses drapeaux servent en volontaires;
C’est ä l’ennui de signer des contrats,
Mais les plaisirs sont tous c&libataires.“
Doch die Untertanen bestimmen ihn eines legitimen Erben
wegen zur Ehe, schnell willfahrt er ihrem Wunsch und hat
nur ein Bedenken:
Quand par !’hymen ä pucelle on est joint,
Et que d’enfans on peuple son me&nage,
Est-on le p£re, ou l’est-on sans partage ?
Mari de ville est toujours sur se point
Moins rassur€ qu’un mari de village.
Perrault dagegen zählt, unter Nichtanführung dieses Grun-
des, in nicht weniger als 32 Versen die schlimmen Eigenschaiten
des Weibes auf. Überhaupt gereicht der leichte flüssige Stil
Imberts Werk entschieden zum Vorzug, auch hält er sich nicht
so sehr mit Detailmalereien auf wie Perrault. Selbst will der
Fürst seine Gemahlin suchen, und er knüpft nur die Bedingung
an seine Einwilligung zur Heirat, dass eine allgemeine Aner-
kennung seiner Zukünftigen erfolge, sei sie nun arm oder reich,
aus hohem oder niederem Stande. Hat Perrault Janicola nicht
handelnd dargestellt, so tut dies hingegen Imbert der Über-
lieferung entsprechend wieder, in sinniger und origineller Weise.
Janicola, von Leid und Alter gebeugt, ein treuer Vasall
und zärtlicher Vater, sitzt in heissen Sommertagen im Schatten
einer mit ihm gleichaltrigen, unterdes zu einem stattlichen Baume
herangewachsenen Ulme, sein hartes Brot mit den Vögeln teilend,
44 Richard Schuster.
die gesättigt von Zweig zu Zweig fliegen und mit hellem Ge-
zwitscher den alten Mann erfreuen. Rauhe Arbeit war zeitlebens
sein Los, doch zum Ersatz dafür hat ihm Mutter Natur in seiner
Tochter Griselidis einen nie versiegenden Quell reiner Freuden
erstehen lassen.
Griselidis charme la destinde
Du villageois qui lui donna le jour.
Fleur de beaute brille sur son visage;
Un coeur sensible, un esprit doux et sage
A ses appas prete un charme nouveau
Le jour, aux champs vigilante bergtre,
Elle conduit, fait paitre son troupeau:
Sa main, le soir, en rentrant au hameau,
Petrit le pain dont se nourrit son pe£re;
Et par ses soins, cet ange tutelaire,
Le fait sourire au bord de son tombeau.
Weder eine lange Schilderung der Jagd mit ihren Zu-
rüstungen noch eine eingehende Aufzählung ihrer Schönheiten,
wie sie Perrault gibt, führt uns Imbert vor. Jn acht Versen ist
gewandt und hübsch geschildert, wie der Marquis von ihrer
Schönheit hört und sie auf der Jagd trifft.
Il avoit vu ses charmes, sa candeur;
Et son regard qui peignoit la tendresse,
Sans le chercher, avoit surpris son coeur.
Gern vermissen wir, wie die Schönen der Residenz sich
anstellen, um ihrem Landesherren zu gefallen. Auch die Auf-
zählung der Festlichkeiten bringt die Handlung bei Perrault
keinen Schritt weiter. Die Begegnung des Marquis mit Grise-
lidis vor der Hochzeit gewinnt bei Perrault dadurch mehr an
Anmut und Natürlichkeit, dass er nicht zuvor Janicola um seine
Einwilligung bittet, sondern sich mit den Worten „J’ai deja pour
moi votre pere (Le prince avait eu soin de l’en faire avertir)
begnügt. Imbert folgt der alten Tradition, indem Gautier zu-
vor bei dem Vater Janicola das Jawort einholt. Bei Imbert
muss Griselidis, was sehr beachtenswert ist, dem Marquis
Treue und Gehorsam schwören und Rücksichtnahme auf
seine Launen versprechen. Perrault geht weiter, wenn er
ausserdem noch verlangt:
Il faudrait me jurer que vous n’aurez jamais .
D’autre volonte que la mienne.
Griselidis in der französischen Literatur. 45
Der. erste Gesang .endigt mit einer anziehenden Schilder-
ung von Griseldens natürlicher Anmut. In den Staatskleidern,
die sie mit ihrer Hirtentracht vertauscht hat, nimmt sie sich
keineswegs linkisch aus, sondern sie bewegt sich darin mit
angeborenem Anstand.
Im zweiten Gesang wird eingangs beim Hochzeitsmäahl
den Bauern ein grosses Festessen gegeben, und der Marquis
befiehlt seinen Baronen, Griselidis und ihm in persona aufzu-
warten. Nachdem der Ball für arm und reich vorbei ist, kommt
die Brautnacht, die Imbert, der eine etwas sinnlich veranlagte
Natur gewesen sein muss, in anziehenden Versen beschreibt.
Griselidis ist dermassen schön, dass alle Männer für sie
schwärmen und sogar ihre Mitschwestern, die Frauen, ihr ihre
Schönheit verzeihen. Sie lernt mit wunderbarer Leichtigkeit
Devinant tout, l’ecoliere du jour
Le lendemain est l’emule du maitre.
Mit ihren Gaben steht ihr Eifer in harmonischem Einklang.
Trente soleils neuf fois ont lui pour eux,
Quand d’une fille, image de tous deux,
Gautier regoit le tendre nom de pere.
Die Wegnahme des Kindes erfolgt bei Imbert ein Jahr nach
der Geburt, bei Perrault kurz nach dieser. Beim letzteren
kündigt der Graf Griselidis seinen Entschluss mit der Begründung
an, dass sie vollständig ungeeignet sei eine Prinzessin standes-
gemäss zu erziehen, er lässt daher seine Tochter durch einen
Boten in einem nahe bei der Stadt gelegenen Kloster ohne
Angabe ihrer Herkunit unterbringen Bei Imbert ist der Marquis
humaner gezeichnet, seine Barone, angeblich schon lange mit
seiner Wahl unzufrieden, zwingen ihn, seine Tochter fern von
Vater und Mutter erziehen zu lassen.
Griselidis sentit, a ce langage,
Un trait poignant s’enfoncer dans son coeur;
Mais son esprit avoit tant de douceur,
Mais son amour avoit tant de courage,
Qu’un froid mortel &toit sur son visage,
Sans que sa voix exprimät sa douleur.
So grausam ist der Imbertsche Marquis nicht, dass er ihr
nach zwei Tagen den angeblichen Tod ihres Kindes eröffnet.
Vier Jahre lässt Imbert bis zur Geburt eines Sohnes verstreichen
und führt wieder als Grund für die Wegnahme die ungestüme
46 Riehard Schuster.
Forderung der Barone an, die sich weigern, den Enkel eines
armen Bauern als künftigen Grundherrn anzuerkennen; Interesse
und Not gebiete dem Marquis, diesen Wunsch zu erfüllen.
Die folgenden Verse des Dichters enthüllen uns seine
innere Anteilnahme an dieser erneuten Prüfung, und zeigen,
wie sehr er über dem Stoffe steht und das Verhalten des Mar-
quis verurteilt:
Non; ce mari bizare et des plus fous,
Dont le bonheur e&tait sans doute unique;
Veut ötre encore injuste et tyrannique,
Avant d’oser se croire heureux &Epoux.
Es kann zweifelhaft bleiben, ob man Perrault den Vorzug
geben soll, der Griselidis nur einmal Mutter werden, sie aber
den Schmerzenskelch bis zur Neige leeren lässt, oder Imbert.
Dieser hat eine gemilderte Motivierung und erzählt die Geburt
und die Wegnahme zweier Kinder der Überlieferung folgend.
Der zweite Gesang endigt mit den Worten:
„Ce fils enfin, loin des bras de sa me£re,
Seul, et sans bruit, sous l’ombre du myst£re,
La m&me nuit va rejoindre sa soeur.“
Zwölf Lenze ist nun schon Griselde an Gautier gekettet,!)
die Zeit ist gekommen, wo sie selbst verstossen wird, der
Marquis eröffnet ihr dies wieder als durch den Willen der
Vasallen geboten. |
Die Antwort der Griselidis zeigt deutlich, dass ihr Cha-
rakter der Überlieferung entsprechend gezeichnet ist. j
La fille, helas! d’un simple laboureur
Eut un moment votre main, votre coeur;
Mais y pretendre eüt EtE tEme£raire.
Griselidis, qui naquit pour souffrir,
Perd un Epoux, mais il lui reste un maitre;
De ce palais, que mon coeur dut cherir,
Je sortirai, sire, et jirai mourir
Dans la cabane oü le ciel me fit naitre.
Quant au douaire, alors que je quittai
Pour votre cour, mon obscure chaumiere,
Vous le savez, je ne vous apportai,
1) Imbert sagt einmal: De&ja sa fille a vw quinze printemps; deja son fils
voit sa huiticme annee; wie aus dem Vorhergehenden und dem Folgenden ersichtlich
ist, muss anstatt quinze „douze“ gesetzt werden. Der Graf sagt gleich nachher
selbst wieder: Depuis douze ans que ‚j’ar regu ta main.
Griselidis in der französischen Literatur. 47
Avec un coeur toujours chaste et sinc£re,
Rien que respect, amour et pauvrete.
Voici ’anneau que recut la tendresse,
Que le devoir va remettre en vos mains;
Les vetemens, fruits de votre largesse,
Qui me paroient sans changer mes destins,
Etoient A vous, A vous seul; souffrez, sire,
Qu’ avec les miens, au moins je me retire;
je les avois conserves pres de moi,
Comme un t&emoin, toujours pret & me dire
Ce que je fus, et ce que je vous doi.
De mon hameau, pauvre, j’etois sortie,
Y rentrer pauvre, est toute mon envie.
De mon bonheur, plus court qu’un beau matin,
Je veux garder un souvenir durable,
Et n’emporter que l’honneur d’ötre enfin
D’un tel epoux la veuve irr&prochable.
Nachdem sie sich noch ihrer Kleinodien entledigt hat, geht
sie wieder zu ihrem armen alten Vater zurück, der sie gut
aufnimmt. Schon am andern Tag wird sie wieder an den Hof
zurückgerufen, um die Vorbereitungen zur Hochzeit ihres Gatten
zu treffen. Zu der jungen Prinzessin fasst Griselidis die innigste
Zuneigung, so dass sie sich zu dem Marquis mit der Bitte
wendet, der neu gewählten Gattin alle die Leiden zu ersparen,
die sie selbst erduldet hat.
Plus delicate, et peu faite & souffrir,
Son coeur sans doute aussi tendre, aussi sage,
Contre ses maux auroit moins de courage,
Sans le vouloir, vous la feriez mourir.
All diese Worte entlocken Gautier Thränen: „All meine
Tyrannei“, ruft er aus, „hat nur Gehorsam, Liebe und Treue
bei dir gezeitigt.“ Sie wird wieder in Ehren angenommen und
lebt, mit ihrem Gatten und ihren Kindern vereint, noch lange
Jahre glücklich.
Le fils dit-on, plus sage ou moins jaloux,
N’imita point l’auteur de sa naissance;
Il eut raison; je crois que parmi nous,
Sans trop chercher, on verroit des Epoux
Bien moins heureux avec plus de prudence.
48 Richard Schuster.
Wenn wir bei Petrarka die Dulderin aus Liebe finden, so
scheint Imbert wie Boccaccio vielmehr auf den als Pflicht
erkannten, aber freudig und freiwillig erwiesenen Gehorsam das
Hauptgewicht zu legen. Als Beweis hiefür diene die Antwort
Griseldens auf das Ansinnen ihres Gatten, ihre Tochter heraus-
zugeben:
Quand jusqu’a moi ’amour vous fit descendre,
Je vous jurai d’obeir ä jamais;
Ma fille, sire. est un de vos bienfaits,
Elle est ä vous, vous pouvez la reprendre.
Mehr der pflichtmässige, freudig geleistete Gehorsam als
die Liebe veranlassen Griselidis zu unerschöpflicher Geduld,
und Nachgiebigkeit, von dem Zuge der Religiosität, der Per-
raults Heldin anhaftet, ist bei Imbert nichts zu spüren. Dem
Gedicht gereicht wie dem Perraultschen zum Vorzug, dass die
Bitte der Dulderin um schonende Behandlung der angeblich
neuen Gattin einem persönlichen Gefühl der Teilnahme ent-
springt, während dieser Ermahnung sonst überall eine direkte
Frage des Gemahls vorausging. Bei Imbert ist der Marquis
eine weniger pessimistische Natur als bei Perrault. Von mancher
Schönen ist er auch mehr als einmal schon hintergangen worden,
und deshalb ist er etwas misstrauisch, seine Proben stellt er,
um zu erfahren, ob Griselidis ihn wirklich liebt.
Notre marquis, defiant ou jaloux,
Veut Epouver, par goütou par systeme,
Amant injuste, impertinent Epoux,
S’jl est, s’il peut &tre aime& pour lui-m&me.
Wir können feststellen, dass die der Heldin auferlegten Prüf-
ungen mit einiger Folgerichtigkeit aus dem einen Grundzug in
des Fürsten Wesen, dem Misstrauen gegen wahre Liebe, sich
entwickeln, und daher etwas von der anderen Darstellungen
anhaftenden Willkür verloren haben. Die unmotivierte Sucht
zu quälen tritt nicht störend bei dem Grafen auf, da glücklicher-
weise die Nebenepisode der Tochter und ihres Liebhabers fern-
gehalten ist. Im ganzen ist der Imbertsche Graf humaner ge-
zeichnet als der Perraultsche, und wir verstehen es, wenn er nach
Erprobung der Liebe und des Gehorsams seiner Gattin ausruft:
Oui, je le vois, oui, toi seule ici bas,
Tu me£ritois, ange ou femme accomplie,
D’ötre ä la fois mon @pouse et ma mie,
Et tu vas l’ötre aussi jusqu’au tr&pas.
Griselidis in der französischen Literatur. 49
Das Imbertsche Gedicht ist durch den straffen, geradlinigen
Verlauf seiner Handlung sowie durch Übergehen verschiedener
retardierender Detailmalerei und auch durch seinen gewandten
Stil der Arbeit Perraults vorzuziehen. Der Verfasser weiss,
dass Perraults Werk kein gefährlicher Rivale ist, wenn er in
seinem Vorwort schreibt:
„Perrault en a fait aussi une imitation en vers francois;
mais on m’a assurd que son style si läche, si diffus, si in-
correct, ne pre&sentoit pas une rivalit& bien formidable.“
Imbert steht dem ganzen Griselidisstoff so unbefangen und mit
so gesundem Gefühl gegenüber, dass man nur bedauern kann,
dass er die Fabel nicht wesentlich umgeändert hat.
„Vous, qui voulez lire au coeur de vos femmes,
N’employez pas ce dangereux moyen,
Sages Epoux; je ne dis rien aux dames;
Leur instinct seul les conseillera bien.
Griselidis ne pourra les seduire
Par son exemple, €Etrange au dernier point;
Elles auront le courage de dire:
Admirons-la, mais ne l’imitons point.“
50 Richard Schuster.
Ill. Dramatische Bearbeitungen.
Der Griselidisstoff wurde in einer Reihe von Kulturländern
dramatisiert,') doch ist es keinem neueren Dichter gelungen,
den Stoff völlig modernem Empfinden anzupassen. Auch Halm,
der mit seinem dramatischen Gedicht Griselidis (1835) eine grosse
Bühnenwirkung erzielte, hat trotz seiner glänzenden dichterischen
Sprache keine „allgemein menschliches Interesse erweckende,
ästhetisch wertvolle Schöpfung“ ?) zustande gebracht. Armand
Silvestre hat dagegen m. E im Jahre 1891 den Stoff befriedigen-
der umgestaltet.
Von dramatischen Bearbeitungen sind in Frankreich ausser
dem Mystere von 1395 noch vier nachzuweisen.
Eine angebliche fünfte gehört nicht hierher:
Les Cing Sens
ballet-pantomine en 3 actes et 5 tableaux
de MM. Dumanoir et Mazilier;
allerdings trägt die Hauptheldin den Namen Griseldis, jedoch
fehlen ihr die charakteristischen Züge der edlen Dulderin völlig.
Die so allein in Betracht kommenden vier Bearbeitungen
haben indessen durchweg den Wesenskern der Griselidiserzäh-
lung, die Geduldsproben, beibehalten. Charaktere, Handlung
und auch Form der dichterischen Darstellung weichen ent-
sprechend der Eigenart der Dichter und der Zeit der Abfassung
sehr von einander ab.
In Prosa ist geschrieben:
La Griselde,
tragi-comedie italienne, en 5 actes.
De Luigi Riccoboni, dit Lellio, Comedien de S. A.R.
Monseigneur le Duc d’Orleans, Regent du Royaume.
(Paris 1717.)
Die andern drei sind in Versen geschrieben, zwei davon
ın Alexandrinern und zwar:
die come&die:
Griselde ou la Princesse de Saluces
von Louise Genevieve, danıe de Saintonge (Dijon 1714);
1) s. Köhler 8. 524—532.
2) Widmann S. 119.
Griselidis in der französischen Literatur. 51
ferner: Griselde
ou la fille du peuple
drame en 3 actes, en vers (1849);
von Christien Ostrowski.
In freien Verse geschrieben ist die letzte und wertvollste
aller französischen Griselidisbearbeitungen, die von Armand
Silvestre und Eug&ne Morand:
Griselidis, mystere en 3 actes. (Paris 1891.)
Auf die Tragi-comedie von 1718 und die Comedie der Frau
von Saintonge ist sicher Perraults Versnovelle von Einfluss ge-
wesen und zwar in der Einschiebung des Liebesromans von
Griseldens Tochter. Die Charaktere der Griselidis und des
Fürsten haben Perrault gegenüber einschneidende Änderungen
erfahren. Bei Griselden fehlt jeglicher religiöse Grundzug,
durch eine beinahe knechtische Liebe zu ihrem Gemahl unter-
zieht sie sich in der Tragi-come&die willig den ihr auferlegten
Prüfungen; bei Madame de Saintonge ist ihre Liebe schon mehr
dem modernen Empfinden angepasst, und da und dort lehnt
sie sich in langatmigen Reflexionen gegen den tyrannischen
Gatten auf. Durch stärkere Betonung ihrer Liebe und ihrer
Schmerzempfindung sucht die Verfasserin sie natürlicher zu
machen. Des Markgrafen Charakter ist aber in beiden Dramen
weder umgestaltet noch einheitlich durchgeführt, dies hätte vor
allem geschehen müssen, auch hätten die Verfasser auf eine
bessere Motivierung der Prüfungen ausgehen sollen. Er tritt
uns in beiden Dichtungen noch tyrannischer und selbstsüchtiger
entgegen als in den grundlegenden Bearbeitungen von Boc-
caccio und Petrarka.
Als Neuerung kommt schon in der Tragi-comedie, die eine
Nachahmung des italienischen Melodramas von Apostolo Zeno?)
ist, zum ersten Mal in den französischen Bearbeitungen neben
einer Erprobung von Griseldens Gehorsam auch die Versuchung
ihrer Treue in Betracht. Das Bestreben, Griselde nicht nur zum
Vorbild einer gehorsamen, sondern auch zu dem einer treuen
Gattin zu machen, ist auch in den Arbeiten von Ostrowski und
Silvestre deutlich zu erkennen. Dass Ostrowski hierin sehr
1) Apostolo Zeno : La Griselda, Venedig 1701. (Poesie drammatiche di A. Zeno,
Venezia 1744, tome 3). Vgl. Köhler S. 531.
52 Richard Schuster.
wesentlich von Halms dramatischem Gedicht beeinflusst war,
soll später nachgewiesen werden.
Wie Halm verbindet Ostrowski die Griselidisfabel mit dem
Artushof und verwandelt den Markgrafen von Saluz in den
Ritter Percival. Die Prüfungen werden zeitlich zusammen-
gedrängt und durch eine Wette zwischen Ginevra und Perceval
hervorgerufen Von Ginevra gehen die Prüfungen aus „und
für ihre Durchführung bietet das Lehensverhältnis Percevals zu
dem mächtigen Artus einen weit wahrscheinlicheren Hintergrund,
als der sonst vorgeschützte Wille der Untertanen.“ (Widmann,
Euphorion 1907, Bd. 14, S. 117.)
Die unglaublich selbstlose Liebe der Griselidis wird in
den Mittelpunkt des ganzen Stücks gerückt. Doch hat es
Östrowski nicht verstanden, uns in Griselidis und Perceval
lebenswahre Menschen vorzuführen. Der Charakter des ehr-
süchtigen und egoistischen Perceval ist noch mehr verzeichnet
als der der Griselidis.
Armand Silvestre ist auf eine glückliche Lösung der in
den Hauptcharakteren enthaltenen Schwierigkeiten gekommen.
Er führt ähnlich den deutschen katholischen Klosterdramen
des 17. und 18. Jahrhunderts den Teufel ein, es ist ihm dadurch
die Möglichkeit gegeben, den Markgrafen ganz und gar nicht
selbstsüchtig zu gestalten und die Prüfungen werden durch
den Abschluss einer Wette während des Grafen Abwesenheit
auf einem Kreuzzug durch den Teufel ausgeführt. Griselidis
wird hier zum Urbild einer treuen und gehorsamen Gattin ge-
stempelt. Die Versuchung ihrer Treue durch Alain überwindet
sie siegreich. Die Silvestre’sche Griselidis ist die einzige, die
sich noch heutigentags auf der Bühne hält, es ist daher eine
eingehendere Untersuchung ihrer Quellen und ihrer dichterischen
Form wohl angebracht.
Mangel an gesundem Gefühl lässt Madame de Sain-
tonge (Louise Genevieve Gillot Me de Saintonge (1650—1718),
eine Pariser Advokatenfrau, in ihrer fünfaktigen, Come&die genann-
ten Griselde, ou la Princesse de Saluces sehr häufig
erkennen, wie eine eingehendere Inhaltsangabe sofort dartun wird.
Griselidis in der französischen Literatur. 53
Griselidis, die Frau des Fürsten Sallust erzählt traurigen
Herzens ihrer Nichte Isabelle ihrer Liebe Glück und Leid.
Le fidele recit de ma triste aventure
Vous fera concevoir les peines que j’endure.
Quand je vis ce Heros pour la premiere fois,
Il s’etait, en chassant, @gare& dans les bois:
Que de troubles secrets mon äme hıt &@mue,
Dans le fatal instant qu’il s’offrit ä ma vüe!
Je voulus l’eviter; mais, helas! par malheur,
La douceur de sa voix dissipa ma frayeur:
Arretez, me dit-il, trop aimable Bergere,
La chasse m’a conduit dans ce bois solitaire,
Je n’en saurois sans vous d@meler les detours.
Votre prince a besoin de ce petit secours.
Demeurez un moment, c’est lui qui vous en presse:
Je reviens, et d’abord pour lui je m’interesse,
Et lui servant de guide au fond de la Forät,
Je lui montre un chemin qui mene ä son Palais;
L’amour qui me pre&pare une peine cruelle,
Lui trace de ce bois une route fidele,
Il lui marque si bien jusqu’aux moindres detours
Que ce prince amoureux y revient tous les jours.
Que ses feux en ce temps avoient de violence!
L’amour sgut reparer la cruelle distance
Que le bizarre sort avait mise entre nous.
Enfin j’eus le plaisir de le voir mon Epoux.
Ce plaisir enchanteur, helas! ne dura guere,
La Princesse eut regret de n’etre plus Bergere,
L’himen, en m’elevant au faite des grandeurs,
M’öta de mon amant les plus vives ardeurs:
Ciel’quel suplice affreux de cesser d’etre aimee,
Lors qu’ä cette douceur on est accoutumee!
Wir hören dann weiter, wie der Fürst seine Tochter bei
seiner Schwester, der Herzogin von Florenz, standesgemäss er-
ziehen lässt und Griselidis jede Befähigung zur Erziehung ab-
spricht. Doch nicht in blindem Gehorsam wie bei Perrault gibt sie
nach, sie rafft sich zu einem ganz energischen Widerspruch auf.
Ah! Seigneur, est-il tems de donner des lecons
Aux enfans qui n’ont vü qu’& peine deux saisons ?
Thränen und Klagen stimmen den Fürsten nicht um, aus
ihren Armen wird ihr das Kind gerissen und einige Tage nach-
her erfährt sie seinen Tod. Soweit die Exposition in der ersten
Szene. In der zweiten beginnt die Handlung. Der Fürst er-
54 Richard Schuster.
scheint und teilt ihr in dürren Worten mit, der Volkswille gebiete
ihm eine neue, aber ebenbürtige Verbindung einzugehen, denn
Un divorce avec vous satisfera ma gloire
Je n’&coute plus qu’elle; il faut vous retirer.
Die Antwort Griseldens zeigt uns, dass wir eine Griselidis
vor uns haben, die nicht mehr ihrem Manne blindlings gehorcht
wie bei Perrault und sogar noch bei Imbert, sondern eine in
Hofintriguen erfahrene, man möchte beinahe sagen, raffinierte
Dame. Unter Wahrung der äusseren Form und bei scheinbarem
Entgegenkommen weiss sie ihm doch ganz gehörig die Meinung
zu sagen und erkennt den tieferen, nicht ausgesprochenen Grund
für die Ehescheidung sehr wohl:
Mais un nouvel amour, sous le nom de la gloire,
Vous parle contre moi; Seigneur, faut-il le croire?
La gloire d’un grand Prince est de garder sa foi
Eh, qui pourra jamais vous aimer comme moi?
Doch jagt sie der Fürst mit rauhen Worten fort, und der
kurze Monolog, den er hierauf hält, lässt uns erkennen, wie tief
sein Misstrauen gegen alle Frauen eingewurzelt ist und wie er
sie alle ohne Ausnahme für falsch, hinterlistig und berechnend
hält. Hidaspe, der Vertraute und einstige Hofmeister des
Fürsten, sucht zu erfahren, warum sein Herr sich seiner seit-
herigen Gemahlin entledigen will; so leicht gelingt ihm dies
jedoch nicht und er muss sich manches harte Wort von dem
Tyrannen sagen und gefallen lassen.
Si je change de femme, il n’est pas surprenant
Que je veuille changer aussi de Confident.
Vergebens beschwört ihn dieser, von seiner seltsamen
Laune abzustehen; ja er, der gewohnt ist, in der Seele seines
einstigen Schülers zu lesen, sagt ihm geradezu, dass Isabelle
zweilellos Griselde in seinem Herzen abgelöst hat.
Hidaspe, die verkörperte Vernunft, hält ihm in treffenden
Worten das Verwerfliche seines Tuns vor Augen, . da der Prinz
zugibt, dass er recht geraten.
Quand vous croyez son sexe infidele et trompeur,
Lorsque tout est suspect &ä votre äme jalouse,
Prince, vous voulez prendre une nouvelle Epouse,
Aurez-vous en changeant, plus de tranquilite ?
Non, le Ciel punira tant de legerete
Griselidis in der französischen Literatur. 55
Par les redoublemens de votre jalousie;
Les chagrins, les soupcons troubleront votre vie;
Enfin si vous suivez ce penchant dangereux
Vous serez A jamais —
Prince: Que serai-je?
Hidaspe: a jamais malheureux.
Deutlich gibt der Fürst Hidaspe zu verstehen, dass er
immer noch Herr seines Schicksals ist, und es auch in Zukunft
bleiben werde, dann entfernt er sich. Der Vertraute gibt die
Hoffnung noch nicht auf, seinen Herrn von seiner unglück-
seligen Leidenschaft zu heilen, hat er doch gesehen wie Federic,
der die junge Prinzessin an den Hof geleitete, zu dieser durchaus
nicht hoffnungslos in Liebe erglüht.
Der zweite Akt führt uns Griselden ın ihrer alten Tracht
als Schäferin vor. Alle Grösse und alle Pracht verlässt sie
ohne Pein, nach einem hohen Rang hat ihre Seele nie gedürstet.
Que n’etoit-ce un Berger que le Heros que j’aime ?
Son coeur auroit et€ pfus tendre et plus constant.
Warum auch für einen flatterhaften Gatten Thränen ver-
giessen, für immer will sie dieses verhängnisvolle Liebesfeuer
mit Hilfe der Vernunft zum Verlöschen bringen.
Phenice, ihre Vertraute, teilt ihr das Verbot des Fürsten
abzureisen mit. Gross ist ihre Freude, sie 'kann, trotzdem
Phenice ihr alles recht glaubhaft zu machen sucht, kaum an
den glücklichen Umschwung der Dinge glauben.
Mais, Phenice, crois-tu qu’ une nouvelle flame,
En faveur d’Isabelle aurait surpris son coeur ?
Peut-etre a-t-elle mis le comble ä mon malheur;
Pour faire un inconstant elle n’est que trop belle,
Et la tendre amitie qu’il a fait voir pour elle,
Auroit pü le conduire aisement A l’amour.
Jäh wird sie aus idealen Träumen zur rauhen Wirklichkeit
zurückgeführt. Der Fürst, der hier zur Verkörperung der höchsten
Potenz von Barbarei und Tyrannei geworden ist, kommt und
befiehlt ihr ohne weitere Umschweife die Zubereitungen zum
Hochzeitsfeste mit Isabelle zu treffen. Ausserdem soll sie noch
Isabelle, die von allem nichts weiss, auf ihre morgige Hochzeit
mit dem Fürsten vorbereiten. Das liebliche nichtsahnende Kind
56 Richard Schuster.
erscheint und bedauert Griseldens Schicksal unendlich, fühlt
aber ihr Herz nicht mehr schlagen, als sie von des Fürsten
Absichten auf ihre eigene Hand hört: eher noch seinen Hass
als seine Liebe empfinden!
Moi, je P’&pouserois! que plutöt je perisse,
Je ne veux point avoir part A son injustice:
Par le plus dur refus je vais lui faire voir
Que son coeur s’est flattE d’un inutile espoir.
Doch die ablehnende Haltung Isabellens wird den Fürsten
nicht von seinem Vorhaben abbringen, umso begehrenswerter
wird ihm nur noch das Ziel des Kampfes erscheinen, denn trotz
aller Fehler seines sonderbaren Charakters sagt sich Griselidis,
dass er liebenswürdig sein und sicher Eindruck auf ein junges
Herz machen kann. Isabelle wird vielleicht nach einigen Tagen
seinem Liebeswerben nachgeben, deshalb ist Flucht das einzige
Mittel, das ihr den Anblick dieses verhängnisvollen Augen-
blicks erspart.
Die Handlung schreitet im zweiten Akt flott weiter. Lyrische
Partien, wie sie uns etwa Armand Silvestre darbietet, fehlen
gänzlich. Den Charakter der Griselidis lernen wir von einer
neuen Seite kennen, die wir in keiner der bisher betrachteten
Darstellungen beleuchtet fanden. Bei Perrault, dessen Novelle
Madame de Saintonge ausser einem französischen Volksbuch
wohl vorgelegen haben wird, „begegnet sie uns als christlich
iromme Dulderin, welche in den ihr auferlegten Prüfungen die
liebende — weil strafende — Hand Gottes erkennt und in dem
Gatten das Werkzeug dieser göttlichen Fürsorge liebt.“ (Westen-
holz S. 70.) Ganz anders hier. Hier wird die Liebe allein in
den Vordergrund gestellt, diese Liebe gibt nicht so willig und
so widerspruchslos nach wie in den früheren Bearbeitungen,
nein, sie bäumt sich mit aller Macht auf gegen eine derartige
Behandlung, und nur die aut die Spitze getriebene Grausamkeit
des Gatten, die herzlos alles niedertritt und bekämpft, was ihr
hindernd in den Weg tritt, lässt ihr Kämpfen vorläufig er-
tolglos sein.
Im dritten Akt tritt Federic, der Geliebte Isabellens, auf
_ und quält sie mit törichter, grundloser Eifersucht, sie weiss ihm
aber seine Ungerechtigkeit und die Innigkeit ihrer Liebe über-
zeugend vor Augen zu führen:
Griselidis in der französischen Literatur. 57
J’etouffois mes soupirs, je devorais mes pleurs,
Afin de t’arracher ä tes vives douleurs.
Trop sensible pour toi, trop cruelle A moi-m&me,
Je redoublois mes maux par cet effort extr&me.
In einer langen phrasenreichen Tirade erfleht er ihre Ver-
zeihung, da erscheint urplötzlich der Fürst; Federic versucht
vergeblich zu entfliehen, um ihm seine schreckliche Verlegen-
heit zu verbergen. Nach Höflingsart appelliert er an den Fürsten,
den grossherzigen Helden, wie er ihn nennt, und teilt ihm mit,
dass Isabelle aus Freundschaft für Griselidis die ihr zugedachte
Ehre, seine Gattin zu werden, zurückweisen wird. Der Despot
ist äusserst erbost über die Zurückweisung seines Antrags und
wittert als Gegner seines Glücks sofort einen Nebenbuhler.
Isabelle weiss mit dem hohen Herrn umzugehen. Nur die
Freundschaft für Griselidis, deren Tugend und Schönheit nichts
gleiche, veranlasse sie, die ihn nur durch den Reiz der Neuheit
zu fesseln gewusst habe, die Hand des Fürsten auszuschlagen.
ll faut que la raison, Seigneur, fasse en ce jour
Ce que l’himen feroit sur votre injuste amour.
Doch die Vernunft klopft bei dem Fürsten vergebens an:
darüber, dass Isabelle ihm nicht zu Willen ist, gerät er in
fürchterliche Wut und verbietet ihr, ihr Zimmer zu verlassen.
Zu ihrem Wächter bestellt er Federic, der sie gefügig machen
soll, sonst will er zu andern Mitteln greifen.
Auch Hidaspe gelingt. es nicht, trotz energischer Versuche,
seinen Herrn umzustimmen, auch der leise Hinweis, Isabellens
Herz sei nicht mehr frei, bringt keine Änderung in dessen Be-
nehmen zuwege, aufs Äusserste ist sein Zorn gestiegen, da
kommt ihm als Ableiter hiefür Griselidis eben recht. Er empfängt
sie folgendermassen:
„Quoi! vous m’osez trahir, quand je me fie ä vous!
Vous avez d’Isabelle allume& le coüroux,
Au lieu de l’engager ä suivre mon envie.
Ne rougissez-vous point de votre perfidie?
Se peut-il qu’ä son Prince on manque ainsi de foi?
Qui pourra vous servir d’excuse aupres de moi ?*
Zur besseren lataklerzeichnung der Heldin führe ich
ihre Antwort wörtlich an:
58 Richard Schuster.
De ce crime, Seigneur, je ne suis point capable;
Et quand je l’aurois fait, serois-je si coupable?
Le violent amour, qui P’aurait sch causer,
Ne suffiroit-il pas lui seul pour l’excuser?
Mais loin de vous trahir, je me trahis moi-mäme,
Jai sch vous obe£ir, malgr& ma peine exträme,
Et prete, en vous perdant, de perdre aussi le jour,
Jai fait ce que j’ai pü pour servir votre amour.
Si la jeune Princesse ä vos voeux est contraire,
Faut-il faire tomber sur moi votre colere?
Prenez quelque pitie de l’etat, oü je suis;
N’ajoutez rien, Seigneur, ä mes mortels ennuis.
Der Fürst achtet all ihrer Klagen und Tränen nicht und
verlangt stürmisch, sie solle auf Kosten ihres eigenen Glücks
ihn glücklich machen, sonst zweifle er an ihrer Liebe. Sie gibt
nach und sagt:
je vais dä te servir montrer autant d’ardeur,
Qu’ä me persecuter tu montres de fureur.
Phenice hat inzwischen alles zur Flucht vorbereitet, doch
Griselde will nun den unmenschlichen Tyrannen nicht mehr
verlassen und ist allen Vernunftgründen unzugänglich.
Der Knoten ist geschürzt. Welches wird die Lösung sein?
Gewinnen die Freunde Griseldens, Hidaspe und Isabelle, den
nötigen Einfluss auf den flatterhaften, unbeständigen und treu-
losen Fürsten, um ihn zu veranlassen, das Schicksal des jungen
Mädchens nicht an das seine zu ketten oder üben die rührenden
Bitten und Klagen einer Griselidis irgend welchen Einfluss auf
sein hartes Herz aus? Diese grosse Uneigennützigkeit, diese
Selbstentäusserung einer Griselidis, die diesem tyrannischen,
grausamen Gatten eine stets unverminderte, unbegrenzte, schran-
kenlose Liebe entgegenbringt, befremdet an vielen Stellen direkt
unser modernes Empfinden. Glücklicherweise haben die andern
Personen aus Freundschaft für Griselidis und aus Gerechtigkeits-
gefühl gegen den Fürsten Partei ergriffen.
„ 1m vierten Akt hat es den Anschein, als solle der wirr
verschlungene Knoten gewaltsam durchhauen werden. Phenice
überredet Federic, Isabelle bei Nacht und Nebel zu entführen.
Liebe und Pflicht, denn er ist ja zum Wächter Isabellens vom
Fürsten bestellt, stehen in seltsamem Widerstreit in seiner Brust,
endlich entschliesst er sich, dem Plane der Vertrauten nachzugeben.
Griselidis in der französischen Literatur. 59
Isabelle, die sich mit Mühe vor der für ihren Gatten werbenden
Griselidis geflüchtet hat, erscheint. Ihr Geliebter schlägt ihr
vor, in ferne Lande mit ihm zu fliehen und an einem zurück-
gezogenen, sicheren Ort eine glückliche Ehe mit ihm zu führen.
Isabelle hofft auf des Himmels Hilfe und sein Einschreiten für
die bedrückte Unschuld. Phenice und Federic geben ihr zu
verstehen, dass die Zeit dränge, dass alles verloren sei, wenn
sie nicht heute noch den Hof verlasse. Isabelle gibt hierauf
die sonderbare Antwort:
„Je songe qu’en fuyant je trahirois ma gloire;
Je n’y puis consentir.“
Daraufhin entspinnt sich ein Streit zwischen den beiden
Liebenden, die sich gegenseitig Lieblosigkeit vorwerfen, es ist
überflüssig, ihn durch alle Phasen hindurch zu verfolgen.
Adieu volage, adieu, contentez votre envie,
Pour ne vous plus troubler je renonce ä& la vie.
Diese Drohung Federics, sich ein Leid anzutun, fruchtet,
und Isabelle willigt ein zu fliehen und zwar nach Florenz zur
Herzogin, ihrer Mutter. Bei Griselidis wirkt eine von Phenice
erfundene Kriegslist. Diese teilt ihr mit, Isabelle wolle dem
Fürsten nachgeben, nun zeigt Griselidis ihre wahre Natur und
sie kann sich nicht genug tun mit Klagen und Jammern.
Inzwischen kommt der Fürst, und sie bittet ihn in
bekannter Weise um mildere Behandlung der neuen Gattin.
Einer Schäferin Lehren habe er nicht nötig und auch ohne ihre
guten Ratschläge wisse er, was er zu tun habe: so fertigt sie
der dankbare Gemahl kurz und roh ab. Wir gönnen ihm, dass
der Eifersucht Qualen sein Herz zerreissen, als er von Hidaspe
hört, er habe einen glücklichen Nebenbuhler.
Im fünften Akt erfahren wir, dass der Fluchtversuch
des jungen Liebespaares von dem Fürsten vereitelt worden ist.
Der Untergang Federics ist beschlossene Sache. Isabelle über-
häuft Phenice mit Vorwürfen, da alles nur infolge ihrer ver-
hängnisvollen Ratschläge geschehen sei. Da kommt Federic:
Des Fürsten Rache, sagt er, sei seine (des Fürsten) sofortige Ver-
heiratung mit Isabelle. Ohnmächtige Wut, verzehrende Eifersucht
zerreissen sein Herz. Da der Fürst ihn als Gegner verachtet,
so hat er ihm Leben und Freiheit geschenkt. Nun will er seine
60 Richard Schuster.
Leute bewafinen und das Land des Fürsten mit Krieg überziehen.
Indessen schaudert Isabelle davor zurück, sein Leben will sie
nicht in Gefahr wissen, sollte es zum Schlimmsten kommen, dann
Plutöt que cette main trahisse votre ardeur,
Vous la verrez s’armer pour me percer le coeur.
Der Vernichter all ihres jungen Glücks, der Fürst kommt
zur ungelegenen Zeit. Federic verteidigt sich in prächtiger
Rede gegen den ihm vom Fürsten vorgeworfenen Verrat.
Tausendfachen Tod will Isabelle lieber erleiden als sich mit
diesem vereinen. Ein geheimer Schauder ergreift und schüttelt
sie, wenn sie daran denkt, und düsterer Ahnungen voll ist ihre
Seele. Der Fürst sieht all dies als das Werk einer launenhaften
Kokette an. Griselde greift noch einmal vergebens zu Gunsten
Isabellens ein; sofort soll nach dem Willen des Tyrannen die Hoch-
zeit stattfinden. Allein zurückgeblieben hält er folgenden Monolog,
der zeigt, wie bessere Regungen in ihm die Oberhand gewinnen.
Mais pourquoi me livrer A des transports affreux:
Depuis que je ressens sa devorante fläme,
Les plus cuisans soucis ont dechireE mon äme;
Barbare pour Griselde, et toujours furieux,
On me voit sans pitie la bannir de ces lieux,
Isabelle me hait, Isabelle m’outrage;
Ah, sortons pour jamais d’un si dur esclavage;
Jai forme& mille fois ce genereux dessein,
Faut-il que la raison me parle encore en vain?
Der Deus ex machina erscheint in Gestalt eines Offiziers,
der einstens Griseldens Kind zur Herzogin von Florenz ge-
bracht hat und jetzt ein Schreiben von dieser hohen Dame
überbringt. „Elvire, die Wärterin ihrer gleichalterigen Tochter,
hat vor ihrem Tode gebeichtet, dass sie Isabelle für die ge-
storbene Tochter der Herzogin untergeschoben hat, um ihr
herben Schmerz zu ersparen. Und diese Tochter ist Isabelle,
die sich jetzt am Hofe aufhält.“ Gross ist die Freude Grisel-
dens und Isabellens, der Fürst sieht ein, welchen Schatz der
Himmel ihm in seiner treuen Frau geschenkt hat, zur Belohnung
für seine Kriegstaten erhält Federic vom Fürsten die Hand Isa-
bellens, die nun urplötzlich seine Tochter geworden ist, Alles
freut sich und mit den Worten des Fürsten:
Montrons ä mes Sujets cette jeune Princesse;
Allons porter la joie oü r&gnoit la tristesse.
endet das Stück
Griselidis in der französischen Literatur. 6]
Das 18. Jahrhundert hatte jedenfalls eine andere Auffassung
von der Comedie als wir heutzutage. Come&die war der Name
für jedes Schauspiel, das einen guten Ausgang hatte. Es
ist wohl angebracht, den "Masstab der damaligen Zeit an
das Werk der Madame de Saintonge anzulegen. Wollten wir
es mit dem modernen messen, so wäre mit einigen Worten
über das Machwerk das vernichtende Urteil gefällt, das es ver-
dient. Der Einfluss der von Boileau in seinem „Art poetique“
aufgestellten Regeln ist unverkennbar. Von vornherein ist fest-
zustellen, dass Me de Saintonge bald die Vorschriften Boileaus
über die trag&die, bald die über die comedie befolgt hat.
Als erstes Erfordernis für den Lustspieldichter stellt Boi-
leau das Studium der Natur auf. Zu der Zeit, wo eine Hermione
noch alle Gemüter der Gebildeten entilammte, war da etwa der
Boden bereitet, eine zweite Fresne und Griselidis auf die Bühne
zu bringen? Geht doch ihre Ergebenheit und Selbstentäusser-
ung so weit, dass sie noch den Brautwerber für ihren tyran-
nischen Eheherrn macht. Das ist nicht mehr Natur, sondern
eine auf das äusserste Mass geschraubte Unnatur, und in der
Tat ist von allen französischen Griselidisbearbeitungen diese die
einzige, die dieses Motiv benützt hat.
Wohl kennt die Verfasserin auch die Regel Boileaus, dass
die Darstellung der Liebesleidenschaft der sicherste Weg ist um
zum Herzen zu sprechen, nun soll sie aber durch Gewissens-
bisse bekämpit und als eine Schwachheit, niemals als eine
Tugend dargestellt werden. In vielerlei Hinsicht ist diese Regel
nur zu getreu, zu buchstäblich befolgt worden. Aller Psycho-
logie der Liebe schlägt das treue Festhalten der Griselidis an
ihrem Eheytrannen ins Gesicht, ihre Liebe erscheint uns und muss
auch der damaligen Welt als die höchste Steigerung weiblicher
Schwachheit erschienen sein. Beim Fürsten, dessen Liebe nicht
etwa durch Gewissensbisse bekämpft wird, ist diese Leidenschaft
nicht nur Schwachheit, sondern Verbrechen: es ist die ganz
unnatürliche Leidenschaft zu seiner eigenen Tochter, die Stimme
des Bluts spricht nicht bei ihm. Wenn er sie auch nicht als
Tochter kennt, so ist die Leidenschaft des älteren Onkels zur
jüngeren Nichte kaum weniger entschuldbar. Keine Stelle in
62 Richard Schuster.
dem Schauspiel lässt darauf schliessen, dass der Fürst etwa
Griselidis bloss auf ihren Gehorsam hin prüfen wollte oder von
irgend einem andern Gefühl als dem des vornehmen, kraft
seiner Stellung alle Rücksichten bei Seite setzenden Lüstlings
beseelt gewesen wäre.
Das dramatische Interesse soll sich bei jeder Szene ver-
doppeln, verlangt Boileau weiterhin. In dieser Hinsicht mag
die Verfasserin den dramatischen Forderungen entsprechen.
Gesteigert wird unser Interesse zweifellos bei jeder Szene, wenn
wir von den mancherlei Geschmacksverirrungen der Verfasserin
absehen. |
Unvorhergesehen und schnell soll die Lösung erfolgen.
Etwas Unvorhergeseheneres und Rascheres als diese Lösung
können wir uns allerdings kaum denken. Wer würde es im
Ernste für möglich halten, dass Griselde nicht verstossen, Isabelle
nicht zu einer sofortigen Heirat gezwungen wird? Grosse Er-
eignisse sollen bevorstehen: Federic soll Revolutionär werden,
Isabelle sich töten, Griseldens unsäglich trauriges Geschick für
immer besiegelt sein. Aus diesem Labyrinth findet sich die
Dichterin doch noch zurecht, sie zerhaut den wirr verschlungenen
Knoten und lässt als Retter in der Not den Boten erscheinen,
der uns über das Verwandtschaftsverhältnis Isabellens zu dem
Fürsten aufklärt. Diese Lösung ist unnatürlich, nicht im Gang
der Handlung begründet und verwischt keineswegs den über-
aus widerlichen Eindruck, den wir vom Charakter des Fürsten
erhalten haben.
Der komische Dichter soll ein getreues Bild des Men-
schen darstellen, den er bis ins Kleinste hinein kennen soll.
Als notwendiges Hilfsmittel hiezu muss die eingehende Kennt-
nis der Sitten und Gewohnheiten des Zeitabschnittes dienen,
in dem die Handlung vor sich geht.
Im Jahre 1714 wurde unser Schauspiel verfasst; es gab
genug ausländische und einheimische Fürsten am Hofe Lud-
wigs XIV. — ihn selber nicht ausgenommen — die Modell zu
diesem Fürsten hätten sitzen können. Rücksichtslosigkeit und
frivole Auffassung vom weiblichen Geschlecht sind diesen Für-
sten insgesamt gemeinsam.
Der Ton, in dem die Höflinge mit dem Monarchen, ver-
kehren mussten, um ihm durch die Blume einige Wahrheiten
zu sagen, ist in unserem Schauspiel gut getroffen und kann
Griselidis in der französischen Literatur. 63
auch als Spiegelbild damaliger Zeitsitten dienen. Den Vor-
schriften Boilaus gemäss sind alle pöbelhafiten Worte vermieden.
Selbstverständlich ist das Stück streng nach den drei Regeln
der Einheit des Orts, der Zeit uud der Handlung gebaut.
Zum Schluss ist noch darauf hinzuweisen, dass die Fabel
gänzlich ihres Wesenskerns, des Prüfungsmotivs, beraubt ist,
das ganze Stück dreht sich um die Heirat des Fürsten mit
Isabelle, der ohne sich um die kirchliche Autorität im geringsten
zu kümmern (die weltliche repräsentiert ja er), ohne irgend
einen triftigen Scheidungsgrund, von heut auf morgen seine
langjährige Gattin verstossen und eine neue Heirat eingehen
will. Nichts Unwahrscheinlicheres und Roheres hätte dargestellt
werden können.
Als Vorzug der Come&die kann höchstens der gewandt
gehandhabte Alexandriner angeführt werden. Die höfische In-
triguenhandlung stellt ein getreues Spiegelbild der damaligen
Zeit dar, und die mancherlei Rührszenen sind offenbar ein Zu-
geständnis und eine Anpassung an den Geschmack jener Zeit.
Schwerer fallen die Nachteile ins Gewicht, die sittliche Rohheit
von Charakter und Handlungsweise des Fürsten ist auf ein bei-
nahe unerträglich hohes Mass gestiegen. Und dabei geht dieser
Lüstling völlig straffrei aus; unseren sittlichen Anschauungen
wird absolut keine Rechnung getragen.
Die Vertrauten, Hidaspe und Phenice, die Vertreter der
Vernunft, sind sympathische Figuren und haben die Aufgabe,
die sittliche Verurteilung des Fürsten zum Ausdruck zu bringen,
doch können sie uns auch nicht die ungesunde Atmosphäre,
die über dieser ganzen rohen und krassen Handlung liegt,
vergessen lassen.
64 Richard Schuster.
La Griselde,
» Tragi-comedie
Italienne,
en 5 actes.
De Luigi Ricoboni,') dit Lellio, Come&dien deS.A R.
Monseigneur le Duc d’Orleans, Regent du Royaume.
Das Stück ist eine im Jahre 1717 veröffentlichte Über-
setzung aus dem Italienischen. Boccaccio wurde herangezogen,
ferner ist Perrault auf die Liebeshandlung zwischen Rupert und
Constance von Einfluss gewesen. |
Der Verfasser schreibt im Vorwort zu seiner Griselde:
„Cette Piece est la premiere que jaai composde: Le
sujet en est tir& d’une nouvelle de Boccace; il estoit tres-
propre pour en faire une Trag&die, mais je me suis toüjours
trouv& dans la ne&cessite d’en faire une Tragi-Come&die. La
Tragedie &toit encore bannie du Theatre en Italie lorsque
je l’Ecrivis, et & present que j’ay l’honneur de la repr&senter
a Paris, je regarde l’Arlequin comme un personnage neces-
saire au divertissement du Public; et mon unique attention
sera toüjours de travailler & meriter la bonte avec laquelle
il nous a soufferts jusqu’ä ce jour.“
Aus dem Dedicationsbrief Riccobonis an den Prinzregenten
gebe ich einige Stellen wieder, welche die Auffassung des Ver-
fassers über das Wesen der Tragi-comedie klar legen:
„... cetouvrage qui par l’assemblage equivoque et bizarre
de ses parties est indigne du nom de tragedie, et ne peut
cependant porter celui de comedie. C’est encore un de ces
monstres enfantes autrefois par notre theätre italien; c’est
le me&lange d’un spectacle, j’ose dire grand, avec des scenes
risibles. Alliage que nous sommes contraints de faire pour
rendre quelque fois notre serieux surportable & des spec-
tateurs accoütumes A voir sans cesse les personnages comi-
ques sur notre theätre.“
') Riccoboni (1674—1753) zeitweise in Paris, näheres über ihn bei Vapereau.
Griselidis in der französischen Literatur. 65
Ich gebe hiemit das Personenverzeichnis der fünfaktigen
Tragi-comedie wieder.
Godefroy, Roy de Sicile.
Griselde, son &pouse.
Rupert, prince de Salerne.
Conrade, oncle de Robert.
Constance
Oton, Seigneur de la Cour.
Gianolle, pere de Griselde.
Pantalon,
Arlequin,
Everard, Petit Enfant, Fils du Roy.
Bas Oftficiers de la Cour.
Im ersten Akt teilt Konrad der von ihm erzogenen
Konstanze mit, Griselde werde verstossen werden und sie als
Königin von Sicilien an ihre Stelle treten. Rupert, der Konstanze
liebt und von ihr wieder geliebt wird, gibt sie frei und will
ihrem Glück nicht hindernd in den Weg treten. Godefroy bietet
kurz darauf Konstanze seine Hand an, selbstverständlich ist sie
sich einer solch hohen Ehre bewusst und antwortet ihm zu-
sagend und kokett. Warum Godefroy Griselden allen möglichen
Prüfungen aussetzen will, erfahren wir aus seinem Zwiegespräch
mit Konrad:
„Jai toüjours crü Griselde la plus vertueuse de toutes
les femmes; mais cette opinion n’a pas empeäche qu’il ne
me vint quelqueiois dans l’esprit certain soupgon, que l’art
avoit plus de part A sa vertu que la verite; et que pour
gagner mon coeur, elle avoit feint d’&tre ce qu’elle n’etoit
pas en effet. Il y a trois lustres que je l’etudie, et je ne
comprens pas encore comment une äme si grande, une vertu
si parfaite, a pü naitre au milieu des bois, et je ne suis pas
fäche de la mettre & toutes sortes d’Epreuves pour connoitre
la verite.“
Da sein Volk diese Heirat missbilligt hat, so wird es
Godefroy leicht gemacht, dessen Zustimmung zur Verstossung
Griseldens zu erlangen, Vor den Höflingen muss nun Griseldis
ihre Herkunft und ihre Lebensschicksale erzählen. Es folgt die
bekannte Verstossungsszene. ÖOton soll den jungen Everard
erziehen. Ein Verführungsversuch Otons, sofort nach der
5
66 Richard Schuster.
Verstossung unternommen, misslingt völlig. Er erhält von
Griselde die verächtlichste Zurückweisung.
„Va, je te regarde avec horreur, je ttabandonne ä toutes
les furies qui doivent punir ton crime; Va scelerat; et scache
que Griselde est incapable de se d@mentir; et que si elle a
vecu pour son Roi, elle est toute disposee & mourir pour lui.“
Mit einem Monolog Otons, der den Ausblick auf einen
neuen Verführungsversuch eröffnet, schliesst der erste Akt.
Im zweiten Akt verlässt Griselde das königliche Schloss,
um sich in die Wälder zurückzuziehen. Mit erheuchelter Härte
und Rohheit nimmt Godefroy von ihr Abschied, sie selbst wird
ohnmächtig, als sie ihrem Söhnlein Lebewohl sagt.
Eine erneute Verführungsszene Otons misslingt wieder,
die lockenden Versprechungen, Griselden mit ihrem Söhnlein
wieder zu vereinen, unter der Bedingung, Oton zu heiraten,
prallen an ihr wirkungslos ab, und nun stellt der Bösewicht
der gequälten Frau den baldigen Tod ihres Lieblings in Aussicht.
Erst im dritten Akt atmen wir freie Landluft, die Hof-
luft liegt hinter uns. Griselde kommt wieder zurück zu ihrem
alten Vater Gianolle. Dieser tröstet sie liebevoll, nachdem er
ihr herbes Schicksal vernommen hat. Zu allem hin kommt
noch der Arlequin mit dem kleinen Everard und setzt Gri-
selde davon in Kenntnis, dass er beauftragt sei den Prinzen
in das Gehölz zu führen und ihn dort den wilden Tieren zur
Beute zu überlassen. Alsobald kommt auch Oton wieder, der
den günstigen Zeitpunkt für gekommen erachtet, Griselidis zum
dritten Male auf die Probe zu stellen. Er zeigt Griselden den
für den Mord bestimmten Dolch und richtet gleichzeitig folgende
Befehle an Arlequin:
„Arlequin, quand je lui auray öte la vie, tu prendras
son corps, tu le mettras en quartiers, et tu les jettras aux
bötes dans les endroits du bois les plus &pais.“
Die flehentlichsten Bitten der grausam gequälten Frau
vermögen den Lüstling nicht umzustimmen: da sie ihn nicht
heiraten will, wird ihr Sohn eines grausamen Todes sterben
müssen.
Griselidis in der französischen Literatur. 67
Doch ist Oton ein weniger grosser Bösewicht, als es
scheint; der Arlequin weiss genau, dass all dies nie zur Aus-
führung gelangen wird. Oton gibt trotz aller Fehlversuche
sein Ziel noch nicht auf, Griselde soll nun entführt werden.
Arlequin erzählt den Entführungsplan seinem Kameraden Pan-
talon, von diesem erfährt ihn der König.
Im vierten Akt trifit Konstanze auf der Jagd Griselde
in ihrer väterlichen Hütte. Konstanze bittet den König, Griselde
als eine ihrer Gefolgsfrauen mitnehmen zu dürfen. Unterdessen
wird Godefroy von dem Plane Otons benachrichtigt, Griselden
mit Walfengewalt zu entführen. Oton lässt noch einmal alle
Überredungskünste spielen, um Griselde doch noch für sich
zu gewinnen. Als Godefroy erscheint, erteilt er den Befehl:
„Que Pon conduise Oton au Palais et qu’il me laisse
son Epee.“
Auf Konstanzens Bitten hin erlaubt der König, dass Gri-
selde an den Hof kommen darf.
Der fünfte Akt führt uns in einen Saal des Königs-
palastes. Es wird über Oton Gericht gehalten, der König will
ihm verzeihen, wenn er die volle Wahrheit spricht. Ja, er ver-
spricht Oton sogar ihm Griselde zur Gemahlin zu geben, falls
er selbst Konstanze heirate.
Zur Abwechslung kommt nun eine Liebesszene zwischen
Konstanze und Rupert.
„Un autre aura ma main, mais mon cher Rupert aura
.seul mon coeur.“
Griselde weist Konstanze wegen ihres Benehmens rauh
zurecht. Godefiroy kommt hinzu, er erfährt von Arlequin, was
vorgegangen ist, und fährt seine einstige Gemahlin, statt ihr
zu danken, hart an:
„On voit bien que tu es nee dans les bois. T’en ai-je
tiree pour Epier les actions des autres: Tu n’es ici que sujette,
et tu dois oublier la grandeur oü tu as et Elevee, et ne te
m&ler que de ce qui te regarde.“
Der König befiehlt ihr nun gar Oton zu heiraten, sie
weigert sich standhaft, und nun soll sie wählen zwischen dem
Tod und Oton. Sie zieht den Tod vor.
68 Richard Schuster.
Genug ist es nun des grausamen Spiels. Den plötzlichen
Glücksumschwung zeigen die Worte des Königs an:
„Je ne sgaurois plus m’en defendre. Ma chere Epouse,
leves-vous, venes que je vous embrasse.“
Es stellt sich heraus, dass Godefroy genau gewusst hat,
dass Konstanze seine Tochter ist, Rupert und Konstanze werden
ein glückliches Paar, Oton erhält Verzeihung und unter den
Rufen des Volks: „Vive Griselde“ endigt die Tragi-come&die.
Wirkliche Charaktere besitzt dieses Stück ebenso wenig
wie Zenos Melodrama, dem Riccoboni im Gang der Handlung
völlig folgt. Vorsichtiger Weise erwähnt er Zeno nirgends, doch
kann nicht bezweifelt werden, dass er Zeno inhaltlich alles ent-
lehnt hat, eine Vergleichung der Inhaltsangaben beider Werke
lässt dies ohne weiteres erkennen (vgl. die Inhaltsangabe von
Zenos Melodrama bei Widmann S. Ill, Euphorion Bd. 14).
Interessant ist durch ihre Motivierung die dem Stück vor-
“gedruckte officielle Approbation von Houdar de la Motte:
„Approbation.
Jay lü par ordre de Monseigneur le Chancelier la Gri-
selde, piece italienne, traduite en frangois, et jay crü que
cet Ouvrage feroit plaisir au Public.
Fait ä Paris ce 6 Juillet 1717.
Houdar de la Motte.“
Griselidis in der französischen Literatur. 69
Beinahe anderthalb Jahrhundert nach der Tragi-comedie
wurde eine
Ballet-Pantomime en 3 actes et 5 tableaux
Les Cing Sens
in Paris aufgeführt. Das. von Dumanoir und Mazilier verfasste
Schauspiel wurde am 14. Februar 1848 auf dem Theater der
königlichen Akademie für Musik aufgeführt; die Rollen sind
folgendermassen verteilt:
Wladislas, roi de Boh&me.
Le Prince Elfrid, son fils.
Jacobus, eEcuyer du jeune prince.
Griseldis.
Un ambassadeur.
Hassan, gouverneur de Belgrade.
Les Femmes d’Hassan.
Seigneurs Boh@miens et Moldaves.
Danseuses, Musiciennes, Jardinieres, Chasseurs.
Das Personenverzeichnis lässt schon den berechtigten
Schluss zu, dass wir es keineswegs mit der traditionellen Gri-
selidis zu tun haben. Eine kurze Inhaltsangabe lässt dies ohne
weiteres erkennen. |
Elfrid und Griselidis sind die Hauptpersonen der Hand-
lung. Diese ist vollständig ihres Wesenskerns, der Prüfungs-
motive, beraubt, ihren einzigen Hebel bildet die Liebe Elfrids
zu einem feenhaften Wesen, das er im Traume geschaut, und
das ihm später zwei Mal in anmutigen Verkleidungen er-
schienen ist.
Ein Gesandter des Gouverneurs von Belgrad kommt als
Brautwerber zu dem König von Böhmen und wünscht Elfrids
Zusage zu der Heirat mit der Tochter seines Herrn. Elfrid
muss der Staatsklugheit ein Opfer bringen. Im Harem zu
Belgrad angelangt, achtet er all der sinnberückenden Pracht
um ihn her nicht, wieder und wieder weilen seine Gedanken
bei der Traumgestalt. Da erscheint sie ihm wieder verkleidet,
70 Richard Schuster.
er spricht sie, nun ist sein felsenfester Entschluss gefasst, nur
sie will er heiraten.
Bald naht sich Elfrids Vater, der Sohn erklärt ihm, er
wolle seine Verlobung auflösen, seine noch nie geschaute Braut
nähert sich; Elfrid will auch ihr seinen Entschluss, sich nicht
mit ihr zu verloben, kund tun.
„La Princesse parait enfin, couverte d’un long voile...
Elfrid s’elance vers elle... Mais il s’arrete, muet de sur-
prise et de bonheur, en reconnaissant la voix qu’il a deux
fois entendue, et qui lui chante encore:
Arrete, enfin arrete
Ne’'quitte pas ces lieux!
Je suis la voix secrete
La voix qui vient des cieux.
Le voile tombe. La princesse, c’est Griselidis elle-m&me qui
tend la main au jeune prince et lui montre son anneau de
fiancailles.*
Die Traumgestalt ist also Griselidis, die Tochter des Gou-
verneurs von Belgrad, Elirids Braut.
Diese Inhaltsangabe zeigt, in wie loser Berührung diese
Griselidis zu allen anderen Griselidisbearbeitungen epischer
oder dramatischer Art steht.
Griselidis in der französischen Literatur. 71
Ostrowskis Griselidis.
Ein besseres Drama als die eben behandelten ist zweifellos
das Werk des polnischen Flüchtlings Ostrowki,!) welches auch
vor dem Forum der Ästhetik mit grösseren Ehren bestehen wird.
Acht Tage nach der am 17. März 1849 sattgehabten Erst-
aufführung der Griselde am Theätre de la Gaite schreibt Anais
Segalas in seiner Preface zur Griselde:
„Le drame de Griselde ne se passe point du temps que
la reine Berthe filait, il faut remonter encore un peu plus
haut: la fameuse Berthe, fille de Lothaire, roi de Lorraine,
filait au Xe siecle, et M. Ostrowski nous transporte en Angle-
terre, A la cour du roi Artus, contemporain de Charlemagne.
Nous voilä sur le terrain fleuri de la l&gende, au milieu des
chevaliers de la Table Ronde. Il etait impossible de faire
un choix plus poetique; c’est un grand merite au theätre
de s’emparer d’un siecle vraiment neuf, et d’etre un des
premiers dä en secouer la poussiere. Nous sommes tellement
fatigues de voir sans cesse exploiter les m&mes E&poques!
Les Romains ont use sur la scene leurs vieilles toges, qui
ne sont bonnes aujourd’hui qu’& leur faire des linceuls;
l’eternelle Saint Barthelemy a trop souvent assomme des
spectateurs bons catholiques, en les traitant comme des hugue-
nots, et le duc de Richlieu nous a jet€ plus de cent fois sa
!) Der Dichter und Schriftsteller Graf Chr. Jos. Ostrowski ist in Uiazd,
bei Rawa in Polen, im Jahre 1811 geboren und 1882 in Lausanne gestorben. An
der polnischen Erhebung vom Jahre 1830 nahm er ruhmwollen Anteil und wanderte
dann nach Frankreich und Belgien aus; nachdem er im Jahre 1837 den belgischen
Offiziersdienst aufgegeben hatte, lebte er fortan in Paris und dann in Lausanne.
In französischer und polnischer Sprache hat er hauptsächlich Dramen und Ko-
mödien geschrieben, von denen mehrere in Paris aufgeführt wurden, und von
denen viele in seinem Theätre complet (1852) erschienen sind. Von ihm rühren
ausserdem her: Legendes du Sud par un homme du Nord (1863); Larmes d’exil,
poesies (1867); Le massacre de Praga (1866): Jean Sobieski, drame (1876);
Deuvres choisies (1875) etc. In polnischer Sprache hat er die polnischen Jamben
(1863) und Theaterstücke, yrösstenteils Umarbeitungen von fremden Schriftstellern,
verfasst (s. Larousse illustre VI, 569).
12 Richard Schuster.
poudre aux yeux. Salut donc aux chevaliers de la Table
Ronde!“
Von Ostrowskis Griselidis sind mir zwei Ausgaben be-
kannt. Die eine, nach der ich im folgenden zitiere, befindet
sich im Theätre complet von Chr. Ostrowski vom Jahre 1852,
die andere lag mir in der Originalausgabe vom Jahre 1849 in
der Nationalbibliothek zu Paris vor. Die Abweichungen dieser
Originalausgabe vom Druck von 1852 gebe ich in Anmerkungen
wieder. Die Abweichungen zwischen den beiden Ausgaben
beziehen sich nur auf die Form, nicht auf den Inhalt. (Vergl.
hierüber im folgenden die Anmerkungen.)
Am Hofe des Königs Artus spielt sich inmitten der Ver-
gnügungen eines Nachtiestes der erste Akt ab. Perceval
kommt mit seinem Freunde Tristan nach dreijähriger Abwesen-
heit wieder an den Hof, ohne dass die schönen Damen irgend
welchen Eindruck auf ihn machen. Er, „le superbe etranger au
front päle, aux cheveux flottans sur ses epaules“, hat auch für
.die schöne Ginevra, die er einst geliebt, keine Augen mehr.
je Paimais autrefois d’un amour plein de fievre,
Comme on aime ä 20 ans! pour ces regards vainqueurs
Dont la douce magie embrasait tous les coeurs,
Pour son nom de Ginevre, et plus que tout encore,
Pour ce maintien royal qui toujours la decore.
Ihr sträflicher Übermut, der das Leben Percevals einer
Laune geopfert hätte, hat seine Liebesglut abgekühlt, abge-
schüttelt hat er die Bande, die ihn an sie fesselten. Schillers
Gedicht „Der Handschuh“ hat O. in etwas veränderter Form
aufgefrischt. Diesmal wirft Ginevra einen Blumenstrauss in die
Arena hinab, Perceval, ihr Getreuer, holt ihn ihr aus den Krallen
der sich zerfleischenden Löwen heraus. Rasend ist der Beifalls-
sturm der Versammlung; doch noch am selben Tag ist Percevals
Herz Ginevra auf ewig verloren.
Manche Jahre sind seitdem ins Land gezogen, eine Gri-
selidis hat jetzt einer Ginevra Platz eingenommen. Nach drei
Jahren glücklicher Ehe erscheint Perceval wieder inmitten des ver-
derbten Hofes. Ginevras und der andern Neugierde wird durch
Gauvin befriedigt, der die Heirat Percevals mit der Tochter
Cedrics, eines einfachen Köhlers, den skandalsüchtigen Männern
und Frauen der Tafelrunde erzählt. Nicht lange braucht die
zungengewandte Königin, um durch Stichelreden den rauhen
Griselidis in der französischen Literatur. 73
Ritter Perceval selbst mit der Devise „Fais-ce que dois, et dis
ce que fais“ zu veranlassen, die Geschichte seiner Liebe zu
erzählen.
So erfahren wir denn, dass die normännische Flotte drei
Jahre vor dem Zeitpunkt unserer Handlung am Kap Stafford
Schiffbruch gelitten hat und Perceval samt seinem Gegner,
einem normännischen Anführer auf ödem Ufer schwer ver-
wundet einem schmählichen Tode verfallen gewesen wäre, hätte
ihm nicht der freie Seemann und Köhler Cedric durch opfer-
willige Pflege das Leben gerettet.
Sa fille.... Ah! je renonce ä tracer son portrait!
Quel peintre ou quel pö£ete oserait vous d&crire
Sa beaute de Madone et son jeune sourire ?
Si jamais un archange envoy& du Seigneur
Paraissait ä nos yeux, cet esprit de bonheur
Aurait un corps pareil ä celui qui l’abrite;
La beaut& n’est pourtant que son moindre merite,
C’est la splendeur d’une äme immortelle! . . le jour
Oü naissant d’üne &toile au celeste sejour
Ce chef d’oeuvre Echappa de sa main satisfaite,
Dieu lui baisa le front et lui dit: „Sois parfaite!“
Jamais forme plus belle, esprit plus radieux,
Ne porta le reflet du souverain!) des cieux.
Un jour, je la vis dans son tartan de laine
Pres de Cedric, son pere, et de sa mere Helene
Qui n’en detachait pas ses regards amoureux.
Je compris qu’elle Etait tout l’univers pour eux.
Ce moment decida du destin de ma vie;
Je m’arrötai, le coeur &mu, l’äme ravie;
Et cet enchantement soudain me revela
Que Griselde, la soeur de mon äme, &tait lä!
Je lui dis, m’inclinant sur sa töte charmante:
„Griselde, saurais-tu m’aimer comme une amante ?*
Elle leva sur moi des yeux pleins de langueur,
Dont l’humide rayon penetrait tout mon coeur,
Et m’offrant une rose avec un trouble extr&me,
Fit un signe leger qui disait: „Oui. je t’aime!“
Griselde, ai-je ajoute, tombant ä ses genoux:?)
Veux-tu m’etre fidele ainsi qu’ä ton &poux
Quand je serais proscrit du pays oü nous sommes
I) createur.
2) a deux genoux.
74 Richard Schuster.
Desherite, maudit du ciel, maudit des hommes?
— ÖOui, seigneur, je le veux: — Griselde viens ä moi,
Luis dis -- je avec transport: je te donne ma foi
Le ciel m&me est jaloux du bonheur!) qui m’enivre
Veux-tu quitter ton pere et ta mere, et me suivre ?*
Elle tomba muette aux bras de ses parens.
Mais ses pleurs repondaient pour elle: Oui, je me rends
Alors?) m’ayant donn& cette fleur ephemere
Pour l’anneau nuptial que je tiens, de ma mücre,
Griselde fut conduite au bourg de Pendenny,
Oü par ’homme de Dieu notre hymen fut b£ni,
Je lui vouai’) mon coeur, ma pensde et mon äme
Voila comment Griselde est aujourd’hui ma femme.
(1, VI.)
Ginevras Absicht Perceval vor allen wegen seiner Heirat
mit dem Köhlerkinde zu beschämen, ist misslungen. Im Gegen-
teil hat sie nur erreicht, dass die leidenschaftliche Liebe zu
seiner Gattin mit elementarer Gewalt in seinen Worten zum
Ausbruch kommt. Kein Wunder, dass Ginevra Perceval auf-
fordert, dieses Muster edler Weiblichkeit bei Hofe vorzustellen.
Eine Griselidis passt jedoch nicht zu dieser frivolen Gesell-
schaft, und rundweg lehnt er dieses Ansinnen der Königin ab,
die nun nichts besseres zu tun hat, als die Lösung dieser un-
würdigen Verbindung durch den König in Aussicht zu stellen
und Perceval durch geringschätzige Bemerkungen über sein
Weib gröblich zu beleidigen. Der Streit spitzt sich dermassen
zu, dass Lancelot, die Partei der Königin ergreifend, Perceval
seinen Handschuh ins Gesicht schleudert. Ein Duell muss die
notwendige Folge dieser Beleidigung sein, doch trennt der
Grosseneschall Gauvin auf Befehl der Königin die Streitenden.
Perceval fürchtet eine Ginevra nicht, mannhaft tritt er weiter
ein für seine Gattin:
Je ne crains pas vos regards nmıeprisans;
Et je l’atteste ici devant vos courtisans
Comme je le dirais devant le roi lui-meme;
Que si le seul honneur donnait un diademe,
Griselde serait reine: et vous, madame, vous
Qui raillez sa vertu, seriez ä ses genoux!
!) Que le ciel soit temoin du bonheur.
”) Alors, pour cette rose, acceptant en Echange
L’anneau de notre möre, aujourd’hui mon bon ange.
?%) donnai.
Griselidis in der französischen Literatur. 75
Der durch den Waifenlärm vom Schlaf erweckte König
Artus will Perceval unter der Bedingung eines Kniefalls vor
der Königin verzeihen, dass er in ihrer Gegenwart sein Schwert
gezogen hat. Doch solch ein stolzer Ritter beugt seine Knie
nicht vor einer Ginevra.. So muss denn das von Gauvin vor-
gelesene Gesetz in Kraft treten:
„Pour lese majeste,
Le criminel d’Etat mourra decapite.
Si l’offense remonte ä I’'honneur de la reine,
La femme du coupable est soumise ä la peine
Du cloitre et de l’exil.“
Wäre Ginevra nicht auf sonderbare Weise vermittelnd ein-
vetreten, so hätte das barbarische Gesetz in Anwendung kommen
müssen. „Wenn Perceval uns den Beweis erbringt, dass Gri-
selidis an meiner Statt Königin wäre, falls das Diadem immer
der Preis der Treue wäre, so nehme ich sein Urteil an“, sagt
die ränkesüchtige Ginevra und lässt Gauvin die Bedingungen
niederschreiben.
Ginevre, a Gauvin.')
Vous, messire, eEcrivez. „Ordonnons que demain
Griselde, ayant livre son fils par votre main,
Soit rendue & son pere, Epouse abandonnee,
Pauvre et sans vetement, comme il vous l’a donnee.“
Perceval ä
Apres!....
I!) Griselde connaitra la sentence du comte:
Et pour le preserver de Vexil, de la honte,
Elle enverra son fils au roi, par votre main.
Nous ordonnons que Griselde, demain,
Soit rendue a son pere, esclave abandonnee
Pauvre et sans vetement, comme il vous Pa donnee!
Nous voulons que sans fiel, sans courroua,
Griselle, ayant quitte son fils, son pere et vous,
Se resigne d mourir captive, au fond d’un cloitre.
Son amour Eprouve de ses pleuwrs doit s’accroitre;
Et malgr& vos m£pris, paraitra sans defaut,
Comme ce diamant.
Si Griselde obeit sans oryueil et sans haine,
Je me jette ü ses pieds, moi Ginevre, moi reine!
Si sa fidelite, Tui conte un send remord,
Pour votre fils Vexil; pow Griselde, la mort!
76 Richard Schuster.
Ginevre.
„Pour vous soustraire & l’arr&t souverain,
Griselde, ayant quitte Cedric, le vieux marin,
Doit se r&soudre A vivre esclave au fond d’un cloitre.
Son amour genereux, de ses pleurs doit s’accroitre;
Et trois fois Eprouve&, paraitra sans defaut,
Comme ce diamant.*
Perceval geht auf die Wette ein. Griselidis soll nun, ohne
sich zu beklagen, unerträgliche Schmerzen erdulden, sich herz-
zerreissenden Demütigungen unterziehen und Ginevra wird die
Kniee vor ihr beugen. Wie konnte er in diese barbarische Wette
willigen, war seine Liebe wirklich so innig, wie sie uns aus
seinen Reden entgentritt, was war denn ihr innerstes Wesen?
Zu deutlich liegt es auf der Hand, es war ein ungeheurer Stolz,
ihm zu Liebe hat er ohne Skrupel die schrecklichen Beding-
ungen dieses grausamen Spiels angenommen.
Mit den Worten Ginevras:
„Demain, sur cette femme, il faut que je l’emporte,
Perceval ä mes pieds: si non, Griselde morte.“
endigt der erste Akt.
Die folgenden zwei Akte sind den verlangten Prüfungen
gewidmet, und in diesen nimmt daher naturgemäss Griselidis
und ihr Verhalten das Hauptinteresse in Anspruch.
Der zweite Akt spielt sich im Schloss zu Pendenny ab.
Griselidis erwartet ungeduldig die Rückkehr ihres Gatten, schon
ist er drei Tage fort. Nacht ist es geworden, eine einzige
Lampe spendet in ihrem Zimmer spärliches Licht, ein fürchter-
licher Sturm tobt draussen, aber unbekümmert um Wetter und
Graus schläft ihr Söhnlein Richard, voll Mutterglück betrachtet
sie ihr einziges Kind und betet:
„Prot&gez, mon fils, puissances £ternelles.“
Da ertönt Hörnerklang, Tristan, der treue Freund Percevals,
erscheint und bringt ihr Kunde von ihrem Vater. Unheilvolle
Kunde ist es, Schlag auf Schlag wird nunmehr Unglück über
Griseldens Haupt heraufziehen. Nie kann und wird ihr Cedric
verzeihen, dass sie ihre Mutter, die sich drei Tage lang aul
dem Totenlager nach ihrer Tochter gesehnt hat, vergebens hat
rufen lassen. Mit Verwünschungen über den Stolz ihrer Tochter
ist sie dann an gebrochenem Herzen gestorben. Vom Vater
Griselidis in der französischen Literatur. 77
verflucht, von der Mutter am Totenbett vergeblich gerufen,
weil der eigene Gemahl mit dem Tode rang und ihrer Pflege
bedurfte, so wird uns hier eine neue Griselidis vorgeführt, eine
Griselidis, die zu der lieblichen Griselidis, wie sie uns fast überall
das erstemal entgegentritt, in grellem Gegensatz steht.
Nun erst beginnt nach diesem Vorspiel die Prüfung, zu-
vörderst wird ihr ihr Sohn entrissen werden. Ihr Gatte ist
zurückgekommen, unheimlich bleich schaut er aus, und sie ahnt
kommendes Unheil. Ihren Gedanken gibt sie beredten Ausdruck,
und niederschmetternde Antwort wird ihr zu teil. Nicht glauben
kann es die unglückliche Griselidis, dass der König ihre Ehe für
ungültig erklärt und ihrem Gatten bei Strafe des Bannes geboten
hat, ihr Söhnlein seinen Händen auszuliefern. Für Spiel und
Spott hält sie alles, ihre Klagen und Bitten hätten einen Stein
erweichen können, Perceval jedoch bleibt fest.
Et vous, mon noble Henri! vous livrez votre enfant,
L’espoir de vos amours, votre reflet vivant
Oü vos traits, confondus avec ceux de sa me£re,
Appellent nos baisers sur sa tete si chere.
Pour quel crime inconnu ce pauvre ange!) si beau
Doit il fuir du sommeil dans la nuit du tombeau?
Il est la, souriant, sous les ailes d’un songe;
Mais je le savais bien,?) ce n’etait qu’un mensonge.
Mit aller ihr zu Gebote stehenden Energie verteidigt sie
ihr Kind und will eher mit ihm sterben, als es einem unge-
wissen Schicksal preisgeben. Da greift ihr Gatte, um doch
noch den Sieg zu behalten, zu einem unwürdigen und ver-
werflichen Mittel. Er erklärt, sein eigenes Leben sei durch des
Königs Acht und Bann verwirkt, wenn Griselde die Auslieferung
Richards verweigere. Nun gibt sie nach,
Seine Handlungsweise sucht Perceval in einem nachfolgen-
denden Monolog zu rechtfertigen, woraus wir wieder sehen,
dass sein Stolz das eigentliche Motiv aller Proben ist. Auch
ihm hat das Herz geblutet bei dem Auftritt, doch die Königin .
wird die Kniee vor Griselidis beugen müssen und alle Höflinge
werden sarkastisch lächelnd Zeuge dieser Demütigung sein und
nach dem Tode von Artus wird er König und sie Königin werden.
Der zweite Teil des zweiten Akts gilt der Verstossung
Griseldens. Eine komische Scene zwischen Kenneth und seiner
1) enfant.
2) vous le voyez bien.
78 Richard Schuster.
lünfzigjährigen Gattin Elinor lässt unsern Geist von den vorhin
geschauten grausigen Bildern etwas ausruhen. Kenneth ist ihrer
überdrüssig und wird deshalb von ihr geschlagen; er macht einen
Selbstmordversuch und fällt glücklicherweise nur auf einen
Blumenwasen. Ginevra ist inzwischen erschienen. In ihrem
und ihrer Höflinge Beisein teilt Perceval seinen Vasallen, Gri-
selidis und ihren Frauen die Nichtigkeitserklärung seiner Ehe
mit der Köhlerstochter durch den König mit. Seinen Worten
verleiht er Nachdruck dadurch, dass er seinen Hochzeitsring
zerbricht. Keinen Eindruck machen auf ihn die Worte seiner
Gattin:
„Mais parlez, messeigneurs, parlez donc! qu'ai-je fait ?*
noch das Gnadeflehen von Frauen aus dem Volke. In schroffem
Tone fordert er sie, die jetzt nur noch seine Vasallin sei, zur
Herausgabe aller Geschenke auf, die er ihr einstens gemacht,
und erlaubt ihr nur die von Cedric, ihrem alten Vater, erhaltenen
Gaben mitzunehmen. Niemand verteidigt sie, so gibt sie denn
alles hin und scheidet mit den Worten:
„Humble fille des champs, je quitte son palais
Comme ces fleurs, mourante et brisee avant l’heure! ....
Ma place A moi, ne fut jamais dans sa demeure!*
Nur noch ein wollenes Kleid verbleibt ihr, und mit der
Hoffnung, dass er einst bereuen wird, was er ihr zugefügt,
verlässt sie ihn mit dem Wunsche, eine andere möge ihn glück-
licher machen, als sie es verstanden habe. Ginevra selbst, diese
Teufelin, kann nicht umhin, Griselidis zu bewundern, doch
hindert sie das nicht, ihr auch noch die letzte Probe aufzuerlegen.
Im dritten Akt erfährt der 80 jährige Cedric die Schick-
sale seiner Tochter von Ogier. Als sie im nächsten Augenblick,
Gnade heischend, selbst vor ihn tritt, verweigert er, der sie
noch kurz vorher verflucht hat, ihr jegliche Anerkennung und
Verzeihung. Noch harren der armen Griselidis grausamere
Qualen, noch soll sie sich stärkeren Prüfungen unterziehen
Gauvin weiss sich eine Unterredung mit ihr zu verschaffen
unter dem Vorwand, es handle sich um das Leben und die
Ehre Percevals. Der Urteilsspruch an diesem soll nicht voll-
streckt werden, wenn sie ihre Tage im Kloster beschliesst,
ausserdem will der König noch, dass ihr Sohn Richard mit
einem giftgetränkten Dolch, den Gauvin besitzt, aus dem Leben
Griselidis in der französischen Literatur. 79
geräumt wird. Doch Gauvin kann sie retten. Ein skandinavisches
Schiff ist im Hafen von Stafford verankert, dieses soll sie weit
wegführen von Perceval, den er hasst wie keinen auf der Welt,
denn er hat ihn, Cathmor-le-Geant, den Sohn der skandina-
vischen Könige, auf einem normännischen Schiff zum Gefangenen
gemacht. Vergebens hat er den Tod gesucht, aber seit dem
Tage, wo er Griselden aus ihrer väterlichen Hütte heraustreten
sah, liebt er sie, nun will er nicht mehr sterben.
Griselde! A vos genoux
Je demande piti& pour Richard et pour vous!
Sur le Nord, ma patrie, oü l’amour vous entraine
Comme sur mon vaisseau, vous serez souveraine!
Votre fils nous attend: il nous suivrat) toujours.
Jai de l’or, ’avenir nous promet de beaux jours;
Vos pleurs, je les taris: vos chaines, je les brise
Je vous aime!... je t’aime.
Jäh erwacht er zur rauhen Wirklichkeit, als das Wort
Griseldens „Et moi, je vous meprise“* ihm entgegentönt. Als
Gauvin zur Gewalt schreitet, erscheint plötzlich Ginevra, das
schwer bedrohte Weib fleht sie um Rettung an, Ginevra befiehlt
ihr aber höhnisch, Perceval, den sie hier verborgen halte,
herauszugeben.
Il t’a pris tout au monde: espoir, patrie, hormeur ...
Sa libert€ du moins paiera pour ton bonheur!?)
Da aber die Königin ihren Zweck nicht erreicht, so greift
sie zur Gewalt und befiehlt Griselde nach Staffort zu führen.
Je vais donc prier Dieu pour lui, dans ma retraite,‘)
Pour vous aussi, madame!... Il me sera perrmis
t) Votre fils avec nous reuni pour toujours.
2) Venge-toi, prends ses jours enfin, pour ton bonheur!
*) Je suis prete:
Je pourrai prier Dieu pour lowi: dans ma retraite
Au sein du monastere ou je vais m’enfermer
Il me sera permis de souffrir et daimer ....
J'entendrar prononcer son nom: Jen serai fire!
Peut-etre, quelque jour, dans un flot de poussiere
‚Je verrai son panache ondoyant a mes pieds;
J’appellerai mes soewrs, et je dirai: „Voyez,
C'est lui qui m’aimait tant! Un jour, je me rappelle,
Son coeur m’a prefere Vamante.la plus belle:
La patrie! ...“ Et fidele au premier souvenir,
En etendant la main, je pourai le benir.
80 Richard Schuster.
D’appeler ses bienfaits sur tous nos ennemis ...
Ecoutez! .. . l’Angleterre est libre! .... oui, j’en suis fiere!
Voyez grandir, la bas, ce torrent de poussiere,
Ce panache de flamme ondoyant A mes pieds!...
C’est lui, mon Perceval! .... Venez, vous me trompiez.
Mes soeurs, il m’aime encore! Un jour, je me rappelle,
Son cour m’a preiere l’amante la plus belle:
La patrie!... Et ma main qui tremble au souvenir
De nos amours, s’etend vers lui, pour le bEnir!
Gegen so viel Liebe und Stolz, gegen den Zauber ihrer
liebreizenden Stimme kann sich selbst eine Ginevra nicht
länger verschliessen und bangen Herzens sieht sie die Stunde
kommen, in der sie ihre Kniee vor dem Kinde des Volkes
beugen muss.
Cedric wird von Wachen hereingeführt und von Ginevra
auf seine Tochter aufmerksam gemacht. Der alte Mann macht
seinem Herzen Luft, wird ausfällig gegen die feigen Höflinge
und segnet Gott, dass er ihm das Augenlicht geraubt hat, da-
“mit er die berüchtigte Königin nicht sieht; und nun wendet er
sich noch gegen seine unglückliche Tochter und verflucht sie.
Das ist zu viel für Griselidis, das erträgt sie nicht länger, das
Gift, das sie Gauvin genommen, führt sie zu den Lippen und
stirbt. Perceval kommt in Begleitung von Artus und Gefolge
eben noch recht, um von seinem sterbenden Weib zu erfahren,
Gauvin habe ihr das Gift gegeben, das der König für ihren
Sohn bestimmt habe. Nun hat auch die Stunde dieses Böse-
wichts geschlagen. Vom König verstossen, stirbt er von der
Hand Percevals.
Die letzte Szene zeigt uns, wie Lancelot, der Liebhaber
Ginevras, von Artus verstossen wird, und wie Perceval die
sterbende Griselidis mit Erfolg um Verzeihung anfleht. Artus
setzt Richard zum Erben ein, umarmt den alten Cedric, zwingt
Ginevra im Beisein aller Ritter die Kniee vor dem reinen Frauen-
bilde zu beugen und setzt ihr selbst die Krone auf.
Griselidis in der französischen Literatur. gl
Eligius Franz Joseph Freiherr von Münch-Bellinghausen,
bekannter unter seinem Schriftstellernamen Friedrich Halm, hat
ım Jahre 1835 ein dramatisches Gedicht Griseldis!) veröffent-
licht, das mit grossem Erfolg auf dem Wiener Burgtheater auf-
geführt wurde. Mit dieser Halmschen Griseldis stimmt nun in
allen wesentlichen Punkten die Ostrowskische Griseldis überein,
so dass die Annahme völlig gerechtfertigt ist, Ostrowski habe
Halms Arbeit gekannt und sie zur Ausarbeitung seines Dramas
ausgiebig benutzt: Ein Vergleich zwischen Ostrowski und
Halm wird den Beweis der aufgestellten Behauptung erbringen.
Der Schauplatz ist in beiden Dramen derselbe. Zuerst ist
es die Königsburg zu Wales und hierauf Percevals Burg Pen-
dennys. Auch ein Blick auf das Personenverzeichnis überzeugt
uns, dass wir König Artus nebst den bekannteren Rittern seiner
berühmten Tafelrunde vor uns haben. Die schönen, leicht-
fertigen Frauen fehlen ebensowenig, Ginevra, Artus’ Gemahlin,
trit aus ihren Reihen hervor. Als Gegensatz zu diesem Hofe,
„dem Tummelplatz leichter ritterlicher Minne“, tritt uns Griselidis
gegenüber, das Ideal ehelichen Gehorsams und ehelicher Treue.
Perceval mit seinem Büffelwams und der immer traurigen Stirn,
dem bei Ostrowski sein treuer Freund Tristan wie ein Schatten
folgt, lässt diesen Gegensatz noch mehr hervortreten. Be-
merkenswert ist, dass sämtliche Personen in beiden Dramen
an Zahl dieselben sind, wenn auch ihre Rollen dann und wann
abgeändert sind. Doch die dem Drama zu Grunde liegende
Idee ist bei Ostrowski durch Hinzufügung neuer Züge, durch
Zurückgreifen auf Percevals Jugend und seine Beziehungen zu
Ginevra und deren Abbruch, nicht unwesentlich verändert wor-
den. Wir können keineswegs bedauern, dass der eigentliche
tiefere Grund, der zum Abschluss der verhängnisvollen Wette
führt, bei Ostrowski die Eifersucht eines Weibes bildet. Meiner
Ansicht nach ist dadurch der Hass Ginevras auf Griselidis viel
verständlicher geworden, und das Ganze hat, wenn auch nicht
1) Tnhaltsangabe und literarische Würdigung von Halms Griselidis siehe bei
Westenholz (S. 129 ff.) wul Widmann (8. 116 f.).
6
82 Richard Schuster.
an Humanität, so doch an Wirklichkeit und Wahrscheinlichkeit
gewonnen.!)
Wie verhält sich die dem Drama zu Grunde liegende Idee
zu der Darstellung der handelnden Personen?
Vor allem interessieren uns etwa zu Tage tretende Uhnter-
schiede zwischen der Charakterzeichnung des Halmschen Per-
ceval und der des polnischen Flüchtlings. Verachtung gegen
alle Hofetiquette, ruhmreiche Vergangenheit, unbändigen Ehrgeiz
und Stolz haben beide gemeinsam. Ihre Ansicht über die Frau
und ihren Beruf ist im wesentlichen gleich, wenn auch das
französische Drama weniger wortreich und weniger streng sich
ausdrückt.
Ostrowski und Halm missbilligen es, dass eine Frau*) ein
solches Wissen besitzt, um in den Sternen lesen zu können:
Qu’en penses-tu, Tristan’?
Le savoir chez la femme est l’oeuvre de Satan;
Il lui ravit bien plus qu’il ne donne peut-£Etre
Eve a perdu le ciel pour vouloir trop connaitre:
L’innocence et l’amour, voilä sa royaute.
Als treubesorgter, liebevoller Gatte, der sich nicht schämt
seine Anhänglichkeit und seine Sehnsucht nach Weib und Kind
einem Waffengefährten gegenüber ohne weiteres einzugestehen,
tritt uns Perceval bei Ostrowski entgegen. Bei Halm weist
er voll stolzer Entrüstung die von Tristan geäusserte Vermutung
zurück, er sehne sich wohl nach seinen Lieben zu Haus. Die
Episode mit dem Löwenzwinger ist bei Halm nicht zu finden,
ist aber, wenn auch nur eine Entlehnung aus Schiller, doch
wesentlich zur Charakterbeurteilung Percevals, der mit einem
allen äusseren Gefahren Stirn bietenden Mannesmut doch nicht
aus Liebe zu einer Ginevra zu ihrem willenlosen Sklaven herab-
sinkt. Bei Halm missfällt uns trotz aller Iyrischen Schönheiten .
bei dem Bericht Percevals über seine Vermählung, dass es
lediglich dem Einfluss des Weines zuzuschreiben ist, wenn
Perceval „jegliches Geheimnis seiner Seele leichtgeflügelt auf
den Lippen schwebt,“ Mit Recht sieht v. Westenholz „in dieser
') Das Motiv der Eifersucht der Königin ist im Lai von Lanval vorge-
bildet, den Halm vielleicht gekannt hat, vgl. die Lais der Marie de France (Bill.
Norm. IID) 8. CVIT f. uud S. 86 f.. ferner Widmann 8. 125 Ann. >).
?) Bei Ostrowski ist es Oriane, der Königin Schwester, bei Halm Morgane,
des Königs Schwester.
Griselidis in der französischen Literatur. 83
Art der Motivierung einen Fehler gegen die dramatische Kom-
position. Die ganze Erzählung Percevals, seine Beleidigung
der Königin und was daraus folgt, kurzum nicht viel weniger
als das ganze Stück scheint so auf einem Zufall zu beruhen.
Wer weiss, wie alles gekommen wäre, hätte der Held um einjge
Becher Weins weniger getrunken.“
Ostrowskis neue Motivierung verdient demgegenüber An-
erkennung. Wir begreifen die Neugierde einer Ginevra besser
ım Hinblick auf ihr früheres Verhältnis zu Perceval. Nachdem
dieser noch ganz einfach über sein Frauenideal sich ausge-
gedrückt hat,
Je r&vais une femme
Tendre, aimante, soumise; et celle-lä, madame
Je ’aurais vainement cherchde & votre cour.
folgt die reizende Erzählung über sein erstes Zusammentreffen
mit Griselidis, die von der Halmschen in den Einzelheiten voll-
ständig abweicht. Auch bestürmen ihn seine Mannen nicht,
sich zu vermählen. Ostrowskis Stück ist meines Wissens das
einzige, in welchem der Graf sie nicht auf der Jagd trifft.
Die Fassung des Gehorsamsversprechens bei Halm!) ist
der bei Ostrowski entschieden vorzuziehen, weil sie der ganzen
sinnigen Schilderung eher angepasst ist als die an Iyrischer
Schönheit Halm kaum nachstehende Ostrowskische Darstellung.
Wir haben unwillkürlich die Empfindung bei den folgenden
Worten Percevals, dass Griselden gegenüber eine solche Sprache
nach dem Vorhergegangenen nicht passt:
Veux-tu m’ötre fidele ainsi qu’a ton Epoux
Quand je serais proscrit du pays ol nous sommes
Desherite, maudit du ciel, maudit des hommes?
Warum jetzt schon auf kommendes Unheil hinweisen? Ostrowski
hätte gut getan die einfache und doch entschiedene Halmsche
Fassung nachzuahmen.
Die Ereignisse, die zur Beleidigung der Königin führen,
sind in beiden Dramen ähnlich, und Perceval soll bei Halm für
alles durch einen Widerrui, bei Ostrowski durch einen Kniefall
vor der Königin Vergebung erhalten, er demütigt sich jedoch nicht.
Aus einem Vergleich der Bedingungen bei Halm und
Ostrowski erhellt, dass nach der Verstossung die Rücksendung der
1) Siehe Halm S. 42—LH1.
84 Richard Schuster.
Griseldis an ihren Vater, sowie die Bestimmung, dass sie hinter
Klostermauern sterben soll, Zutaten von Ostrowski sind- Schreck-
lich sind die Folgerungen, die sich aus diesen Abmachungen für
Griselidis ergeben können, ja ganz widersinnig erscheinen sie
uns und sind auch mit der Lokalfarbe und mit den barbarischen
Zeiten, in denen unser Stück spielt, nicht in Einklang zu bringen:
Si sa fidelite lui cofßte un seul remord,!)
Pour votre fils l’exil; pour Griselde la mort.
Und als Gegeneinsatz bei absolutem Gehorsam Griseldens
will sich Ginevra ihr zu Füssen werfen. Mit der Aufstellung
einer solch unwahrscheinlichen, barbarischen Bedingung gegen
einen möglichen Ungehorsam, macht Ostrowski gegenüber Halm
einen grossen Rückschritt Dieser verlangt nicht etwa un-
barmherzig den Tod der Griselidis, im Falle ihr Gehorsam
versagt, sondern nur was vernünftig ist und gerechter und
billiger Weise verlangt werden kann. Gehorcht Griselidis, so
beugt Ginevra ihre Kniee vor ihr, misslingt der Versuch, so
soll der stolze Perceval sich auf gleiche Weise vor der Königin
demütigen.
Im zweiten Akt seines Stückes folgt Ostrowski Halm
im Gang der Handlung fast durchaus. Der verzweifelte Kampf
zwischen Gatte und Gattin ist bei dem ersteren genau dem
deutschen Vorbild entsprechend geschildert; und nur dadurch,
dass Perceval zu dem unwürdigsten Mittel greift und seiner
Gattin die Wahl zwischen ihm und Richard (Athelstan bei Halm)
stellt, bleibt der Sieg sein. Der Hergang ist in beiden Dramen,
natürlich nicht formell, so doch inhaltlich der gleiche, manch-
mal könnte man direkt an freie Übersetzung des deutschen
Originals denken. Äusserlich ist zu bemerken, dass Halm jetzt
mit dem folgenden Monolog Percevals, in dem dieser seine
Handlungsweise zu rechtfertigen sucht, den dritten Akt beginnen
lässt, während der französische Überarbeiter sich mit der Ein-
führung eines neuen, siebenten Auftritts begnügt.
Ostrowski hat schon vorher da und dort bedeutend ge-
kürzt. So fehlt im zweiten Aufzug die ganze dritte Szene, in
der Griselidis von Gauvin die Auflösung ihrer Ehe erfahren
soll Dann ist die Königin Zeugin der Verstossung der Griselidis
ı) Var. flechit dans un effort.
Griselidis in der- französischen Literatur. 35
vor versammelter Ritterschaft und Volk, bei Halm kommt sie
erst nach der Verstossung an, um bei der letzten Probe der
armen Dulderin zugegen zu sein und nötigenfalls den säumigen
Perceval zu mahnen. Der Hergang der Erzählung ist da und
dort mit einigen Zusätzen bei Ostrowski versehen, so ist von
einem Ring die Rede, den Griselidis zurückgeben muss: dieser
spielt überhaupt in sämtlichen französischen Bearbeitungen eine
nicht ganz unwichtige Rolle. Dann deutet Ostrowki nur an,
dass Perceval eine Prinzessin von Rang heiraten müsse, Halm
lässt die künftige Auserwählte des stolzen Ritters Morgane, die
Schwester des Königs, sein. Die gewandte Schmeichelei, die
der polnische Flüchtling Frankreich, seinem zweiten Vaterlande,
zollt, wollen wir nicht übersehen. - Das Söhnlein der Heldin
wird im deutschen Drama einer Amme gebracht, im französi-
schen bittet Griselidis:
Qu’un vaisseau portera l’orphelin
Vers la France, l’asile des proscrits.
Im vierten Akt des deutschen, im dritten des französi-
schen Dramas nehmen die Prüfungen ihren Fortgang. Haben
wir bis jetzt starke Verkürzungen bei Ostrowki nachgewiesen,
so begegnet uns nun der umgekehrte Fall: das Einschieben von
Auftritten, die teils nebensächlicher Art sind wie die Szene, in
welcher der arglistige Gauvin dem vertrauensseligen Artus die
Augen über das Verhältnis seiner Gattin zu Lancelot öffnet;
dann aber wieder von solchen, die den Charakter des Dramas
wesentlich verändern und überhaupt ein neues, noch nicht da-
gewesenes Moment in die landläufige Behandlung und Auf-
lassung der Griselidis bringen. Dies ist der Fall bei der Ein-
führung des Versuchs, die verstossene Gattin in ihrer Treue
wankend zu machen. Gauvin übernimmt bei Ostrowski dieses
Verführeramt. Dieses Motiv hat dann, allerdings in veränderter
Form, Armand Silvestre wieder aufgenommen und uns so die
Alainszene geschaffen. Cedric weist seiner Tochter nicht nur
die Türe, sondern schleudert ihr noch zuvor nach Aufzählung
all ihrer Vergehen seinen Fluch nach. Das Aufsetzen so starker
und greller Farben wäre in diesem Fall besser unterblieben. Der
Schluss weicht bei Ostrowski stark von dem deutschen Drama
ab. Bei Halm verzeiht Griselde Perceval nicht, als sie erfahren,
dass alles nur ein Spiel war.
86 Richard Schuster.
„Ein Spiel und ich! — (nach einer Pause):
Es war ein hartes, thränenreiches Spiel!“
Sie verschmäht auch den Kniefall der Ginevra. Nicht achtend
der flehentlichen Bitten Percevals entfernt sie sich mit ihrem
Vater und überlässt Perceval seinem verdienten Schicksal.
Wenn dieser Schluss uns mit lebhafter Genugtuung und
innerer Befriedigung erfüllt, so wenden wir uns direkt mit
Grausen von dem Bilde ab, das uns Ostrowski vorführt, wie
sich Griselidis, noch einmal von ihrem Vater verflucht, selbst
vergiftet, um all den Jammer, um all dem Weh und Leid ein
Ende zu machen. Wo, fragen wir, wo liegt denn die tragische
Schuld der Heldin?
Biedermann (Kochs Zeitschrift für vergl. Lit. 2, 113) hat
der Halmschen Griselidis eine tragische Schuld zuweisen wollen,
wenn er schreibt: „Diese Verleugnung der Kindesliebe, dieser
Verzicht auf Elternsegen ist eine Verschuldung Griseldens, und
ihre Schuld ist eine tragische, da Perceval durch eben jene
Vorgänge geradehin verleitet wird, auf die unbedingte Hingebung
seiner Gattin zu pochen und sich zu weiteren Prüfungen zu
verpflichten.“ Abgesehen davon, dass noch die schwere Er-
krankung ihres Gatten in Betracht gezogen werden müsste, bin
ich gegen Biedermanns Auffassung an und für sich und stimme
der von Volkelt (Ästhetik des Tragischen, S. 342) zu, der Gri-
selidis nur unverschuldetes und am Ende durch sittlichen Ent-
schluss übernommenes tragisches Leid zuweist. |
Ihren Tod kann ein neuer Mord, den Perceval an Gauvin
begeht, weder verständlich machen noch begründet erscheinen
lassen. Auch kann der Schluss eher lächerlich als versöhnlich
wirken. Es erfolgt die Umarmung Artus’ und des alten blinden
Cedric, der sich kurz zuvor noch in üblen Schmähreden gegen
die Hohen dieser Erde ergangen und sein Elend, das der
Armen und Enterbten dieser Erde, mit bitteren Worten beklagt
hat. Was hilft es, dass die stolze Ginevra nun vor dem toten
Köhlerkinde knieen muss! Diese reichlich verdiente Demütigung
kann Griselden nimmer dem Leben wiedergeben.
Aus dem vorstehenden Vergleiche dürfte mit genügender
Klarheit hervorgehen, dass Ostrowski die Halmsche Griselidis
gekannt und alles Wesentliche aus ihr geschöpft hat. Ob ihm
die französische Uebersetzung von Millenet (1840) oder der
deutsche Text vorgelegen hat, muss dahingestellt bleiben. In der
Griselidis in der französischen Literatur. 87
Anlage hat er sie teilweise abgeändert, er hat Neues hinzugefügt,
vieles gekürzt und einen Hauptfehler durch den ohne tragische
Schuld herbeigeführten Tod der Heldin begangen.
Wörtliche Entlehnungen sind an manchen Stellen nachzu-
weisen, aber man muss anerkennen, dass der Bearbeiter in der
Wahl der Bilder wie der Vergleiche teilweise seine eigenen Wege
gegangen ist. Sprache und Stil hat gegenüber dem überladenen
Schmuck und der übergrossen Weichlichkeit Halms durch kurzen,
treffenden Ausdruck eher gewonnen als verloren. Die Personen
selbst haben mitunter ganz verschiedene Rollen zugeteilt be-
kommen, Gauvin ist zu einer diabolischen Persönlichkeit ge-
stempelt worden, die in den kunstloseren und rauheren Rahmen
der Ostrowskischen Griselidis sich sehr wohl einfügen lässt.
Von Ostrowski gilt mit.noch grösserem Recht als von
Halm, dass er eine allgemein menschliches Interesse erweckende,
ästhetisch wertvolle Schöpfung nicht zustande gebracht hat.
Statt lebenswahrer Menschen haben wir in Griselidis und Per-
ceval bloss „künstlerisch konstruierte, effektvolle Theaterfiguren‘ !)
vor uns. Unser Gefühl wird im Verlaufe der Handlung oft
nicht nur erschüttert, wie es tragische Stoffe tun sollen, sondern
direkt auf die Folter gespannt, aber höchst selten erhoben und
beruhigt. Wahrheit der Hauptcharaktere lässt das Drama durch-
aus vermissen, wenn auch die Gestalt Griseldens. besonders .am
Schluss tragisch wirkt, sowie Schuld und Strafe, Leiden und
Konflikte mehr als genug vorhanden sind. Eine Bühnenwirkung
wie das Halmsche Stück hat die Ostrowskische Bearbeitung,
trotz der inhaltlichen Anpassung des Stoffes an den Zeitge-
schmack, nicht erreicht.
) Vgl. Widmann (über Halms Griseldis) S. 122.
88 Richard Schuster.
IV. Die Griselidis von Armand Silvestre und
Eugene Morand.
Die Gris&lidis von Armand Silvestre und Eugene Morand,
ein Mystere, wurde am 15 Mai 1891 zum ersten Male an der
Comedie Frangaise aufgeführt. Da dieses Mystere bei weiten
die wertvollste aller dramatischen französischen Griselidisbe-
arbeitungen ist, so erscheint es angezeigt einen kurzen Lebens-
abriss von Silvestre voranzuschicken.
Armand Silvestre wurde am 18. April 1837 in Paris
geboren, im Alter von 20 Jahren trat er in die Ecole polytech-
nique ein, er verliess sie im Jahre 1869, ging aber nicht in den
Militärdienst, sondern widmete sich der Verwaltungslaufbahn
wurde Inspektor im Finanzministerium und dann zweiter Vor-
stand des Bibliothek- und des Archivwesens: Dieser Laufbahn
blieb er treu. Am 7. Juli 1886 wurde er mit dem Kreuz der
Ehrenlegion geschmückt und am 12. Oktober 1892 zum Inspecteur
des Beaux-Arts ernannt. Im Februar 1901 ist er in Toulouse
gestorben. (Vgl. Vapereaus Dictionnaire und la Grande Ency-
clopedie, weitere Literatur bei H. Thieme, Guide Bibliographique
de la litterature frangaise de 1800 A 1906 S. 385.)
Uns interessiert hier sein Wirken als Schriftsteller und
Dichter.
Im Jahre 1866 trat er mit seinen „Rimes neuves et vieilles“
zum ersten Mal vor die Oeffentlichkeit. Mit dieser Gedicht-
sammlung hatte er sich das Wohlwollen und die Gunst von
George Sand erworben, die in der Preface zu den Rimes neuves
et vieilles schrieb:
„Les chants que voici sont des cris d’appel jetes sur
la route, Ils sont remarquablement harmonieux et saisissants.
Ils ont lP’accent &mu des impressions fortes, et le chantre qui
les dit, est un artiste eEminent, on le voit et on le sent du
reste. Souhaitons- lui longue haleine et bon courage. Nous
avons lu ses vers en epreuves; nous ne savions pas encore
son nom: notre admiration n’est donc pas un acte de com-
plaisance.“
Griselidis in der französischen Literatur. 89
Neben dieses Urteil von George Sand mögen wir das
seines Freundes Catulle Mendes stellen: !)
„Aucun po£te contemporain, si l’on excepte Victor Hugo
et Theodore de Banville en France, Algernon Charles Swin-
burne en Angleterre, n’a ete, au m&me degr& qu’Armand
Silvestre, dou& de cette prodigieuse puissance d’expansion
de tout soi, qui est le grand, peut-Etre unique devoir des
ämes pottes! Dans les plus hautaines et plus parfaites
oeuvres de Silvestre, il y a des morceaux „Jläches‘“, de
lächeuses repetitions de termes, un retour parfois irritant des
me&emes rimes, et meme, oui, des negligences d’ecriture;
mais, aussi dans les plus humbles, dans les plus abandonnees
de ses oeuvres, il y a des emportements, des envolements
de joie et de gloire par lesquels, tout & coup, il rejoint les
plus hauts essors du reve humain; et, hors du de&sordre et
quelquefois de l’incoherence des tätonnements, jaillit le vers,
le vers tout d’une venue, le vers definitif, le vers sublime
et parlait oü se re&alise, total, un moment de l’äme divinisde!
et ceux qui, alors, n’admirent pas Armand Silvestre, mentent
quand ils disent qu’ils admirent Lamartine, Hugo ou Musset.“
Als Fehler seiner Iyrıschen Begabung sieht Lemaitre die
Eintönigkeit seiner Bilder an.?) „Verdienen wohl die Metaphern
und die Bilder, die Armand Silvestre in seinen Fleurs du midi,
den Primeveres und den Renaissances verwendet, den Namen
Lyrik ?* fragt Buloz?), „setzen sie nicht vielmehr die Idee herab
und berauben sie aller Poesie, anstatt sie herauszuheben und zu
vergrössern?“ Derselbe Kritiker tadelt die Neuerungssucht, die
sich bei dem jungen Parnassien breit mache und stellt est,
das Talent unseres Dichters bekunde sich mehr in Gedichten
niederer Gattung (tableaux de genres und mignonnes fantaisies)
als in denen höherer Gattung oder gar in denen, die psycho-
logischer Inspiration bedürfen. Buloz schreibt:
„Sa muse n’est pas propre & debrouiller les vastes chaos
d’idees, ni & faire planer des hauteurs bibliques l’esprit de
1) Rapport sur le mouvement poctique francais par Catulle Mendes.
Paris 1900.
?) Revue bleue. 1885. 8.176. Vyl.dazu aber Anndles pol. et litt. 1901, 1.,8.124f.
») R. d. d. M. 1870, S, 576.
90 Richard Schuster.
Dieu sur les eaux. Le tort de M. Silvestre, a en juger par
le recueil dont nous avons essay& de p£netrer le sens, c'est
de prendre le pele-mele amphigourique, l'entassement des
mots sonores et de vaste compr&hension pour la majeste
grandiose du penseur en vers. Ce qui domine, par exemple,
dans ses methaphores, c’est ce que l’on pourrait nommer
la couleur sanguinolente pour lui, le flambeau de Sirius est
„sanglant“, le „sang“ des vestales a des -chaleurs qui des-
sechent, les vents du ciel boivent, comme une coupe pleine,
le „sang“ des morts, le „sang“ des coeurs siincruste aux
levres de la baute; la mer, elle aussi, a son „sang“ lumineux,
comnıe les illusions tombees ont leur „sang“ vermeil et
doux. On nous permettra d’en passer.“
Auch als Kunstkritiker hat Silvestre sich betätigt und Werke
veröffentlicht wie le Nu au Salon de 1888 ä 1892 (5 volumes),
le Nu au Louvre, le Nu de Rabelais etc.
Schliesslich hat er eine Sammlung von Studien, die unter
einander nicht im Zusammenhang stehen, unter dem Titel „Por-
traits et souvenirs“ (1866—1891) herausgegeben.
Für das Theater war er verschiedentlich tätig und hat sich
hier in den verschiedensten Gattungen, in der niedrig-komischen
Hanswurstiade wie im religiösen Mystere, versucht. Chrono-
logisch geordnet sind seine Bühnenwerke die folgenden:
Dimitri, opera en 5 actes, avec M.H. de Bornier, 1876.
Monsieur? come&die-bouffe en 3 actes, avec M. P. Burani.
Myrra, sayn&te romaine 1880.
Sapho, piece en un acte, en vers, 1881.
Galante aventure, opera comique en 3 actes, 1882.
Henri VIII, opera en 4 actes et 6 tableaux avec Leonie
Detroyat, 1883.
Aline, piece en un acte, en vers, avec M. Alfred Henne-
quin, 1883.
Pedro de Zanalea, opera en 4 actes, 1884.
La Tesi, drame en 4 actes, avec Maillard, 1887.
Jocelyn, opera en 4 actes, d’apres le poeme de Lamar-
tine, 1888.
Chasse-croise d’amour, avec Cavailhon, 1888.
La femme Bookmaker, avec ’Cavailhon, 1888.
Griselidis in der französischen Literatur. 9]
Le Commandant Laripete, operette-bouffe en 4 tableaux,
1891.
Griselidis, Mystere en 3 actes, en vers libres avec Eugene
Morand 1891.
Le pilote, 1892.
Les Drames sacres, Poeme dramatique, avec Eug..Morand,
1893. |
La fee du rocher, avec F. Thome, 1894.
Tristan de Leonois, 3 actes, 7 tableaux, en vers, 1897. -
Messaline, avec Eug. Morand, 1897.
Charlotte Corday, opera, musique d’Alexandre Georges, 1901.
Vieles Minderwertige ist selbstverständlich in seinen Werken
enthalten, wie es bei einer derartigen Vielseitigkeit und staunens-
werten Tätigkeit nicht anders zu erwarten ist. Er bringt es
z.B. fertig, neben den schon aufgeführten für die Bühne be-
stimmten Stücken im selben Jahre 1891 die Contes sales, le celebre
Cadet-Bitard und eine Reihe anderer Schriften zu veranlassen.
Von all diesen Werken ist sicher sein bedeutendstes Gri-
selidis, das moderne Mystere, das von der französischen Aca-
demie den Preis Toirac (4000 Frcs.) erhalten hat. In das
Geheimnis der Mitarbeiterschaft näher einzudringen ist leider
nicht möglich gewesen, da von Eugene Morand absolut keine
Werke zu bekommen waren, weder in der Nationalbibliothek
noch im Britischen Museum sind in den Katalogen Werke unter
seinem Nanıen aufgeführt, auch in Thiemes Bibliographie fehlt
er vollständig. Wir müssen also darauf verzichten, fest-
zustellen, inwieweit Eugene Morand an dem Entstehen unseres
Mysteres beteiligt ist, welche Stellen von ihm herrühren und
welche ausschliesslich Eigentum von Armand Silvestre sind.
Doch tragen namentlich die Iyrischen Partieen so sehr den
Stempel des Dichters der „Sonnets paiens“ und der „Renaissances“,
dass wir zweifellos Armand Silvestre als den Verfasser betrachten
müssen, der das Wichtigste und Wesentlichste an dem modernen
dreiaktigen Mystere geschaffen hat. Dieses wollen wir jetzt
eingehender betrachten. |
Am Spinnrocken sitzend singt Bertrade, Griseldens Die-
nerin, ein Liebeslied. Da bringt plötzlich Gondebaut die Nach-
richt von einem bevorstehenden Kreuzzuge und von der
Kriegserklärtung an die Ungläubigen. -Auf Königs Befehl,
92 Richard Schuster.
'überbracht von einem seiner Sendboten, muss der Marquis und
jeder waffenfähige Mann unverzüglich abreisen. Der Marquis
hat Griselidis, die Tochter eines armen Hirten, auf der Jagd
zufällig kennen lernen und von ihrem wunderbaren Liebreiz und
ausserordentlichen Schönheit hingerissen, hat er sie eine Woche
darauf geheiratet. Freiwillig hat sie unbedingten Gehorsam ihm
gegenüber gelobt. Da ruft die Pflicht den Grafen auf zur
Heerfolge gegen die Ungläubigen. Lebewohl sagt er seiner
heissgeliebten Gattin in einfacher und doch tief ergreifender
Sprache. Wird er seine Griselidis treu wiederfinden? Wird er
überhaupt wiederkommen? Der Prior, dieser Menschenkenner,
schlägt dem Grafen vor Griselidis einzuschliessen. An ihrer
Treue und an ihrem Gehorsam hegt der Graf nicht den ge-
ringsten Zweifel, unbeschränktes Vertrauen bringt er ihr ent-
gegen, frei soll sie sich bewegen können und uneingeschlossen
bleiben. Der Prior ist und bleibt jedoch misstrauisch. „Le
diable est malin,“* sagt er. Nichts erschüttert den Grafen in
seiner Zuversicht auf die Tugend und Standhaftigkeit seiner
Gattin.
Devant le diable m&eme
Jen jurerais, s’il etait 1A.
Bei diesen Worten des Grafen erhebt sich der in Holz ge-
schnitzte Teufel unter dem Triptychon und schreit, sich vorstürzend:
„Da bin ich!“ Eben dieser Teufel wettet nun mit Saluce, seine
Frau werde ihn während seiner Abwesenheit hintergehen. Der
Graf besitzt die Tollkühnheit auf die Wette einzugehen und
gibt dem Teufel seinen Ring zum Pfand. Er nimmt Abschied
von Weib und Kind. Treue bis in den Tod, unversiegliche
Liebe, steten Gehorsam verspricht die Gräfin ihrem Gemahl.
Von seinem Söhnchen nimmt er Abschied in Versen, die zu
dem Schönsten gehören, was Silvestre je gedichtet hat.
Toi, dont, pour le faix lourd des armes,
je quitte le lEger berceau,
Enfantelet, pauvre arbrisseau,
Avant la vie, apprends les larmes.
Pres de toi, c’etait le bonheur;
Lä-bas, c’est la souffrance amere.
Cependant je quitte ta m£re;
Avant la vie, apprends l’honneur.
Griselidis in der französischen Literatur. 93
Qu’un baiser console et caresse
Celle qui te donna le jour.
Garde lui ta seule tendresse!
Avant la vie, apprends l’amour!
(11 benit l’enfant )
Sein Leben vertraut der Graf den Händen Gottes an, seine
Ehre seiner Frau, das dritte Gut, seine innige Liebe zu Grise-
lidis, wird er als köstlichstes Gut mitnehmen in den Krieg.
Der zweite Akt spielt sich auf einer mit Orangebäumen
bepflanzten Terrasse vor dem Schloss ab. Golden aussehende
Früchte hängen an den mit goldgelben Blättern besäten Bäumen.-
Wolkenlos und tiefblau ist der Hinımel, ein Herbsttag geht zur
Neige. Nun ist es schon ein Halbjahr her, seitdem der Graf
mit Ross und Reisigen in den Krieg gezogen ist. Die Zeit ist
gekommen, wo der Teufel sein Versuchungswerk beginnen will.
Er führt, als Sklavenhändler verkleidet, sein Weib ins Schloss
ein; dank dem Hochzeitsringe, den der Graf ihm als Pfand
zurückgelassen hat, weiss er seinen Worten einige Wahrschein-
lichkeit beizulegen. Fiamina soll die Stelle der Griselidis
vertreten; sie ist angeblich von dem Grafen gekauft worden,
Griselidis wird aus ihrem Schlosse verjagt; an ihrer Statt spielt
sich die Teufelin als neue Gattin und Herrin auf. Traurig über-
lässt ihr Griselidis ihr Schloss und ihre Kleinodien. Ohne
Murren, ohne Klagen verlässt sie ihr trautes Heim, das sie mit
Klostermauern vertauschen will. Mit einem Gehorsam ohne
Gleichen nimmt sie ihr Unglück entgegen. Doch der Versucher
giebt sein Spiel noch nicht verloren, ihre Treue will er ins
Wanken bringen. Mit einem jungen Troubadour, mit dem Freund
ihrer Kindheit, lässt sie der Teufel zusammentrefien. Die Nacht:
ruft er zu Hilfe, sie soll seine Pläne begünstigen helfen,
Des bois obscurs, des blanches greves,
Des monts aigus, des larges pres,
Levez- vous, venez, accourez
Souffles des baisers et des röves!
Et montant, sous les yeux deserts,
Du fond des eaux, du coeur des roses,
Haleines troublantes des choses,
Versez vos poisons dans lex airs!
94 , Richard Schuster.
Mettez votre ardente brülure
Aux levres de Griselidis,
Et de vos parfums alourdis
Baignez sa lourde chevelure!
Verse dans ses veines le feu
Que tu cachais dans le mystere
Ame perfide de la terre
Par qui souvent j’ai vaincu Dieu!
Oma complice, lune amie
Au vieux Satan, fidele encor
Repands sur la terre endormie
Le sang de ta blessure d’or.
De vos rayons, come de charmes,
Enveloppez les coeurs d’amour,
Ftoiles qui serez des larmes
Aux yeux des amantes un jour.
Das Liebesduo zwischen Griselidis und Alain, die sich in
dem düsteren Garten voll berauschender Wohlgerüche treffen,
ist einer, was den Klang, die Wahl und den Inhalt der Worte
anbetrifft, wohllautenden und hinreissenden Musik zu vergleichen.
Die junge Marquise, schon im tiefsten Innern ihres Wesens durch
die Erzählung der grausamen Treulosigkeit ihres Gatten getroffen,
schwankt, wird schwach und setzt sich den verführerischen
Worten ihres schönen Freundes nicht entgegen. Schon gibt sie
nach, der Teufel denkt, er hat gewonnen Spiel, da eilt plötzlich
ihr junger Sohn Loys herbei und zeigt ihr einen verwundeten
Vogel. Nun erinnert sie sich ihrer Pflicht, entwindet sich den
Armen Alains und drückt ihr Söhnchen schützend an ihre Brust.
Der Teufel ist wütend, niemals zuvor ist er solchem Widerstande
begegnet:
Apres l’amour, la force reste encore,
Pour vaincre la fidelite.
Der Zufall kommt ihm zu Hilfe. Ein Freibeuterkapitän ist bis
über die Ohren in Griselidis verliebt und will sie durch seine
Spiessgesellen entführen lassen; der Teufel hat ihnen schön in
die Hände gearbeitet, äusserlich schon ist die Gräfin durch die
Krone auf ihrer Stirne kenntlich. Doch misslingt ihm auch
dieser Anschlag. Denn Fiamina hat kurz zuvor Griselden die
Griselidis in der französischen Literatur. 95
Krone abgefordert und natürlich entführen die Räuber die Frau
des Teufels, die ihnen ohne weiteres folgt, höchlichst erfreut
über dieses galante Abenteuer. Ihr Gatte rächt sich dadurch,
dass er den kleinen Loys raubt.
Als die Not aufs höchste gestiegen ist, kommt der Marquis
zurück. Der getreue Gondebaut war schon vorher zurück-
gekehrt und hatte berichtet von seinen und seines Herrn Kriegs-
taten gegen die Sarazenen und von dem rätselhaften Verschwinden
des Grafen. Noch unternimmt der Teufel einen letzten vergeb-
lichen Versuch, um den Glauben des Marquis an die Treue
seiner Frau zu erschüttern, aber dieser stellt fest, dass sie ihm
ebenso gehorsam wie treu geblieben ist. Die heilige Agnes
übergibt ihnen auf ein inbrünstiges Gebet hin ihr Söhnlein.
Das moderne Mystere endigt mit den Worten des Grafen:
A föter notre amour qu’& present tout s’empresse
Jaimerai plus encor la femme que j’aimais
Ayant ä& ma douleur mesure& sa tendresse.
9 Richard Schuster.
Mystere haben die beiden Verfasser ihre Griselidis genannt.
Was hat ihr Stück mit den Mysteres des vierzehnten und fünf-
zehnten Jahrhunderts gemein? Wie waren diese beschaffen?
Von wem, wann und zu welchem Zweck wurden. sie aufge-
führt, welche Stojfe wählte sich der Dichter aus und wie ging
die Handlung vor sich?
Der Name Mystere erscheint zum ersten Male bei den
Passionsbrüdern von Rouen im Jahre 1374. Vor diesem Zeit-
punkt tragen die dramatischen Stücke ohne irgend welche Aus-
nahme andere Titel, am häufigsten werden sie jeu, miracle, vie
oder histoire genannt.
Das Mysterium verdankt der Kirche sein Dasein und seine
weitere Ausbildung. Beruisschauspieler gab es nicht: hoch und
nieder, arm und reich übernahmen Rollen, für die Kostüme
mussten die Männer selbst aufkommen, diese übernahmen auch
die Frauenrollen. Hatten die Bewohner einer Stadt reichlich
Frucht eingeheimst oder waren sie von einer Seuche verschont
geblieben, so wurde aus Dankbarkeit hiefür ein geistliches Spiel
(Mystere) aufgeführt, das als ein Gott wohlgefälliges Werk an-
gesehen wurde. Das Spiel dauerte stets vom frühen Morgen
bis zum Sonnenuntergang und wurde nur mittags durch eine
Pause unterbrochen; der Platz zur Aufführung war gewöhnlich
neben der Kirche gelegen. Den Stoff zu den Stücken bot
teilweise die Heilige Schrift dar, den übrigen Stoff lieferten
die Heiligenleben. Die Mysterien, die wir besitzen, können in
drei Stoffkreise eingeteilt werden und zwar: in den Kreis des
Alten Testaments, in den des Neuen Testaments, welcher Leben,
Leiden und Auferstehung Christi sowie die Apostelgeschichte
umfasst, und in den der Heiligenlegenden.
Das Stück war in journdes eingeteilt, die mit einem Prolog
anfingen und einem Epilog endigten. Die Stücke waren oft
sehr lang und brauchten verschiedene Tage zu ihrer Aufführung.
Grebans Mystere z. B. umfasst nicht weniger als 34574 Verse.
Bei diesen geistlichen Spielen wurde die Einheit der Zeit,
die das Mittelalter nicht kannte, natürlich nicht beobachtet, das
Mystere du Vieux Testament z. B. erstreckt sich über einen
Zeitraum von viertausend Jahren. Ebensowenig kannte man die
Griselidis in der französischen Literatur. 97
Einheit des Orts.') Die beständige Anwendung des Wunder-
baren ist ein weiteres Hauptmerkmal der Mysteres. Von einer
Einheit oder nur Wahrscheinlichkeit der Handlung ist nirgends
eine Spur zu entdecken, eine dramatische Verwicklung kennen
die Dichter nicht, die Szenen sind lose an einander gereiht.
Die couleur locale war ebenso unbekannt wie Zeit- und Orts- .
einheit.e. Wenn das moderne Drama nur einen Haupthelden
zulässt, so hatte das mittelalterliche deren oft mehrere neben-
einander. Dem dramatischen Helden fehlte jeglicher freier Wille:
„Der Mensch ist nach der Darstellung der Mysterien nur ein
Spielball der höheren Mächte des Himmels und der Erde.“
(Suchier, Geschichte der franz. Literatur, mit Birch-Hirschield,
$. 289 f.)
Aus dieser allgemeinen Betrachtung über die Mysterien
mag zur Genüge hervorgehen, dass die modernen Verfasser
sich nur wenig im Aufbau ihres Stückes von den alten Mysterien
beeinflussen lassen konnten, die Einheit der Handlung ist in
der Griselidis völlig gewahrt. Auch handelt weder der Marquis
noch Griselidis ohne freien Willen. Das Wunderbare ist nicht
wie bei den Mysteres zum Hauptgegenstand des Stückes gemacht.
Einige Äusserlichkeiten, die den Gang der Handlung nicht beein-
flussen, haben die Verfasser den alten Mysterien nachgeahmt.
Wie dort schliesst ein Vor- und Nachwort das Mystere. Die
Erinnerung an die mittelalterliche französische Bühne haben die
Dichter durch die Darstellung der Hölle auf dem die Bühne
abtrennenden Vorhang wachzurufen gesucht. Man vergleiche
Silvestres Bühnenanweisung vor dem Prolog:
„Au bas et au milieu de ce rideau l’entree de l’Enfer,
figure par la bouche enorme du diable dans les flammes
et dans la fumde. De chaque cöte de grands Iys symboliques.“
Nur das komische Element erfreute sich im Mittelalter
völlig freier Erfindung. Dieses komische Element vertraten in
den Mysterien die Teufel, die in die ernstesten Szenen mit ihren
grobkörnigen und derben Spässen eingriffen. Die Einführung
der Figur des Teufels ist bei Silvestre auf den Einfluss der
alten Mysteres zurückzuführen. Eine eingehende Betrach-
tung des Teufels und seiner Rolle in den Mysterien und ein
1) D’action se transportait cent fois pendant la duree d’un mystere. d’un
lieu & Vautre, sans sortir de la meme enceinte. (Petit de Julleville I, 242.)
7
98 Richard Schuster.
Vergleich mit dem Teufel Silvestres darf daher nicht unterblei-
ben‘), da ja der Teufel das wichtigste, wenn nicht das einzige
Bindeglied zwischen altem und modernem Mystere bildet.
Man könnte glauben, dass das Mystere ‚Le chevalier qui
donna sa femme au diable“) aufSilvestres Griselidis Einfluss gehabt
hätte. Der Titel scheint dies anzudeuten. Jedoch ist der Inhalt und
der Charakter der handelnden Personen grundverschieden von
der Griselidis. Der Ritter, ein Verschwender, hat Hab und Gut
durchgebracht, der Teufel redet ihn nun auf einem Spaziergange
an und verspricht ihm, ihn reicher als je zu machen, falls er
ihm nach Verfluss von sieben Jahren seine Frau überliefere und
ausserdem noch der Dreieinigkeit und der Jungfrau Maria ab-
schwöre. Der Ritter geht auf alles ein, nur die Jungfrau Maria
verleugnet er nicht. Nach Verlauf von sieben Jahren soll die
Ritterfrau dem Teufel ausgeliefert werden. Doch Gott rettet auf
die Fürbitte der Jungfrau hin die Beklagenswerte und verzeiht
dem Ritter.
Das Wunderbare, das stets. den Hauptgegenstand jedes
Mysteres bildet, ist — und damit kommen wir wieder zur Gri-
selidis zurück — bei Silvestre und Morand ganz äusserlich. Nur
einmal, am Schluss, greift die heilige Agnes in die Handlung ein.
Wenn wir von dem Artikel in der Revue politique et lit-
teraire (1891) absehen, so hat der Versuch des Verfassers die
Geschichte der Griselidis, wenn auch nicht ganz im alten Ge-
wand, auf die Bühne zu bringen durchgängig neben ernster Kritik
auch warmes Lob gefunden. Auch die Aufnahme von seiten
des Publikums war ebenso herzlich wie andauernd.?) Der Figaro
vom 16. Mai 1891 schreibt:
„Ce mystere par personnages, pr&ecede d’un prologue et
suivi d’un Epilogue en forme de moralite, est eEvidemment
un spectacle entitrement nouveau pour la Come&die-Frangaise ;
et chose notable a tous les Egards, le public de l’an 1891
a paru s’y complaire avec autant d’interät et de recueillement
1 ner
!) Vyl. S. 105.
?) Petit de Julleville IT, S. 355.
») Das Stück wurde Monate lany nach seiner Frstaufführuny noch zur
Darstellung gebracht, wie ich aus dem Spielplan der Opera und der Comedie
francaise entnommen habe, auch heutigentags ist es noch zugkräftig und erlebt
dann und wann noch Aufführungen in der Hauptstadt wie in der Provinz. Eine
portugiesische Übersetzung von Macedo Papanca (Conde de Monsarez) erschien schon
das Jahr darauf (1892) unter dem Titel: Griselia Traduecao livre en verso de Griseldis.
Griselidis in der französischen Literatur. 09
qu’en montrerent jamais les contemporains des Confreres de
la Passion. Ses applaudissements aussi chaleureux que per-
sistants se sont surtout adress&s, il faut le dire, aux parties
Iyriıques de l’&@uvre; empreintes d’un souffle poetique qui
nous ramene vers des &poques litteraires de&jä lointaines.
Est-ce un renouveau qui s’annonce ? Je voudrais le croire;
et l’on ne peut que savoir gr a M.M. Armand Silvestre et
Eugene Morand de nous avoir soustraits, ne füt-ce que
pour un instant, & l’etouffante atmosphere otı realisme et
materialisme s’efforcaient d’enserrer notre theätre. I faut
egalement louer la Come&die Frangaise de s’etre associde A
cet effort, elle ya mis tout son zele et tous ses soins artis-
tiques, le talent de quelques-uns de ses meilleurs arueies a
fait le reste ... . . s
Ähnlich äussern sich die meisten literarisch bedeutsamen
Tageszeitungen und Revuen.
Als Vorbild hat den Verfassern dem Prolog zufolge das
„mystere d’antan“, le Miroir de l’Epouse fidele, gedient. Doch
haben sie zwei sehr wichtige Änderungen der traditionellen
Griselidis eingeführt.
Vor allem haben sie den Marquis von Saluzzo so gut das
eben möglich war unserem modernen Empfinden angepasst und
uns menschlich näher gebracht. Der Marquis tritt uns hier
nicht als Verkörperung der mittelalterlichen Auffassung über
das Verhältnis von Mann und Weib entgegen, auch nicht als
trotzig herrischer, ehrliebender Perceval, noch als grausamer
lüsterner Fürst, wie ihn z. B. Frau von Saintonge darstellt. Der
grausame Unmensch der alten Histoire ist im modernen Stück
das Urbild eines vertrauenden, sein Weib und Kind innig lieben-
den Ehegatten geworden. Nicht er stellt den Gehorsam seines
Weibes auf unsinnige Proben, sondern der Teufel; an ihre Tugend
glaubt er so unumschränkt, dass er taub bleibt gegen die wohl-
meinenden Ratschläge seines Kaplans, der von Weibertugend
eine sehr geringe Meinung hat.
In zweiter Linie haben die Verfasser die starre Griselidis
der Überlieferung mit weiblicheren Zügen ausgestaltet.
Nicht allein ein Vorbild und einen Spiegel des Gehorsams
haben sie aus ihr gemacht, sondern auch einen der Treue.
Nichts derartiges ist in der alten Historie enthalten. Dort sind
100 Richard Schuster.
die Verfasser nur bestrebt, die Unterwürfigkeit und den blinden
Gehorsam der Heldin vorzuführen. Die Verfasser haben eines-
teils das Motiv des Gehorsams bedeutend eingeschränkt, und
zwar so, dass weder Griseldens Würde noch ihre Mutterliebe
darunter leidet; andererseits haben sie ihr die Hauptprobe
erspart, nämlich die Wegnahme und angebliche Erdrosselung
des Kindes nach dem Willen des Gatten. Der Erprobung ihrer
Treue haben sie einen weit grösseren Platz als ihrem Gehorsam
eingeräumt, und gerade diese Treue hat sie einzig und allein
bewahrt durch ihre Mutterliebe.
Betrachten wir nun das moderne Mystere auf seinen lite-
rarischen Wert hin, so scheint mir kein Urteil scharfsinniger
und besser als das von Francisque Sarcey im Temps.!) Er
schreibt:
„Quand vous irez au Theätre Frangais voir Griselidis,
n’allez donc point y chercher une @uvre de theätre qui vous
donne cette sorte de plaisir que l’on attend de l’art drama-
tique; figurez-vous pour un instant que vous &tes A la Biblio-
theque nationale, que vous avez demand& un missel du
vieux temps, que vous en tournez les pages, tantöt regar-
dant les enluminures, tantöt lisant les vers dont ces peintures
sont l’illustration. Vous vous arreterez & quelques-uns des
feuillets qui vous paraitront charmants; d’autres vous semb-
leront insignifiants; quelques-uns m&me (il y en aura) fran-
chement mauvais et insupportables. Mais vous aurez, durant
une heure, vecu hors de votre monde, dans un milieu tres
factice assur&ment, mais curieux et amusant par son &trangete
meme.“
Die Verfasser sind sich wohl bewusst, dass sie kein Werk
geschaffen haben, das ausgeprägt dramatische Eigenschaften
besitzt. Da sie selbst das Mystere im Prolog als einen ‚conte
en l’air, fait pour les bonnes gens‘ bezeichnen, so werden wir
nachsichtig sein und an das Ganze einen etwas milderen Mass-
stab legen müssen als an ein rein dramatisches Werk.
Wenn wir nach Freytag unter Handlung „eine nach den
Bedürfnissen der Kunst organisierte Begebenheit“ verstehen,
„deren Verlauf und innerer Zusammenhang durch die drama-
tischen Prozesse der Individuen deutlich wird,“ so ist die Hand-
ı) Vgl. Sarcey: Quarante ans de theätre VI, S. 394.
Griselidis in der französischen Literatur. 101
lung hier ausserordentlich einfach. Zu leugnen ist ferner nicht,
dass das moderne Mystere in Gefahr kommt, zu einem Situations-
stück oder Intriguenstück zu werden; damit hängt es zum Teil
auch zusammen, dass wir weder Charakterstudien noch Analysen
der Leidenschaften in Griselidis finden.
Es wäre zweckmässig gewesen eine raschere Auflösung
des Knotens herbeizuführen und Griselidis nicht noch alle
möglichen Proben aufzuerlegen Der dritte Akt erscheint einem
daher etwas zu lang und zu leer, manche Kritiker sind daher
für Zusammendrängung der Handlung auf zwei Akte ein-
getreten.')
Die Lösung der Geschichte ist glücklich, doch scheinen
mir die zur Lösung des Knotens angewandten Mittel etwas
kindlich: noch zwei- oder dreimal wechselt der Teufel das Kostüm,
um Griselidis vom rechten Wege abzubringen. Gern würden
wir die geplante, aber missglückte, romanhafte Entführung der
Heldin durch Freibeuter und den Raub ihres Söhnleins missen.
Während Griselidis fort ist, kommt im dritten Akt ihr Gatte
zurück. Er ist ganz erstaunt, niemand zu Hause zu finden.
Griselidis kehrt inzwischen zurück, in einem echten Theaterstück
hätte das erste Wort beim Wiedererscheinen des Gatten dem
Verschwinden des Kindes gegolten, er hätte Rat und Hilfe
schaffen müssen Doch nichts von alledem erfolgt. Die zwei
Gatten ergehen sich in leidenschaftlichen Zärtlichkeitsausbrüchen
ohne weiter an das Vorhandensein des Kindes zu denken.
Glücklicherweise denkt die Heilige für sie an das verlorene
Kind. Das Triptychon mit dem Bild der Schutzpatronin des
Hauses öffnet sich und zeigt die Heilige, die das zu ihren
Knieen schlafende Kind hält. |
Der Höhepunkt des Mysteres ist die Stelle, in welcher das
Resultat des aufsteigenden Kampfes zwischen Griseldens Treue
und dem Teufel entschieden heraustritt. Wie fast immer ist der
ı) Leon Bernard Derosne sagt im Gil Blas vom 17. Mai 1901: ‚Ils ont
eu raison d’en prendre a leur aise avec la legende,; mais je crois qwils auraient
pu se contenter de deux actes pour nous renseigner sur le compte de leur irre-
prochable heroine‘ — Adolphe Brisson übertreibt entschieden, wenn er bei der
Rezension im Parti national sagt: ‚A partir du milieu dw 2nd acte, elle ylisse
dans la puerilite, — „Ilest permis, direz-cous, a un fabliau d’etre puert." Sans
doute, mais au moins faut-i quwil sen degage ou bien une lecon morale ou bien
une signification symbolique.'
102 Richard Schuster.
Höhepunkt auch hier die Spitze einer gross ausgeführten Szene.
Allen Glanz der Poesie, alle dramatische Kraft hat der Dichter
angewendet, um diesen Mittelpunkt seines Kunstwerks lebendig
herauszuheben. Der Zeitpunkt zur Einführung Alains ist ausser-
ordentlich günstig gewählt. Die vom Gatten anscheinend Ver-
stossene hat als einzige Zuflucht für sich und ihr Söhnlein nur
das Kloster. Wenn gleich Griseldis ergeben in ihr Schicksal
ist, so ist sie doch nicht zufrieden, und da verschafft ihr der
Teufel unter Anrufung der Mächte der Finsternis eine Zusammen-
kunft mit ihrem Jugendfreunde Alain. Die reizende Szene
zwischen Alain und Griselidis bietet den Höhepunkt der Hand-
lung. Die vor Leidenschaft bebende Stimme des jungen Mannes,
sein aufrichtiges, herzbewegendes Liebeswerben verfehlen nicht
auf die Unglückliche Eindruck zu machen. .
Die Verwirrung und die Angst der Griselidis, der Liebes-
glut und der Leidenschaft ihres Jugendfreundes nachzugeben,
ist vortrefflich gezeichnet: „Seigneur, contre l’amour ayez pitie
de moi“, ruft sie in höchster Seelenangst aus. Da kommt eben
zur rechten Zeit ihr Söhnchen. Griselidis ergeht es wie den
Lilien auf dem Felde, die vor dem.Wirbelsturm der mit elemen-
tarer Gewalt dahinbraust, sich wohl neigen, aber nicht geknickt
werden.!) Vor der Sünde, aber nicht vor namenloser Trauer
kann sie Loys bewahren. Nichts ist rührender als das anmutige
Gemälde zu betrachten, das uns Griselidis zeigt, bemüht, den
Anblick des Leidens, der sich ihrem Loys in dem verwundeten
Vöglein darbietet, abzuwehren: sie, die selbst unsäglich leidet.
Gerade diese Szene zeigt uns, dass Griselidis nicht die
Verkörperung eines abstrakten Begriffes darstellt, dass die Hei-
lige zu einem Wesen mit Fleisch und Blut, zu einem Menschen
mit lebhaftem, warmem Herzschlag wird.
Es bleibt mir nun noch übrig zu der für die Dichter an-
scheinend so vernichtenden Kritik in der Revue politique et lit-
teraire vom Mai 1891 Stellung zu nehmen. Da sie weitaus alle
Vorwürfe sämtlicher sonstiger Kritiken, die über Griselidis er-
schienen sind, umfasst, so erschien es mir als das Zweckdien-
lichste Punkt für Punkt diejenigen Vorwürfe herauszugreifen und
auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen, die gegen unser Mystere, nach
meiner Ansicht zu Unrecht, erhoben wurden.
!) Vergl. die Revue dramatique vow Camillo Bellaiyue in der Revue des
deux mondes. Mai 1891, S. 703.
Griselidis in der französischen Literatur. 103
Können wir tatsächlich mit dem Kritiker anerkennen, dass
unser Mystere inhaltlich unbedeutend und alltäglich ist? Ist es
etwa banal, wenn ein schönes Mädchen aus niederem Stand
ihrer Reinheit und Lieblichkeit wegen von einem hochgeborenen
Herrn zur Gemahlin erhoben wird, ist ferner die Prüfung ehe-
licher Treue und ehelichen Gehorsams etwas Unbedeutendes
oder gar Alltägliches?
Muss ich also hier entschieden einen anderen Standpunkt
als der genannte Kritiker vertreten, so teile ich auch durchaus
nicht die von ıhm so allgemein ausgesprochene Ansicht, des
Dichters Gedanken seien gewöhnlich. Es ist zuzugeben, dass
z. B. die folgenden zwei Strophen etwas weitschweifig geworden
sind, um den einfachen Gedanken wiederzugeben „die Zeit der
Liebe sei zu kurz.“
Que l’heure est donc breve
Qu’on passe en aimant!
C’est moins qu’un moment
Un peu plus qu’un röve.....
Le temps nous enleve
Notre enchantement.
Sous le flot dormant
Soupirait la greve.....
M’aimas-tu vraiment
Füt-ce seulement
Un peu plus qu’un r&ve.
Man lese nur die in der Inhaltsangabe citierten Verse, um
sich von der Grundlosigkeit jener Behauptung zu überzeugen.
Man ist beinahe versucht anzunehmen, der Kritiker der R.P. etL.
habe eine persönliche Abneigung gegen Silvestre gehabt, denn
von Objektivität dürite man wohl nicht sprechen können, wenn
man liest: ‚Si c’est une piece, elle est d’une puerilite rare.‘
J. T., so zeichnet der Kritiker der R. P. et L., fährt
weiter fort:
„Si c’est un Mystere, il me parait manquer des qualites
essentielles et indispensables, la piete et la sincerite.“
Wohlweislich unterlässt J. T. es, den nach ihm überflüssigen
Beweis für das Fehlen der Frömmigkeit im Mystere anzutreten,
in der Tat würde es auch schwer halten einen triftigen Beweis
beizubringen. Dass der Teufel gotteslästerliche Reden führt,
wird uns nicht wundern, dies liegt in seiner Rolle begründet;
104 Richard Schuster.
es ist aber schwer zu sagen, wie die Frömmigkeit etwa anders
hätte dargestellt werden müssen. Die äusserliche Frömmigkeit
kommt bei allen Personen zum Ausdruck, wenn wir etwa von
Alain absehen, von dem der Teufel sagt:
Et qui!) savent encore ä ces äges maudits
Donner pour un baiser leur part de paradis!
Die äusseren Formen in jenen mittelalterlichen'Zeiten, in denen
sich die Religion äusserte, waren Anrufung und Anbetung der
Heiligen durch die Menschen, durch deren Vermittelung bei
Gott ihren Wünschen entsprochen werden sollte, Verehrung
und Ehrfurcht den Dienern der Kirche gegenüber. Eine ganz
getreue Lokalfarbe dieser Zeiten hat unser Mystere aufzuweisen.
Dass es von einer tiefen Frömmigkeit durchdrungen sei, will
ich nicht behaupten, sie erscheint mir eher oberflächlich und
äusserlich.
J. T. sagt fernerhin:
‚Tous leurs personnages parlent identiquement le me&me
langage, les strophes du Diable pourraient presque £tres
dites par Alain.‘
Man braucht nur beide Monologe hinter einander durch-
zulesen, so springt klar in die Augen, dass dieses ‚presque‘
mindestens durch ‚ne-guere‘ zu ersetzen wäre. _
Anerkennen muss J. T. doch, dass die Dichter gewandte
Verstechniker sind, doch wenn er auch zugibt, dass die Verse
glatt und flüssig sind, so sagt er gleich darauf, der Vers sei
‚un peu vide. Was man sich unter einem leeren Vers vorzu-
stellen hat, wird der Kritiker wohl selbst nicht klar wissen. Ich
hoffe zur Genüge in der Untersuchung über die Form nachzu-
weisen, dass Armand Silvestre gerade in dieser Beziehung am
wenigsten einen Vorwurf verdient.
Wenn J. T. dann weiter fortfährt, dieselben Bilder kehren
immer wieder, so wird die Untersuchung über die poetische
Sprache unseres Mysteres ergeben, dass allerdings in den Ver-
gleichen und Gleichnissen, die Bildern und Vorgängen aus der
Natur entnommen sind, das Meer und der Abend relativ häufig
ı) Se. les poetes.
Griselidis in der französischen Literatur. 105
zu einem dichterischen Bilde verwendet werden, doch stets in
anderem Zusammenhange und mit wechselndem Bilde. Jeden-
falls wird jeder vorurteilsfreie Leser feststellen, dass von einem .
stetigen Wiederkehren derselben Bilder nicht die Rede sein kann.
Finden wir vielleicht einige Phantasie in dem Mystere,
fragt J. T. weiter, die die mangelnde Frömmigkeit und Aul-
richtigkeit ersetzen? ,‚Helas, la fantaisie et l’esprit sont repre-
sentes par le Diable et sa femme, et je ne crois pas Etre trop
severe en qualifiant cette fantaisie et cet esprit de lamentables.‘
Dass der Teufel, der sehr unter dem Pantoifel seiner ungetreuen
Frau steht, eine verunglückte Figur ist, muss zugegeben werden.
Durch die Unwahrscheinlichkeit der Phantasie, wie sie in der
Rolle des Teufels zum Ausdruck kommt, wird das Interesse an
der Handlung vermindert und das Spiel der Leidenschaften
die Verwicklungen der Intrigue werden blosse Nebensache.
Sehr absprechend über die Figur des Teufels und seiner
Frau ist auch das Urteil ın der Revue des deux mondes, die
Armand Silvestre sonst überaus wohlwollend gegenübersteht.
Dieses Urteil kann ich nur voll und ganz unterschreiben:
‚Deux personnages malheureusement gätent le charme
de Griselidis, le diable et surtout sa femme. Je sais bien
que dans un mystere le diable est pour ainsi dire du style;
il est tout a fait moyen äge, & sa place ici avec ses cornes
et ses griffes comme sous un porche de cathedrale. Mais
yaurais voulu un autre diable sinon pareil au Satan de Milton,
du moins tragique et douloureux comme le Lucifer d’Eloa;
ou bien, dans un genre oppos€ et plus conforme peut-etre
aux idees du temps, le veritable Malin, grimacant et gouailleur,
un Mephistopheles avec moins de philosophie que dans Faust
et plus d’amertume encore, le diable enfin avec l’esprit de
Voltaire, ’homme qui peut-etre lui a le plus ressemblie.
Au lieu de cela M. M. Silvestre et Morand nous ont
donne un diable de mauvais goüt et de mauvais ton, fan-
toche d’opeErette ou de mascarade,.compere de revue, quelque
chose comme le Pluton d’Orphee aux enfers &egare dans un
tableau de Memling. Et pour comble de malheur, ils ont
marie cet insipide demon avec une Madame le diable, maitresse
femme et bonne enfant, plus vulgaire encore que son &poux,
qui le mene, le malmene et le trompe Et vous devinez
alors & quel comique glacial, ä quelles plaisanteries usees
106 Richard Schuster.
peuvent preter les querelles et les adulteres du menage
infernal.‘
Eıne Charakteristik des Teufels ist nur lohnend durch einen
Vergleich der Besonderheiten und Eigenschaften seiner Vor-
gänger in der Blütezeit der Mysterienliteratur. Seine Figur ist
ganz mittelalterlich, und eine für das geistliche Schauspiel der
Franzosen so wichtige dramatische Figur durfte natürlich auch
bei einem modernen Mystere nicht wegbleiben.
Wiecks Untersuchung über ‚Die Teufel auf der mittelalter-
lichen Mysterienbühne‘ ermöglicht eine bequeme Uebersicht
darüber, wieweit die Verfasser für diese wichtige Rolle etwa
Quellen aus der mittelalterlichen Literatur Frankreichs heran-
gezogen haben.
Der Teufel wird im modernen Mystere überhaupt nicht
mit einem Namen versehen, er nennt sich den Sohn Belphegors,
dieser Belphegor ist zn fassen als Baal Peor, das ist der Gott
der Moabiter, Symbol der Zeugungskraft der Sonne. Belphegor
kommt auch als Personenname vor, im mittelalterlichen Mystere
ist der Name nicht zu belegen, ebensowenig Fiamina.
Wieck weist nach (S. 21), dass das Äussere der Teufel
meist tierisch war, sie sahen aus wie ein Ochse, zuweilen auch
wie ein Hund oder Schafbock. Ihr Aussehen war ursprünglich
darauf berechnet, Furcht und Schrecken bei den Zuschauern
zu erregen, obwohl dies nur selten der Fall gewesen sein mag.
— Andere Mysteriendichter haben die Teufel als die Fürsten
dieser Welt aufgefasst, daher in kostbaren Kleidern, in ‚veloux‘
und ‚sattin‘ auftreten lassen.
Das Äussere des Teufels im modernen Mystere ist jeden-
falls während seiner späteren Verkleidungen als Sklavenhändler
und sonst ganz menschlich, wenn er auch sonderbar genug
aussieht. Eine Stelle weist darauf hin, dass er einige tierische
Extremitäten bewahrt hat:
Un diable si jovial que, sur la route bleue
Oü le plaisir guidait mes pas
Je ne sentais seulement pas
L’effort des pauvres gens qui tiraient sur ma queue!
In den alten Mysteres wird der Teufel hauptsächlich als
schwarz, hässlich und stinkend geschildert. Von diesen Eigen-
schaften können wir das Vorhandensein der beiden letzten beim
Griselidis in der französischen Literatur. 107
modernen Stück feststellen. Sein eigenes Weib macht sich über
seine Hässlichkeit lustig. „Mais regardez-vous donc? Pour
plaire qu’avez-vous?“
Dass er einen unangenehmen Geruch an sich hat, schliessen
wir aus der Bemerkung Gondebauts, der einen instinktiven
In weisser Hülle birgt er eine schwarze Seele; als ıhn sein
Weib prügelt, schreit er:
(34) J’ai ’äme noire: au moins laissez-moi la peau blanche.
Die Vorstellung, die das Mittelalter sich bildete, der Teufel
könne den Umständen entsprechend sich unsichtbar machen,
ist nit in unser Mystere übernommen worden (vgl. das Miracle:
‚De la Mere au Pape‘):
(S. 22)... plus subtil que l’air, plus leEger que le vent
Je puis, comme il me plait, paraitre et disparaitre
Et passer par le trou des serrures de fer?
Von der Rolle, die der Teufel auf der mittelalterlichen
Bühne gespielt hat, ist hauptsächlich das beibehalten worden,
dass er die Menschen zu sinnlichen Genüssen verleitet.!) Den
Fall der Griselidis durch alle möglichen teuflischen Mittel ins
Werk zu setzen ist sein Hauptbestreben.
Der Teufel als komische Figur und namentlich der ge-
prellte oder dumme Teufel ist auch eine sehr beliebte Gestalt.
Allerdings konnte ich einen verheirateten Teufel in der mittel-
alterlichen Mysterienliteratur nicht ausfindig machen. Als Fia-
mina ihn hintergeht, schäumt er vor Wut, dies wirkt selbst-
verständlich auf den Zuschauer komisch. Lucifer brüllt, als er
in Wut geraten ist ‚comme ung loup famis‘ (Wieck S. 37).
Hauptsächlich sind es die verderbten Zustände in der
Kirche, die Sittenlosigkeit der Geistlichen, sowohl der Priester
als der Nonnen, welche den Spott der Teufel in den alten
Mysterien zu erfahren haben. Diese satirische Seite des Teufels
kommt in der Griselidis manchmal zum Ausdruck. Wieviel
Satire liegt nur,verborgen in den fortwährenden Anzweiflungen
jeglicher Tugend und in den häufigen Anspielungen auf das
zerrüttete Eheleben aller Familien, denen der Teufel schon
ı) Vgl. L’Enfant donne au Diable: Petit de Julleville, Mysteres.
108 Richard Schuster.
einen Besuch gemacht. Dass der Teufel ein persönlicher Gegner
der Jungfrau und der Heiligen ist, hier speziell ein solcher
der heiligen Agnes, sich aber doch am Ende als ein machtloser
Gegner erweist, ist ein weiterer mittelalterlicher Zug.
Im einzelnen kann jedoch kein bestimmtes Mystere aus-
findig gemacht werden, welches das direkte Vorbild für Sil-
vestres Teufel geboten hätte. Züge aus allen möglichen Mysteres,
in denen Teufel teilweise die Träger der Handlung sind, wurden
ın der Figur unseres Teufels vereinigt Sein innerstes Wesen
ist der Widerspruch, er verneint das Gute und straft die Sünde,
d. h. er hätte sie gestraft, wenn seine Anschläge geglückt wären:
Mais la partie est belle que je joue!
Deux ämes d’un seul coup! ına paire de damnes.
Tous les demons jaloux vont en faire un beau nez!
Auch hier ist er ‚die Kraft, die stets das Böse will und
stets das Gute schafft.‘
Es bleibt mir nun noch übrig, die übrigen Personen ausser
Griselidis mit kurzen Strichen zu charakterisieren.
Silvestre folgt noch der alten Gewohnheit der französischen
Bühne die Helden, den Marquis und Griselidis, durch ihre Ver-
trauten Gondebaut und Bertrade einzuführen; über alle Vor-
gänge vor dem Beginn der Handlung werden wir durch sie
vorzüglich unterrichtet. Der Dichter hat sich gehütet den Cha-
rakter des Marquis zu sehr modernem Empfinden anzupassen
und hat ihm ein gut Teil von dem Inhalt seiner Zeit gegeben.
Klar und voll tritt seine Persönlichkeit heraus, eine hochgesinnte,
reine Seele umfasst er mit unerschöpflicher Liebe seine Grise-
lidis und sein Söhnchen. Ein Zeichen für die Feinheit von
Silvestres bildender Kraft ist es, dass er zum Liebesmotiv ge-
'rade dasjenige hinzugefügt hat, das neben der Liebe am wirk-
samsten in der Seele des Mannes ist: Pflicht- und Selbstgefühl.
Ein solcher Mann musste alle Anschläge des Teufels siegreich
überwinden. Die Begeisterung, in der er für Griseldens Treue
und für die der Frau überhaupt erglüht, wird glänzend ge-
rechtfertigt. Wenn von einer Schuld seinerseits geredet werden
kann, so finden wir sie bei einer so sehr ins Ideale gehobenen
Figur leicht begreiflich, er hat durch das Eingehen der Wette
mannigfaltig und heftig gelitten in den qualvollen Augenblicken,
als er Frau und Sohn auf immer verloren glaubte. Alle Fallstricke
Griselidis in der französischen Literatur. 109
und Anschläge des Bösen haben es nicht vermocht, ihn, der
nichts Arges und Böses in der eigenen Brust kannte, von der
Schuld seiner Frau zu überzeugen, und sich selbst schreibt er
alle Schuld zu:
Car moi j’ai merite tout ce que j’ai souffert,
Car j’ai tente le Ciel, croyant braver l’Enter.
Dieser Ehrenmann mit dem Silberhaar, mit seiner
weich verklärten, ins Ideale erhobenen Figur, in der Mischung
von reinem Seelenadel, tiefer Empfindung und treuer Gatten-
liebe bildet den denkbar schärfsten Gegensatz zu dem traditio-
nellen Grafen von Saluzzo und ist eine durchaus glückliche
Erfindung der beiden französischen Dichter.
Etwas anders geartet als der Herr ist sein wohl gleich-
alteriger Diener und Waffengefährte Gondebaut. Jenem treu
ergeben verbindet er mit seiner kriegerischen Sprache auch
wirkliche Tapferkeit, und schlecht wäre es dem Teufel ergangen,
gegen den er, der allezeit Ehrliche, einen instinktiven Wider-
willen fühlt, hätte sich Griselidis nicht beschwichtigend ins
Mittel gelegt. Wir verzeihen ihm gern, dass er etwas zu sehr
‚lanfaron‘ ist, und seine Erscheinung ist uns viel sympathischer
als der saft- und kraftlose, furchterfüllte und skeptische Prior.
Loys, Griseldens Söhnchen, entfaltet einen Glanz und eine
Eleganz des sprachlichen Ausdrucks an den paar Stellen, wo
er redend vorkommt, dass uns dies bei einem Kinde seines
Alters höchlichst verwundern muss.
Die liederfrohe Bertrade, die ihrer Herrin bis in den Tod
ergeben ist, hält anfangs, wenn auch nicht durchgehends, unser
Interesse für sie wach. Durch die reizende Schilderung der
Brautwerbung des Grafen um Griselidis aus ihrem Munde milde
gestimmt, werden wir leicht über die Unwahrscheinlichkeit hin-
wegsehen, dass dieses Kammermädchen des zwöliten Jahrhunderts
abends ihrer Herrin den Homer und den Virgil vorliest. Eher
ängstlich als mutig veranlagt, macht sie doch Fiamina gegen-
über den schüchternen Versuch auszusprechen, nie werde sie
ihr aus Liebe dienen.
Wenn auch das moderne Mystere in dramatischer Hinsicht
nicht allen Anforderungen gerecht wird, die man an ein echtes
Theaterstück zu stellen berechtigt ist, so ist es den Verfassern
doch gelungen, den an sich so spröden Griselidisstoff auf der
Bühne einzubürgern.
110 Richard Schuster.
Wegen der sinnigen Darstellung edler Gefühle, treuer
alles überwindender Gattenliebe, achtunggebietender, Not und
Gefahren überdauernder Anhänglichkeit zwischen Herr und
Diener, neben denen wir das diabolisch groteske Element auf
den zweiten Platz zurückweisen müssen, verdient diese Griselidis,
nicht der Vergessenheit anheimzufallen. Die schöne Form, die
sich dem Inhalt ebenbürtig an die Seite stellt, der mit Meister-
schaft behandelte freie Vers tragen wohl das ihrige dazu bei,
dem Werke dauernde, ungeschwächt bleibende Anerkennung
‘zu erringen.
Griselidis in der französischen Literatur. 111
Bei der grossen Bedeutung, welche für Silvestre’s Dich-
tungen die Bilder und überhaupt die Elemente der dichterischen
Sprache besitzen (oben S. 89), möchte ich nicht unterlassen,
die Eigenart der poetischen Sprache unserer Dichter an den
hervorstechendsten Gattungen der Tropen zu zeigen.
Als zu behandelnde Tropen habe ich die der Personifika-
tion, der Vergleichungen und der Allegorie gewählt. Meines
Erachtens prägt sich in ihnen als den weiter ausgeführten Arten
des Tropus die Individualität der schaffenden dichterischen
Phantasie am schärfsten aus. Von den ausgeführten Gleich-
nissen sind hauptsächlich Bilder und Vorgänge aus der Natur
zur Vergleichung herangezogen worden. Adler und Schwalbe,
Sonne und Meer, Luft und Wind, Rose und Lilie verwenden
die Dichter der Reihe nach in Gleichnissen und nicht zum
letzten verdanken wir der strahlenden Schönheit der Heldin
einige der anmutigsten Bilder.
Die Vergleichungen.
Ich habe nach Wackernagel (a. a. O. p. 387) die Ver-
gleichungen in zwei Klassen eingeteilt, nämlich in Vergleiche
und Gleichnisse. Die beiden Klassen unterscheiden sich vor
allem äusserlich nach ihrem Umfange, denn während der Ver-
gleich von zwei irgendwie verwandten Begriffen meistens nur
die Eigenschaft hervorhebt, die den beiden Begriffen gemeinsam
ist oder sie doch ähnlich macht, stellt das Gleichnis eine ganze
in sich abgeschlossene Reihenfolge von Vorstellungen neben
einander:
‚Es lässt neben eine der Wirklichkeit angehörige, voll-
ständige Anschauung noch eine andere gleichfalls der Wirklichkeit
entnommene treten, damit jene durch diese noch anschaulicher
werde, als sie es schon für sich allein sein würde.‘
Der Vergleich hat wegen der Einfachheit seiner Konstruk-
tion auch ausgedehnte Verwendung in der Sprache des ge-
wöhnlichen Lebens, das Gleichnis dagegen gehört fast gänzlich
der poetischen oder erhabenen Sprache an.
112 Richard Schuster.
I. Vergleiche.
Die emsige Arbeit der in den Krieg ziehenden Mannen
des Grafen, die ihre Waffen scharf und blank machen, vergleicht
Gondebaut mit der Tätigkeit der Höllenschmiede:
(4) Regardez! Tous polissent le fer
Comme des forgerons d’enfer.
Der Gräfin erscheinen die Augen ihres Söhnleins reiner
als der Himmel:
(37) Je vais, dans les yeux de ınon fils,
Comme en un ciel plus pur adorer ta cl&mence.
Die Traurigkeit des Herzens wird verglichen mit einem
sternenlosen Himmel und einem öden segelleeren Meere:
(53) Et plus triste est mon coeur amer
Que le ciel sans lumiere et que la mer sans voile!
Ein kristallklarer Diamant erscheint Fiamina wie zahllose
Tautropfen in einem Lilienkelch:
(64) L’eau de ces diamants semble, ä mon cou sans plis,
Un ruisseau de rosee aux petales d’un lis.
In Griseldens Innern sieht es aus wie in einem Gehölz,
über das der Orkan dahinbrauste:
Gomme au bois oü passa l’orage
Autour de moi tout est brise.
Ewige Nacht ist ihr erwünschter als das traurighelle
Tageslicht:
(71) Mieux vaudrait la nuit &ternelle
Que la triste clartE du jour.
Der tote Prior wird mit einem Stein verglichen:
(93) II Etait rigide et froid comme la pierre,
Mais alentour de lui, tout semblait en pri£re.
2. Das ausgeführte Gleichnis.
Wie der Orangenbaum die Heidelbeeren beherrschend
überragt, so übertrifft die unvergleichliche Schönheit Griseldens
die ihrer Genossimnen. |
Griselidis in der französischen Literatur. . 113
(7) Mais, comme au coeur d’un buisson, l’oranger
De son charme hautain domine les airelles,
Elle &tait non pareille aux autres pastourelles:
Genevietve la Sainte &tait sans doute ainsi.
Ihrer Schönheit gilt auch das folgende Gleichnis:
(9) Elle est au jardin des tendresses
Non pas la rose, mais le Iys.
Elle charme les monstres me&me!
Ces corsaires fameux, qu’autour de ce rocher
On sent röder, n’en veulent approcher
Que pour la voir dans sa gräce supr&me.
Das Markgrafenschloss von Saluzzo wird mit einem Adler-
horste verglichen:
(13) De ce chäteau les murs &Eloignent tout danger,
Comme l’aire d’un aigle inaccessible et haute,
Sa triple enceinte, au loin, va dominant la cöte
Et le vol des milans & ses pieds vient mourir.
Die Liebe, der lange Entfernung auferlegt wird, wird mit
einem Schwert in Beziehung gestellt, das glänzender und besser
gehärtet aus dem Kampfe zurückkehrt:
(14) Comme sort du combat l’Epee
Plus Eclatante et mieux trempee,
Vers elle plus ardent, reviendra votre amour.
Die übermenschlichen Eigenschaften des Teufels werden
in folgendem Gleichnis beschrieben:
(22)... plus subtil que Pair, plus l&ger que le vent
Je puis, comme il me plait, paraitre et disparaitre.
Et passcr par le trou des serrures de fer?
Etwas gesucht und wenig gelungen erscheint uns das Bild,
das die über dem Meere strahlende Sonne mit der Hostie in
der Hand des Priesters vergleicht:
(26) Devant ce soleil qui monte aux cieux clairs
Et rayonne au-dessus du calice des mers,
Comme aux mains du prätre l’hostie,
Je vous donne ma foi librement consentie.
Ein Gleichnis aus dem Pilanzenreich geben uns die nach-
stehenden prächtigen Verse, die inhaltlich an Lamartine erinnern:
8
114 Richard Schuster.
(26) On est plus pres de Dieu sur les collines vertes
Dans la solitude des soirs
Quand les roses encore ouvertes
Se balancent dans l’air comme des encensoirs!
Das Lächeln des taufrischen Morgens wie das Lebewohl
des strahlenden Abends vermögen es nicht, Griseldens Schmerz
zu mildern und aufzuhellen:
(36/37) Sourire de l’aube vermeille,
Adieu du soir Eblouissant
N’ont pour moi qu’une ombre pareille.
Tout m’est douleur quand je pense & l’absent!
Das wild wogende Meer gleicht einem Ungeheuer, das,
Geifer im Munde, Tod und Verderben bringt:
(37) Bientöt la mer sera farouche
Et, telle qu’un monstre qui mord,
Avec des baves & la bouche,
Dans ses flancs bercera la mort!
Der Schönheit Griseldens widmet Alain diese Verse:
(53) Roses, depouillez les couleurs
Qui vous faisaient ses soeurs vermeilles!
Vos gräces, aux siennes pareilles,
N’ont plus rien qui me charme, ö fleurs
D’oü s’est enfui le vol en pleurs
Des papillons et des abeilles.
Sehr hübsch und anschaulich wird uns geschildert, wie
der Markgraf auf dem Schlachtfielde inmitten erschlagener Feinde
einschläft:
(aaa Drus comme des raisins,
Sur P’herbe il vendangeait gaiement les Sarrasins,
Et puis il s’endormait sur la terre trempede
Ayant, pour tout rideau, l’ombre de son Epee!
Wie ein dumpf klagendes Meer wogte und stürmte es in
dem Herzen des Markgrafen, als er im heiligen Kriege war,
fern von seinen Lieben zu Haus:
(89) O chere cre&ature!
Puisque ton coeur me reste, il n’est plus de blessure
Dans ce coeur dechir& dont chaque battement
Des rives de l’exil, comme une mer plaintive,
Vers ta che£re beaute montait fidelement.
Griselidis in der französischen Literatur. 115
Einer gefangenen, nach Freiheit sich sehnenden Schwalbe
gleich, klagt und stöhnt das Herz Griseldens:
Le mien &tait l’'hirondelle captive
Dont l’aile en vain s’ouvre au souffle des flots,
Et dont le vent emporte les sanglots
Wie die ausgedörrte Erde sich am Rande der Bächlein
endlich der labenden Wasser erfreut, so trinkt der Marquis in
den lang entbehrten Küssen seiner Gattin Erquickung:
Comme au bord des ruisseaux, apres l’aride plaine,
Laisse-moi bien longtemps boire dans ton haleine
Le parfum rajeuni de ton premier baiser!
Der Tod des Priors gibt unserem Dichter Anlass zu folgen-
den schönen Versen:
De beaux oiseaux venus, je crois, du Paradis,
Chantaient un chant plus doux que les De Profundis
Et de grands Iys mettaient, flambeaux aux flammes vierges,
A ton front nimbe d’or l’Eclat tremblant des cierges.
Die Personifikation.
Unter Personifikation ist nach Wackernagel (a. a.O. pag. 397)
der Tropus zu verstehen, welcher ein lebloses, namentlich ein
abstractes Ding in ungewöhnlicher, vom sonstigen Sprachge-
brauch abweichender Weise als ein beseelt wirkendes, als
handelnd, hörend, redend hinstellt, daher dem Leblosen ein
Bewusstsein, dem Abstrakten eine Körperlichkeit verleiht.
Silvestre und Morand machen hie und da von der Per-
sonifikation Gebrauch und erreichen dadurch grössere Leben-
digkeit der Darstellung.
Personifiziert werden bei uns der Abend, die Zeit, der
Traum, die Nacht, der Schatten und die Sonne.
Beispiele:
(10) Quand le soir se rev&t de velours et de moire
Pour voir les flots dormans, elle vient lä; je lis.
(37) Et, du temps, le pas monotone,
N’a sonne, dans mon coeur, que le glas des hivers.
116 Richard Schuster.
(54) Mon räve a perdu son chemin
L’astre qui le guidait s’est envol& dans l’ombre.
(68) O nuit, Etends sur moi la pudeur de tes voiles,
Jai peur, en me levant, d’accrocher les &toiles.
(70) Sur mon äme et sur ma prunelle
Une ombre a mis son voile noir.
(73) Ces soirs-läA le soleil se couchait dans du sang
Et suspendait au ciel une töte coupe&e!
Es bleibt mir nur noch übrig anzuführen, dass der Prolog,
der zur Entwicklung der Handlung nichts beiträgt, sondern als
eine Art Festgruss an das Publikum betrachtet werden muss,
absichtlich in älterem französischem Stile geschrieben ist. Es
ist dies umso beachtenswerter, als das Mystere selbst, von
einigen fast veralteten Wortformen abgesehen, in Ausdruck und
Form ganz modern gehalten ist.
Griselidis in der französischen Literatur. 117
Den Verfassern war bekannt, dass Petrarka und Boccaccio
eine Griselidis verfasst haben, doch geben sie im Prolog aus:
drücklich das alte Mystere (richtiger Histoire) „Le Miroir de
’Epouse fidele“ als Vorbild an. Eine Vergleichung der Inhalts-
angaben des alten und neuen Mysteres lässt ohne Weiteres
erkennen, dass der Stoff nach Handlung, Charakteren und
Motivierung zeitgemäss abgeändert wurde. Griselidis erscheint
mehr als Typus der getreuen denn als der der gehorsamen Gattin.
Die Zahl der Personen ist im modernen Mystere geringer, nur
Griselidis und der Marquis sind beiden Dramen gemeinsam,
doch äusserlich ist in beiden der Prolog beibehalten, wenn
auch im Drama von 1395 kein Epilog das ganze Schauspiel
schliesst.
Das Motiv der Verstossung der Heldin haben die Verfasser
zweifellos dem alten Mystere oder einem Volksbuch entlehnt,
wenn sie auch dem Charakter des Grafen das Grausame und
Barbarische genommen und diese Züge auf den Teufel über-
tragen haben, der nun einmal in einem Mystere, selbst in einem
modernen, nicht fehlen darf. Der Charakter des Grafen hat
zum ersten Male hier gegenüber der Überlieferung eine glück-
liche Abänderung erfahren, diese aber bedingte die Einführung
zweier gänzlich verunglückter Figuren, des Teufels und der
Teutfelin.
Einzelne kleine Züge sind beiden Dramen gemeinsam.
Der Ehering spielt eine Rolle in dem alten Mystere; Grise-
lidis gibt ausser ihren Kleidern ihren Ring mit den Worten
zurück:
2148 Et ton annel te Restitue
O le quel jadiz mespousas
Autres anneaux que me donnas
Riches joyaux et vestemens
Et les riches aornemens.
2153 Dont par ta grace erc paree
Im modernen Stück stellt Fiamina die Rolle des Grafen
dar, sie fordert Griselidis folgendermassen zur Zurückgabe des
Hochzeitsringes auf:
Que l’anneau nuptial par vous me soit remis. (S. 43)
118 Richard Schuster.
Petit de Julleville gibt im ersten Band seiner Mysteres
auf S. 182 die Antwort der Griselidis bei der Verstossung nach
dem Druck wieder, in dem die Verse 2134—2167 ausgelassen sind.
[S. 183, 1. Zeile: „Sans regret du lieu je me pars“ entspricht
dem Vers 2133 der Hs., und die nächste Zeile: „En recompense
seulement“ dem Verse 2168.]
Der Hs. folgend zitiere ich die Verse 2154—2167.
2154 En ta chambre sont sy magree
Retourner en la maisoncelle
Dont je yssy poure pucelle
Nue de trestous biens nudains
Et nue mon Retour y clains
Sanz en Retenir Rien qui soit
2160 Sauf ce que ce me sembleroit
Chose jndigne et non afferable
Que cestui ventre miserable
Duquel furent les enfans nez
Que de ton sanc as engendrez
2165 Deust au peuple apparoir tous nuz
Pour quoi je te suppli sanz plus
2167 Sil te plaist et non autrement.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass Armand Silvestre gerade
diesen Abschiedsmonolog bei Le Petit de Julleville gelesen und
gekannt hat, verschiedentlich scheint er von ihm inspiriert
worden zu sein. Zum Vergleich liessen sich vielleicht noch
folgende von Griselden im modernen Mystere bei ihrer Ver-
stossung gesprochenen Verse anführen, die zugleich aufs Neue
zeigen, mit welcher Meisterschaft Armand Silvestre den modernen
Vers handhabt:
S. 48/49. Ces bijoux sont & vous, prenez les... je le veux
Ces perles qui mettront des etoiles de flamme,
Parmi l’or de vos blonds cheveux,
Le jour de !’hymenee & moi furent offertes.
Comme elles ont päli! Si, de ces pendants d’or
Epaves d’un passe que je cheris encor,
Les Emeraudes sont moins vertes,
C’est qu’en moi l’esperance est prete de mourir.
Nos bijoux avec nous parfois semblent souffrir!
Der Prolog vom Jahre 1395 ınit seinen 100 Versen ist zur
Abfassung des Prologs von 1891, der 55 Verse zählt, nicht
119
Griselidis in der französischen Literatur.
benützt worden und eine Entlehnung nur in einem Falle als
möglich nachzuweisen. Wenn man absolut eine Ähnlichkeit
herausfinden will, so ist es die, dass der Gedanke, man solle
sich in Griselidis spiegeln können, bei den modernen Dichtern
in erweiterter Gestalt wiederkehrt.
Le mystere d’antan — qui nous sert de modele —
S’appelle: „Le Miroir de l’Epouse fidele“,
— Regardez —- vous un peu, mesdames entre vous;
Et l’une & l’autre, pour rassurer vos Epoux.
Servez-vous de miroir!....
Diese Verse können in eine gewisse Parallele zu den
folgenden des alten Stücks gesetzt werden:
(4) Qui des dames est souueraine
Vueille tous ceulz de mal garder
Qui en paix veuldront Regarder
Dune dame la vraye histoire
Qui tant est digne de memoire
Que ses euures sont appellees
(10) Miroir des dames mariees.
Der Titel „Le miroir des dames mariees“ war auch bei den
Volksbüchern sehr verbreitet, und die weitere Ausführung des
Bildes kann auch hierauf zurückgehen.
Griselidis wird mit folgenden schönen Versen im Prologe
bedacht, die mit den nachstehenden im alten Mystere ver-
glichen werden können:
(7) Dune dame la vraye histoire Dame Griselidis etait femme de bien
(8) Qui tant est digne de mec-
moire
und ferner:
(3) Se dieux nous en donne puis-
sance
Dicelle hystoire la semblance
C’est de la vaillant griseldis
Qui jadis fu feme au marquis
(35) De Saluce nome gautier.
Fantöme d’un passe charmant elle
sS’avance
Sous le ciel dor&e de Provence,
Qui lui fait un dais de soleil,
Blanche comme !’hostie en l’osten-
soir vermeil.
Über ihre Herkunft und tägliche Beschäftigung, ihre Armut
sowie ihre Liebe und Fürsorge für ihren Vater geben uns die
von Veneur gesprochenen Verse Auskunft:
120 Richard Schuster.
vgl. damit die Erzählung Bertrades:
(754) C’est une tres poure pucelle Maistout estvrai dans cette histoire
(55) Fille dun poure laboureur Griselidis etait la fille d’un berger
Et, pauvre, les pieds nus, en ce
temps peu prospere,
Conduisait, par les champs, les
moutons de son pe£re.
(60) Au matin va soigneusement Mais, au coeur d’un buisson, l’orange
Garder les brebis de son pere
Auquel elle est & fille & mere
Pour la bonte quelle Iuj fait
(64) Sa quenouille filant y vait
Häufig mischt Silvestre achtsilbige Verse mit Alexandrinern
oder Zehnsilbnern und bildet durch eine zweimalige Wieder-
holung des viersilbigen ‚Griselidis‘ einen von der Kritik beson-
ders als gut und klangreich erwähnten Vers.') Möglich. ist,
dass der Vers:
(890) Vieng ga griseldis griseldis
Ou est ton pere di le moy
Lg
Anlass zu diesem Achtsilbner des modernen Mysteres gegeben
hat (vgl. S. 7).
Von Janicola fordert der Marquis Griselden zur Gemahlin:
(920) Une chose vuel et me plaist
C’est que par toy me soit donnee
Sa fille a feme espousee.
Man vergleiche damit die reizende Schilderung der Werb-
ung des Marquis bei den beiden modernen Dichtern:
(7) Jamais ange du Paradis
N’a d’une musique pareille
Enchante quelque humaine oreille.
Lors devant elle, il se mit a genoux
Courbant le front ainsi que sous un frisson d’aile,
Et lui dit sur un ton tres doux:
„Griselidis, sois ma femme fid£le.“
Sehr bemerkenswert in der Histoire ist die Abnahme des
Gehorsamversprechens von seiten des Grafen, das entsprechend
ı) Sarcey sagt: „Vous trouverez encore dans ce premier acte des stances
amoureuses dont le dernier vers revient comme un refrain, Griselidis, Griselidis;
et Ü y a un rappel delicieux de ces stances au dernier.“
Griselidis in der französischen Literatur. 121
der mittelalterlichen Auffassung von der unbedingten Unterord-
nung des Mannes unter das Weib gehalten ist. Freiwillig (950)
spricht Griselidis ihre vollständige Unterwerfung unter den
Willen des Grafen aus, und alles, selbst den Tod will sie
gerne erdulden, nur beachte man, dass ihre Antwort wesent-
lich, wenn auch verstärkt die Bedingungen enthält, die der Graf
ihr vorspricht.
Im modernen Mystere erfolgt ihre Antwort freiwillig, ohne
jedwede vorherige Beeinflussung verspricht sie dem Marquis
unbedingten, schrankenlosen Gehorsam:
„Monseigneur,
D’un coeur reconnaissant j’accepte cet honneur.
La volonte du Ciel sans doute &tant la vötre,
Desormais je n’en aurai d’autre
Que vous ob&ir sans merci!
Pres de vous, loin de vous absente
Pour quelque douleur qu’il ressente,
Mon coeur n’aura d’autre souci.
Disposez de votre servante.“
Et Marquise elle etait la semaine suivante.
Dann erinnert der Schwur, den sie ihrem zum Kriege
gegen die Sarazenen ausziehenden Gatten leistet (S. 26), einiger-
massen an die Verse der Histoire (976-—980):
Je vous donne ma foi librement consentie;
Que mes gages d’amour vous soient donc conlirmes,
Sachez que je vous aime autant que vous m’aimez.
Votre volonte, me fut-elle möme
Cruelle ä mourir, j’acepte mon sort
Et j’obeirai puisque je vous aime
Jusque dans la mort.
Das ist alles, was an Ähnlichkeit und Übereinstimmung
zwischen den 500 Jahre auseinander liegenden, und natürlich
in Anlage und Inhalt so sehr verschiedenen beiden Bearbeitungen
nachzuweisen ist. Doch werden wir sehen, dass, trotzdem
Armand Silvestre keine andern Griselidisbearbeitungen als Vor-
bild nennt, Spuren des Einflusses von Ostrowski deutlich sichtbar
sind. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass Silvestre die alte
Histoire in der Hs. selbst eingesehen oder dass ihm die in
wenigen Exemplaren vorhandene Arbeit Groenevelds vorgelegen
hat. Jedenfalls wird in seinen Schriften hierüber nichts erwähnt.
122 Richard Schuster.
Einleuchtender ist die Annahme, dass er etwa Petit de Julle-
villes Analyse, die mit reichlichen Zitaten versehen ist, gekannt
und benutzt hat.
Eine Übersetzung der Petrafkaschen Griselidis wird er
jedenfalls in einem der Volksbücher eingesehen haben, warum
sollte er nicht etwa die Patience de Griselidis in der Bibliotheque
Bleue gekannt haben?
Bei aller Verschiedenheit in der Ausführung beider Werke
ist als sicher anzunehmen, dass die Verfasser des modernen
Mysteres Ostrowskis Griselidis gekannt und ihr auch einiges
entlehnt haben, wenn sie auch im Prolog davon schweigen.')
Wie Ostrowski haben sie ihren Stoff in drei Akte ein-
geteilt. Im ersten Akt wird bei O. und Silv. die für Griselidis
verhängnisvolle Wette geschlossen. Die äusseren Umstände,
die die Wette veranlassen, sind nicht gleich. Gemeinsam ist,
dass der Marquis von Saluces ebenso wie Perceval das Mädchen
aus niederem Stande, das er heiratet, über alles liebt und in
ihr das Ideal ehelichen Gehorsams und ehelicher Treue erblickt;
die Anzweiflung dieser Eigenschaften einerseits, Eifersucht und
dadurch bedingte Sticheleien und hämische Bemerkungen an-
dererseits bringen die Wette zum Abschluss.
Der Marquis scheint keinen Einsatz zu machen, ja, er
gibt noch obendrein seinen Ring als Piand her, Parceval da-
gegen soll, wenn er Gewinner ist, die stolze Ginevra ihre Kniee
vor dem Köhlerkinde beugen sehen. Noch höher aber ist der
Lohn meines Erachtens, wenn Griselidis bei Armand Silvestre
siegreich aus allen Versuchungen hervorgeht, die Tugend des
Weibes hat in ihr ihre Verkörperung gefunden und sie, als Ver-
treterin ehelicher Treue, hat im erfolgreichen Kampfe mit den
finstern Mächten ihr ganzes Geschlecht rehabilitiert. Der Mar-
quis von Saluces ist sehr human gezeichnet und zieht, die
grausamen Martern nicht ahnend, denen sich Griselidis unter-
ziehen muss, in den Krieg. Perceval aber ist selbst der Voll-
strecker der in der Wette ausgemachten Bedingungen. Ist auch
die Reihenfolge der Proben verschieden, Cedric bei Silvestre
gar nicht eingeführt und daher die Verstossung ausser durch
1) Ich führe nach den Anfangsbuchstaben der Verfasser folgende Abkürz-
ungen der Griselidisbearbeitungen ein:
- H= Histoire. P= Perrault. S= Saintonge. I= Imbert. O = Ostrowski.
Siv. —= Silvestre.
Griselidis in der französischen Literatur. 123
den Gatten noch durch den eigenen Vater notwendigerweise weg-
gelassen, so finden wir doch bei aller Verschiedenheit in der
Ausführung und der angewandten Mittel das gleiche Endresultat:
1. Ihr Sohn wird ihr entrissen, das eine Mal muss sie
ihn freiwillig ausliefern, um den Vater vom Tode zu retten,
das andere Mal wird er ihr direkt geraubt.
2. Ihre Verstossung versetzt sie wieder in grosse Armut,
allen Schmuck und alle Kleider muss sie herausgeben.
3. Bei Ostrowski soll sie, nachdem sie von Gatte und
Vater verstossen und ihr Söhnlein ihr entrissen wurde, sich
darein ergeben, als Gefangene in einem Kloster ihre Tage zu
beschliessen. Nach Silvestre will sie sich freiwillig samt ihrem
Söhnlein hinter Klostermauern zurückziehen.
4. Auch bei ©. ist die Versuchung ihrer Treue nach vor-
heriger Erduldung grosser Seelenmartern festzustellen. Eine
neue schöne Zukunft wird ihr in Aussicht gestellt und Ersatz
für alle bisherigen Leiden verheissen. Alain, der junge Trou-
badour, ist allerdings eher zu dem Verführeramt geeignet als
der Helfershelier der ehebrecherischen Ginevra, der finstere
Gauvin,!) der vielleicht dem Teufel bei Armand Silvestre Modell
gesessen hat. |
5. Dann wäre noch auf das Verhältnis von Tristan und
Perceval hinzuweisen, das in dem zwischen Gondebaut und
dem Marquis ein allerdings entierntes Analogon hat.
6. Die sittenlose Königin Ginevra hat mit der Teufelin
Fiamina gemeinsam, dass sie beide ihre Männer hintergehen
und Griselidis persönlich quälen.
Es wird sich verlohnen nach Hervorhebung der Haupt-
punkte gegenseitiger Übereinstimmung etwas näher auf die
Einzelheiten einzugehen.
Die Beschreibung der Persönlichkeit der Heldin und ihres
Aussehens bei O. steht, was Wohllaut der Sprache und Schön-
heit der Bilder anbetrifit, nicht viel hinter Silvestres Darstellung
zurück (vgl. S.7).
Zum Vergleich mögen wegen der Seltenheit der O.’schen
Griselidis die folgenden Verse im Wortlaut angeführt werden:
„Quel peintre ou quel po£te oserait vous decrire
Sa beauteE de Madone et son jeune sourire ?
ey) Tous les mawvais penchans de la nature humaine
Se peignent sur ses traits, esclave d’une reine. (O. I, 4.)
124 Richard Schuster.
Si jamais un archange envoy& du Seigneur
Paraissait A nos yeux, cet esprit de bonheur
Aurait un corps pareil ä celui qui l’abrite;
La beaut€ n’est pourtant que son moindre merite,
C’est la splendeur d’une äme immortelle! le jour,
Oü. naissant d’une &toile au celeste sejour,
Ce chef d’@uvre Echappa de sa main satisfaite,
Dieu lui baisa le front et lui dit: „Sois parfaite!“
Jamais forme plus belle, esprit plus radieux
Ne porta le reflet du cr&ateur des cieux.“
Der Liebreiz und der Wohllaut ihrer Stimme begeistert
den Marquis in so hohem Grade, dass er die Töne, die ihrem
Munde entströmen, noch über den Gesang der Engel stellt.
Ein ähnliches Lob wird ihr von Ginevra zu teil, das doppelten
Wert hat, wenn man bedenkt mit welchem Hass diese Grise-
lidis, die sie aus Percevals Herzen verdrängt hat, verfolgt.
Sa voix a je ne sais quel prestige vainqueur
Dont j’ai peine, moi-m&me ä defendre mon coeur.
Das Gehorsamsversprechen, das der Marquis ihr abnimmt,
hat bei O. eine Fassung, die die schwersten Bedingungen ent-
hält und die künftigen Verwicklungen vorahnen lässt,
Veux-tu m’etre fidele ainsi qu’& ton &poux
Quand je serais proscrit du pays oü nous sommes
Desherite, maudit du ciel, maudit des hommes?
Oui, seigneur, je le veux: — Griselde, viens ä moi:
Lui dis-je avec transport: je te donne ma foi.
(Vgl. auch das Gehorsamsversprechen bei Silvestre auf S.8 des Mysteres
und in der Histoire S. 161/162 Petit de ].)
Bei Silvestre muss Griselidis Fiamina den Hochzeitsring
zurückgeben (S. 43), Perceval zerbricht ihn:
Les liens qu’entre nous l’amour seul autorise,
Ainsi que cet anneau, gage de mon honneur,
Sont rompus .... D&sormais, sois libre!
(Il rompt l’anneau.)
Hier wie dort spielt das Kloster eine Rolle, nur erfolgt
bei O. die Wahl des Klosters gezwungen, bei A. Silvestre frei-
willig (vgl. S. 44). Bei O. zeigt an dieser Stelle die Heldin
frommere Ergebenheit.
Griselidis in der französischen Literatur. 125
Je pourrai prier Dieu pour lui, dans ma retraite
Au sein du monastere oü je vais m’enfermer,
Il me sera permis de souffrir et d’aimer ....
Jentendrai prononcer son nom: j’en serai fiere.
Griseldens Sohn wird an Bord eines Schiffes gebracht,
dorthin soll sie gehen, um für den Preis ihrer Ehre Loys vor
Tod oder- Sklaverei zu retten.
Bei O. ist auch ein skandinavisches Schiff, Gauvin gehörig,
im Hafen verankert, das sie einem ändern Schicksal zu-
führen soll: |
(Gauvin:) Pres de Stafford,')
Un vaisseau scandinave est ancre dans le port;
Le vaisseau m’appartient. Aux clartes des £toiles,
Vers des bords plus heureux je dirige mes voiles;
Et loin de Perceval d’un tyran deteste
Je vous rends la patrie avec la liberte.
Wörtliche Anklänge finden wir nirgends zwischen Ostr.
und Silv., doch ist es nach der vorstehenden Vergleichung nicht
zweifelhaft, dass Silv. O. gekannt hat und der Einfluss dieses
Werkes sich allenthalben im Gange der Handlung geltent macht.
In den anderen Griselidisbearbeitungen, also in denen von
Perrault, von M"e de Saintonge und von Imbert ist, was die
beiden epischen Bearbeitungen, die Perraultsche und die Im-
bertsche, betrifft, im allgemeinen auf das Abhängigkeitsverhältnis,
wie es zwischen der Histoire und dem modernen Mystere fTest-
gestellt wurde, hinzuweisen. Beide stehen, Imbert allerdings
weniger als Perrault, im Banne der Überlieferung und bringen
keine wesentlich neuen Momente in die Erzählung.
Es bleibt also noch die Come&die genannte Griselidis der
Madame de Saintonge zu besprechen. Sie ist dramatisiert, in
flüssigen Alexandriner geschrieben und in fünf Akte eingeteilt.
Eine Vergleichung der Inhaltsangaben von Saintonge und Silv. .
lässt von vornherein erkennen, dass ein Abhängigkeitsverhältnis
ı) Von dem wirklichen Schauplatz der Erzählung haben sowohl O. wie Silr.
keine rechte Vorstellung. Nach ihnen liegt das Grafenschloss am Meer, doch ist
dieses Hunderte von Kilometern vom Ozean entfernt, wie ein Blick auf die Karte
ohne weiteres zeigt. Die Abtei Stafforl existiert wirklich und ist nicht bloss eine
Erfindung des Dichters. Sie liegt nach Meyer (s. Konvers.-Lex. Artikel: Saluzzo)
nordwestlich von Saluzzo, hat eine gotische Kirche und wurde 1131 von Manfred T.,
Markgrafen von Saluzzo gegründet.)
126 Richard Schuster.
zwischen beiden nur in ganz äusserlichen Dingen und zwar in
der Namengebung besteht. Dass irgendwie auch nur leise
Spuren der Beeinflussung von der Comedie auf den Gang der
Handlung oder auf Einzelheiten des modernen Mysteres nach-
zuweisen wären, davon kann keine Rede sein.
Es könnten aber auch zeitgenössische Werke da und dort
Einfluss auf den Aufbau der Handlung oder auch nur auf kleinere
Einzelheiten ausgeübt haben.')
Die Einflüsse früherer dramatischer Werke des Verfassers
auf Griselidis nachzuweisen, ist mir nicht gelungen.
Eine andere Frage ist die, ob etwa die Figur der Grise-
lidis teilweise einem persönlichen Erlebnis des Verfassers ihr
Entstehen verdankt. Diese Frage zu beantworten. ist deshalb
nicht so sehr schwierig, weil der Dichter mit ungewöhnlicher
Aufrichtigkeit in seinem Werk ‚Au pays des Souvenirs‘ (1891)
sämtliche Frauengestalten, die in engere oder entferntere Be-
ziehung während seines Lebens zu ihm traten, behandelt. Keine
von den Frauen, die er anführt, haben wesentliche Züge mit
seiner Heldin gemein.
Ferner wäre möglich, dass die modernen Mysteres, wie
sie namenrlich vor ihm Maurice Bouchor u. a. auf die Bühne
gebracht haben, irgend wie beeinflussend auf sein Werk ge-
wirkt hätten. Doch ist auch hier ein direkter Einfluss abzu-
lehnen. Durch die Lektüre von Bouchors Werken und namentlich
auf Grund von Lemaitres „Les Contemporains“ (vgl. 6. Bd.
S. 379, 5. Bd. 347, 351, 2. Bd. 339)*) bin ich zu diesem Urteil
gekommen, auch hätten Kritiker wie Sarcey und Lemaitre, die
mit den Erscheinungen der letzten Jahre auf dem Theatermarkte
besser als irgend einer sonst, bekannt waren, sich bei ihren
Rezensionen über Griselidis die Gelegenheit nicht entgehen
lassen, auf deutlich erkennbare Einflüsse anderer moderner
Mysteres auf Griselidis hinzuweisen.
1) Wie schon in der Einleitung hervorgehoben wurde, muss von E. Morand
Abstand genommen werden, da sein Anteil am Entstehen des Mysteres nicht fest-
gelegt werden kann und keine selbständigen Werke von ihm bekannt sind.
2) ‚Jules Lemaitre schreibt im fünften Band auf S. 351: „Riviere et Caran
d’Ache ont vessuseite chez nous sous une forme purement plastique et silencieuse,
le „Mystöre“, car on ne saurait donner dautre nom al’ Epopee et ü la Tentation
de samt Antoine, deuwc auvres d’une poesie naive et forte, velevees, ca et la,
d’ironie moderne.“
Griselidis in der französischen Literatur. 127
Dagegen sind zwei Werke von Einfluss auf Silvestre ge-
wesen, die in der Art ihrer Anlage gar nichts mit modernen
Mysteres zu tun haben. Es sind dies die dreiaktige Comedie
Barberine (1835) von Musset und la Princesse de Bagdad,
piece en 3 actes von Alexandre Dumas fils, (zum ersten Male
am 31. 1. 1881 am Theätre frangais aufgeführt).
Ein Blick auf das Personenverzeichnis zeigt uns, dass die
Anzahl der Personen in Barberine und Griselidis ungefähr
dieselbe ist; wenn auch Barberine in Anlage und Ausführung,
in der Stellung der Personen zu einander, in Ort und Zeit der
Handlung wesentlich verschieden von Armand Silvestres Gr -
selidis ist, so zeigt doch der Grundton des Ganzen grosse
Ähnlichkeit mit unserem Mystere.
Graf Ulric, ein böhmischer Edelmann, verlässt seine schöne
junge Frau um Kriegsdienste zu nehmen, hauptsächlich um im
Solde des Mars den Grund zu einem Vermögen zu legen. Am
Königshofe gut aufgenommen, sieht er die glänzendsten Aus-
sichten der Verwirklichung nahe; am selben Hofe macht er
die Bekanntschaft eines sonderbaren jungen Mannes. Dieser
spielt den Erfahrenen, an die Tugend der Frauen glaubt er
nicht, ja selbst das Herz Barberinens, Ulrics Frau, erkühnt er
sich zu gewinnen. Im Beisein der Königin wird eine Wette
eingegangen, als Einsatz dienen die Güter beider Edelleute.
Die Versuchung der Treue beginnt, der junge ungarische Baron
Astolphe de Rosemberg leidet kläglich Schiffbruch, und die
Treue der Frau im allgemeinen wird durch den Ausgang des
Stücks glänzend gerechtfertigt.) |
Durch diese kurze Analyse erkennen wir leicht das Gemein-
same beider Stücke, doch sind auch die Unterschiede sehr gross.
Am besten kann man bei aller Verschiedenheit im Ein-
zelnen den Marquis zu dem Graien Ulric in Parallele stellen.
Beide Edelleute bauen unerschütterlich auf die. Treue ihrer
Gattinen und keine Macht der Erde noch der Hölle kann ihren
felsenfesten Glauben untergraben; das Eingehen der Wette
gegenüber feindlichen Mächten geht bei aller Verschiedenheit
im Alter beider, der Marquis ist vorgerückteren Alters, Graf
Ulric noch in der Blüte der Jugendjahre, bei aller Verschieden-.
heit des Einsatzes doch auf dieselbe Wurzel zurück. Hier wie
02 Die Barberine gehört in den Kreis der von G. Paris in der Romania:
(Band XXVII) behandelten Erzählungen von der ‚Gageüre‘.
128 Richard Schuster.
dort wird ihr blindes Zutrauen zu der Gattin nicht getäuscht
und findet den gebührenden Lohn. Die Rollen Astolphes und
des Teufels haben trotz anscheinender äusserer und innerer
Unterschiede doch eine gewisse Verwandtschaft. Der Teufel
ist erfahrener, kennt mehr von dem Treiben unseres Planeten,
hat mehr hinter die Kulissen der Frau Welt gesehen als unser
Prahlhaus und Muttersöhnchen Astolphe de Rosemberg, an
Ungeschicklichkeit steht der letztere ihm nicht viel nach. Der
bedrohten Unschuld ersteht allerdings in Astolphe kein so ge-
fährlicher Nebenbuhler wie Griselidis in Alain. Was die Hel-
dinnen Barberine und Griselidis betrifft, so hat Barberine Gri-
selidis nicht einmal in einzelnen Charakterzügen zum Vorbilde
gedient. Die ernste, würdevolle, elegisch gestimmte Griselidis
steht in keinem geringen Gegensatze zu der allzeit heiteren,
listigen, praktisch veranlagten Barberine.
Bertrade und Kalekairi, beide getreue und anhängliche
Dienerinnen ihrer jugendlich schönen Herrinnen zeigen Gegen-
sätzlichkeit in den ihnen zugeteilten Rollen wie in ihrem
Charakter.
Betrachtet man beide Stücke als Ganzes genommen und
vergleicht sie mit einander, so muss man Jules Lemaitre Recht
geben, wenn er in einer Rezension über Griselidis schreibt: „Ils
l’ont en somme beaucoup rapproche&e de la Barberine de Musset.“
Das zweite Werk, dessen Einfluss auf den Höhepunkt der
Handlung wenn nicht im Wortlaut, so doch in der Technik der
angewandten Mittel unverkennbar ist, ist das von Alexander
Dumas fils seiner Tochter Madame Collette Lippmann gewid-
mete Werk ‚la Princesse de Bagdad‘, das die Worte des zweiten
Akts, Szene I als Motto trägt: „Sois toujours une honnöäte
femme; c’est le fond des choses!“
Die Handlung ist eher möglich als wahrscheinlich, das
rätselhafte, fremdländischen Ursprung verratende Wesen Lionnette
ist vor allem eher das Gegenteil einer Griselidis, Jean de Hun
der von den schrecklichsten Qualen der Eifersucht Gefolterte
ist so wenig ein Abbild des Marquis wie der erzreiche, von
einer eisernen Gesundheit von Mutter Natur begnadete Nour-
vady ein solches Alains ist, nicht zum letzten hat er durch
seinen männlichen Charakter und gründlichen Verstand auf Lion-
nette, die Frau Jean de Huns derartigen Eindruck gemacht,
Griselidis in der französischen Literatur. 129
dass sie durch das Hinzutreten unerquicklicher Verhältnisse den
entscheidenden Schritt tun will Gatten und Kind zu verlassen;
und eben dieses Kind Raoul hält seine Mutter von dem ver-
hängnisvollen Schritt ab und erscheint zur rechten Zeit wie
Loys in der Alainszene (vgl. la Princesse de Bagdad, Ill, 4).
So verschieden auch die Charaktere von denen in der
Silvestreschen Griselidis sind, so ist die Situation in beiden
Stücken doch ähnlich. Griselidis wird durch das Erscheinen
ihres Söhnchens allerdings sofort zur Besinnung gebracht, Lion-
nette erst, als Nourvady ihren Raoul zu Boden schleudert; hier
wie dort ist das rechtzeitige Erscheinen des Sohnes der dauer-
hafte Schild für die stark gefährdete Ehre und Tugend der
Heldin, an dem alle Angriffe zerschellen.
Zum Schluss möchte ich noch auf einige Einzelheiten
hinweisen.
Bemerkenswert ist, dass gerade die heilige Agnes es ist,
die in das Schicksal der Handlung bestimmend eingreift. Meiner
Auffassung nach ist Silvestre durch das Lesen der Inhaltsangabe
bei Le Petit de Julleville (l, 180—184) über Griselidis auf das
provengalische Mystere de Sainte Agnes gekommen, weil dieses
sofort nach der Histoire erwähnt wird (I, 185; II, 345). Als
Schutzheilige für eine keusche und reine Frauenseele erscheint
Agnes durch ihre eigenen Erlebnisse wie geschaffen.
Im Faust von Gounod komponiert erinnert mich eine Stelle
lebhaft an den Augenblick, in dem Griselidis das Schloss ver-
lassen will, um im Schatten eines: Klosters im Gebet für ihren
Herrn, den Vater ihres Kindes, ihre Tage zu beschliessen.
(Silv. S. 44.) Vgl. hiemit folgende Verse in Faust, IV. Akt, Szene I:
Ceux dont la main cruelle me repousse,
N’ont pas ferm& pour moi la porte du saint lieu;
Jy vais pour mon enfant ... et pour lui prier Dieu.
Abschliessend können wir sagen, dass wörtliche Entlehn-
ungen nirgends nachweisbar sind, und dass, wie die Quellenunter-
suchung ergeben hat, Ostrowski noch vor Mussets Arbeit wohl den
bedeutendsten Einiluss auf den Gang der Handlung in Armand
Silvestres Griselidis ausgeübt hat, und Ostrowskis Werk wieder
steht, wie ich nachgewiesen habe, in engem Abhängigkeitsverhält-
nis zu der deutschen Dichtung Halms: also auch hier wieder
ein erkennbarer und nachweisbarer Einfluss der deutschenLbiteratur
auf die französische.
9
130 Richard Schuster.
Anhang.
Als eine wünschenswerte Ergänzung zur bisherigen Betrachtung
erschien es mir, den Reim in der Griselidis zum Gegenstand einer ein-
gehenden Untersuchung zu machen. Namentlich suchte ich durch Auf-
stellung statistischen Materials, durch Vergleichung mit Edmond von
Rostand und Theodor von Banville zu zeigen, wie die in der Griselidis
angewendeten Reimtypen sich zu denen der beiden genannten Dichter
verhalten. Zudem liegen wenige derartige Untersuehungen über moderne
Dichter vor. Lubarsch sagt in seiner Verslehre über den Reim (S. 261):
„Wir haben hier nur auf einige der hervorragendsten Punkte hin-
weisen wollen, welche bei einer folgerichtigen Theorie des französischen
Reimes massgebend sein müssen. Neben einem feinen Verständnis für
den Klang französischer Laute ist überdies die Aufstellung einer Statistik
des Reimes nach den besten Dichtern erforderlich, von welcher zur Zeit
kaum die Anfänge vorliegen.“
Da Armand Silvestre gerade wegen seines Formtalents ein auch
von den strengsten Kritikern in dieser Richtung vorbildlicher Dichter
genannt wird, so ist die Aufstellung einer Statistik, wenn auch nur auf
Griselidis beschränkt, sicherlich lohnend.
Eine Schwierigkeit bei der Aufstellung der Reimskala lag darin,
dass vielfach mehr als zwei Verse durch denselben Reim gebunden
werden, und diese praktisch nur insofern der Skala einzufügen waren, als
eben an den jeweiligen Stellen nur ein einziger Reim gerechnet wurde.
Bei Aufstellung der Reimskala bin ich den Bezeichnungen von
Schenk und Grein gefolgt. Terminologische Einheit in verstheoretischen
Arbeiten ist dringend geboten, deshalb habe ich auch die von der Kritik
nicht beanstandeten Schenkschen Bezeichnungen der einzelnen Laute
beibehalten:
v= Vokal; v = Nasalvokal; c = Konsonant; dd = diphtongue
decroissante; de — diphtongue croissante; d = Nasaldiphtong.
Das Ergebnis meiner Untersuchung ist, dass sich 14 Reimtypen’)
!) Der jeweilige Reimtypus bildet immer auch die erste Gruppe. Tritt ein
stummes e hinzu, oder reimen Nasalcokale oder Diphthonge an Stelle des einfachen
Vokals aufeinander, so ergeben sieh die weiteren Gruppen jedes Reimtypus. Der
Typus „Genügender Reim, einfacher Konsonant nach einem Vokal oder Diph-
thongen“ ergibt z. B. in der Grriselidis die folgenden 5 Gruppen:
v+c ıvH+c retour : amour
v+c+te:v+c+te doute : worte
vV+tcete:v+c+te etranges : fanyes
d+c :d+c noir : esponr
d+c+te:d+c-+e vote : etoile
Griselidis in der französischen Literatur. 131
ergeben, weiche 44 verschiedenen Gruppen angehören; in Anbetracht
der 617 Reime ist diese Zahl ziemlich hoch. Wenn Schenk in seiner
Arbeit über den Reim bei Edmond Rostand bei 2476 Versen und dem-
gemäss 1238 Reimen 46 Reimtypen mit 73 Gruppen auistellt, so scheint
auf den ersten Blick Armand Silvestre ein verstechnisch nicht gerade
gewandter Dichter zu sein. Die bei ihm fehlenden Reimtypen sind jedoch
auch bei Rostand äusserst selten, ihr Vorkommen beschränkt sich auf
einen einzigen, allerhöchstens auf zwei Fälle. Mehr oder weniger sind
dies eben Zufallsreime, die für die Beurteilung der Reimtechnik eines
Dichters meines Erachtens kaum ins Gewicht fallen.
Eine etwas eingehendere Untersuchung der verschiedenen Reim-
typen wird in mannigfacher Hinsicht von Nutzen sein.
Mit Assonanz wurde der genügende Reim bezeichnet, bei dem nur
Gleichklang des Reimvokals zu konstatieren ist ohne nachfolgenden hör-
baren Konsonanten. Gegenüber Schenks Aufstellung habe ich drei weitere
Gruppen zu den Assonanzen hinzufügen können. Es wundert mich etwas.
dass Rostand Gruppen wie de +e:de +e€ (proie : joie); v+ c:d-+c
(ternel : ei) und v+c+te:d+ c+e (espere : entiere) nicht ver-
wendet hat. In der Gruppe v : v ist das Reimwort Epoux sehr häufig
vertreten. Wenn ich auch den Reim vermeille : pareille Schenk folgend
unter die Assonanzen gerechnet habe, so habe ich dies nur getan, um
bei ihrer prozentualen Berechnung dasselbe Material zur Verfügung zu
haben und um einen fehlerfreien Vergleich anstellen zu können.
11°/, aller Reime entfallen auf die Assonanzen, die klangärmsten
mit 23 unter 69 stehen auch hier obenan, dann folgt gleich die Gruppe
de : de mit 17, (roi : fai),d :d (aneien : bien) mit 6 Beispielen, die klang-
reicheren sind nur mit 4, 3, 2 und einem Beispiel vertreten. (v:v lon :
timoin (4), dd+e:dd + e vermeille : pareille (3), de e:de-+e proie :
je 2, vtete:d+cHte espere : entiere (1).
Die eigentlichen Reime, die ausser dem Reimvokal noch ein tönendes
Element, sei es nun einen Konsonanten oder einen Vokal gemeinsam
haben, betragen 89°;,.
Die genügenden Reime machen etwas mehr als ein Viertel der
sämtlichen Reime aus, nämlich 25'/,°/,. (26°, im Cyrano de Bergerac.)
8 Fälle von 158 genügenden Reimen entfallen auf den Reim v+c+e
v+ c+ e(doute : route) an zweiter Stelle stehen die männlichen Reime
retour : omour (33 Beispiele) und dann kommen die andern wenig zahl-
reich vertretenen Gruppen.
Banville stellt in seinem Traite folgende kategorische Regel auf
(p. 56/57): |
Sarıs consonne d’appui pas de rime et, par consequent, pas de
po&sie; la poesie consentirait plutöt ä perdre en route un de ses
bras ou une de ses jambes qu’ä marcher sans la consonne d’appui.
Er selbst hat aber diese Regel nicht praktisch durchgeführt, denn
wir finden ungeachtet der genügenden Reime allein schon, wie Grein
nachgewiesen hat, 7°/, Assonanzen in seinen Gedichten.
132 Richard Schuster.
Die wichtigsten Gruppen und Typen bei Arınand Silvestre will ich
im folgenden in absoluter und relativer Beziehung aufführen und zum
Vergleich die von Schenk bei Rostand und von Grein bei Banville ge-
wonnenen Resultate mit heranziehen.
Gruppe: Beispiele: Silvestre Banville Rostand
c+v Griselidis : paradis 202 = 32,7°;, 27,8%, 24%
v+c retour : amour 140 = 22,7"! 23,30 5 28 °
c+v-+c fleur : douleur 134: = 21,70, 21,4%, 10 ®/,
V genoux : doux 69 = 11,1", 73% 12 °%
88,20), 79,8°, 74 On
Typus:
v+c-+e doute : route 82 — 13,3°/, 14,3°/o 24 v,
C+v-+ c + eernpresse :tendresse 87 = 14,1°;, 11,9%, 7,5%)
c+v Griselidis : paradis 110 = 17,80, 11,3°/, 14 9%,
c+V chemin : main 36 = 5,8"), 80, 6,1°)o
c+v-+c fleur : douleur 3i= 5% 5,8%, 17°,
v+c retour : amour 3 = 5,3%, 4,7%, 5 9,
c+v-+e declaree : contree 48 = 7,80 4,1%, 1,8%,
69,1 60,1, 60,1%,
Diese Zahlen beweisen mehr als viele Worte wie bei Armand Sil-
vestre der reiche Reim sowohl in der Reimgruppe als auch im Reimtypus
an erster Stelle steht, er also dem Ideal von Banville und der franzö-
sischen Theoretiker möglichst reich zu reimen am nächsten gekommen
ist. Banville hat er insofern übertroffen, als 32,7%, reiche Reime bei
Silvestre 27,8°/, bei Banville gegenüberstehen, und ferner überwiegt bei
dem französischen Theoretiker bei den einzelnen Gruppen der genügende
Reim den reichen Reim; an erster Stelle steht in unserer Griselidis der
Lauttypus c + v mit 17,8°/, an zweiter der Lauttypus c-v+c-+ e mit
14,1°/, und erst an dritter Stelle kommt der genügende Reim mit 13,3"/,.
Wenn daher bei Silvestre nicht so viele Reimtypen wie bei Banville
und Rostand vorhanden sind, so rührt das einesteils daher, dass der
reiche Reim einen so grossen Prozentsatz einnimmt, und ferner daher,
dass er die Typen mit mehreren hörbaren Konsonanten als schwerfällig
und unschön betrachtet und sie deshalb im Reim vermeidet.
Ich gehe nun über zu der lautlichen Beschaffenheit der Reime und
behandle zunächst die Reimvokale. Nach Becq de Fouquiers (p. 29)
ist die ‚identite du son de la voyelle‘ als ‚la premiere condition‘ zu be-
trachten. Einige Verstösse gegen diese Regel finden sich. obwohl nur
spärlich, bei unseren Dichtern.
Die einzelnen Vokale behandle ich im nachstehenden gesondert.
In unserem Mystere werden einige Male kurze a-Laute mit langen
gereimt. Oft werden äme und flamme mit einem Wort auf kurzes a,
femme mit einem solchen auf langes a gereimt. Alle französischen
Theoretiker verwerfen diese Reime. Landais (p. XX) bemerkt dazu:
Griselidis in der französischen Literatur. 133
„A long, comme dans äge, se recontre dans presque tous nos
poetes rimant avec a bref. Iis vont plus loin et font rimer femme
avec äme, s’efforgant, malgre l’ail et l’oreille, d’accorder ensemble
ces syllabes si disparates. Cela est ä Eviter.“
Drei mal, auf S. 20, 87 und 89 wird «me mit fenme gereimt; richtige
Reime wie äme : flamme (95) sind natürlich die Regel. Weitere Verstösse
sind folgende Reime: (54) madame : äme, (80) infüme : femme. Der Reim
espace : passe (25) ist auch zu tadeln, da offenbar das a in espace kurz
ist, das a in passe habe ich stets lang gehört, auch Banville und Landais
bezeichnen es als lang, wohingegen Sachs nur halblanges a in passe
verzeichnet. Ein weiterer offenkundiger Verstoss gegen Augen- und Ohr-
reim ist der Reim läche : cache (83).
Beim e-Laut sind auch wieder nur wenige Inkorrektheiten die
Quantität betrefiend zu verzeichnen, die Qualilät bietet keinen Anlass zu
Erörterungen.
. Nach Sachs ist elles halblang, fideles lang. Nun ist ja zuzugeben,
dass eine genaue Grenze zwischen halblang und lang nie aufzustellen
sein wird, elle habe ich aber in Frankreich und Beigien sehr oft, nament-
lich im emphatischen Ausruf lang, ja beinahe überlang gehört. Deshalb
möchte ich Reime wie fidele : d’elle (57) und devant elle : telle nie be-
anstanden.
Einen Verstoss können wir in den Reimen complete : toilette : replöte
feststellen, das e in toilette ist eher kurz als halblang, das e der beiden
andern Reimwörter dagegen lang. Der Reim chandelle : infidele (18) ist
auch inkorrekt, ebenso gırette : honnete (31).
Die andern Reimvokale i, ö und u bieten keinen Anlass zu Erörter-
ungen, es sei denn der Vocal o in dem Beispiel vötre : autre (hl.)
Als wichtiges Ergebnis der behandelten Fälle ist festzustellen, dass
unsere Dichter die von den Theoretikern aufgestellten Regeln beinahe
durchgehends befolgen.
Ich habe nun noch einen gelinden Irrtum von Catulle Mendes zu
berichtigen, hinsichtlich der von ihm in seinem „Rapport sur le Mouvement
poetique frangais* ausgesprochenen Auffassung über Silvestres Reim-
technik. Mend®s schreibt:
„Parce qu’ Armand Silvestre, selon la bonne et irresistible loi
qui pousse les uns vers les autres les honnetes esprits, fut un Par-
nassien, la mode s’est etablie de penser que l’auteur de la Gloire
du Souvenir et de Tristan de L&onois est un tres precieux et tres
raffine versificateur, uniquement pr&eoccup& de la rime et des trou-
vailles pittoresques de rythmes et d’images. Or, il n’en est rien;
et c’est le contraire qui est la verit€e m&me: Armand Silvestre
s’inquiete assez peu de la rime, ne cherche pas l’image neuve (qu’il
trouve souvent sans le faire expres, l’heureux homme!) et n’est pas
plus malin, en fait de combinaisons rytlımiques, qu’un jeune joueur
de chalumeau. Mais il est le po&te Iyrique, mais il a en lui le don
Iyrique. Et c’est pourquoi notre maitre commun, venere et bien
aime, et toujours vivant en nos ämes, Theodore de Banville, pour
134 Richard Schuster.
qui le seul Iyrisme &tait la po&sie mäme, toute la po&@sie, me dit un
jour que, de tous ses disciples, celui qui €tait le plus proche du
caur de son esprit, c’etait Armand Silvestre.*
Das meiste, was hier gesagt wird, unterschreibe ich gern, nur nicht
die Schlussfolgerung von Catulle Mendes. Gerade meine Untersuchung
hat gezeigt, dass Armand Silvestre sich sehr mit dem Reim beschäftigt:
was die lautliche Beschaffenheit der Reimvokale anbetrifft, so waren
wenige Bemerkungen zu machen. Andererseits ist es ja das Bestreben
der französischen Dichter, möglichst reich zu reimen, und ich glaube
zahlenmässig nachgewiesen zu haben, dass Armand Silvestre, wenigstens
was die Griselidis anlangt, seinen einstigen Lehrer Banville, den strengen
Theoretiker, in der Erfüllung dieser Forderung noch übertrifit. Daher ist
die Behauptung von .Catulle Mendes — so gut sie auch gemeint sein
mag — Silvestre kümmere sich wenig um den Reim, in Bezug auf unser
Mystere rundweg abzulehnen.
Griselidis in der französischen Literatur. 135
Francisci Petrarchae opera, Basileae (1555).
Francisci Petrarchae V. G. de obedientia ac fide uxoria Mythologia.
Est ad Italiae latus occiduum Vesulus ex Appennini iugis mons unus
altissimus, qui vertice nubila superans liquida sese ingerit aetheri, mons
suapte nobilis natura, sed Padi ortu nobilissimus, qui eius a latere fonte
lapsus, exiguo orientem contra solem fertur, mirisque mox tumidus in-
crementis, breui spacio decursu, non tantum maximorum unus amnium,
sed fluuiorum & Vergilio rex dictus. Liguriam gurgite uiolentus intersecat,
dehinc Aemiliam, atque Flaminiam, Venetiamque discriminans, multis ad
ultimum et ingentibus ostijs, in Adriaticum mare descendit. Caeterum
pars illa terrarum, de qua primum dixi, que et grata planitie, et interiectis
collibus ac montibus circumflexis, aprica pariter ac iucunda est, atque
ab eorum quibus subiacet Pedemontium pede nomen tenet, et ciuitates
aliquot et oppida habet egregia. Inter caetera ad radicem Vesuli, terra
Salutiarum, uicis et castellis satis frequens, Marchionum arbitrio nobilium
quorundam regitur uirorum, quorum unus primusque omnium et maximus
fuisse traditur Gualtherus quidam, ad quem familiae ac terrarum omnium
regimen pertineret, et hic quidem forma uirens atque aetate, nec minus
moribus quam sanguine nobilis, et ad summam omnium ex parte uir
insignis, nisi quod praesenti sua sorte contentus incuriosissimus futuro-
rum erat. Itaque uenatui aucupioque deditus, sic illis incubuerat, ut alia
pene cuncta negligeret: quodque in primis aegre populi ferebant, ab
ipsis quoque coniugij consilijs abhorreret. Id aliquamdiu taciti cum
tulissent, tandem cateruatim illum adeunt, quorum unus, cui uel aucto-
ritas maior erat uel facundia, maiorque cum suo duce familiaritas, „Tua,
‚inquit‘, humanitas, optime Marchio, hanc nobis praestat audaciam, ut et
tecum singuli quotiens res exposcit deuota fiducia colloquamur, et nunc
omnium tacitas uoluntates mea uox tuis auribus inuehat, non quod sin-
gulare aliquid habeam ad hanc rem, nisi quod tu me inter alios charum
tibi multis indicijs comprobasti. Cum merito igitur tua nobis omnia
placeant, semperque placuerint, ut felices nos tali domino judicemus:
unum est, quod si a te impetrari sinis teque nobis exorabilem praebes,
plane foelicissimi finitimorum omnium futuri sumus, ut coniugio scilicet
animum applices, collumque non liberum modo sed imperiosum legitimo
subijcias iugo, idque quam primum facias: uolant enim dies rapidi, et
quamquam florida sis aetate, continue tamen hunc florem tacita senectus
136 Richard Schuster.
insequitur, morsque ipsa omni proxima est aetati. Nulli muneris huius
immunitas datur, aeque omnibus moriendum est, utque id certum, sic
illud ambiguum, quando eueniat. Suscipe igitur, oramus, eorum preces,
qui nullum tuum imperium recusarent, quaerendae autem coniugis studium
nobis linque; talem enim tibi procurabimus, quae te merito digna sit,
et tam claris orta parentibus, ut de ea spes optima sit habenda, libera
tuos omnes molesta sollicitudine quaesumus, ne si quid humanitus tibi
forsan accideret, ut tu sine tuo successore abeas, ipsi sine notiuo rectore
remaneant.* Mouerunt piae preces animum Viri, et „cogitis“, inquit, me,
amici ad id quod mihi in animum nunquam uenit; delectabar omnimoda
libertate, quae in coniugio rara est. Caeterum subiectorum mihi uolun-
tatibus me sponte subijceio, et prudentiae uestrae fisus et fidei: Illam
uero quam offertis quaerendae curam coniugis, remitto, eamque humeris
meis ipse subeo; quid unius enim claritas confert alteri? Saepe filij
dissimillimi sunt parentum. Quicquid in homine boni est, non ab alio,
quam a Deo est. Illi ergo et status et matrimonij mei sortes, sperans
de sua solita pietate, commiserim; ipse mihi inueniet, quod quieti meae
sit expediens ac saluti. Itaque quando vobis ita placitum est, uxorem
ducam, id uobis bona fide polliceor, uestrumque desiderium nec frustrabor
equidem, nec morabor: unum uos mihi versa uice promittite ac seruate,
ut quamcunque coniugem ipse delegero, eam uos summo honore ac
ueneratione prosequamini, nec sit ullus inter uos, qui de meo unquam
iuditio aut litiget aut queratur. Vestrum fuit me omnium quos nouistis
liberrimum, iugo subiecisse coniugij; mea sit iugi ipsius electio, quae-
qumque uxor mea erit, illa, ceu Romani principis filia, domina uestra
sit.“ Promittunt unanimiter, ac laete nihil defuturum, ut quibus uix pos-
sibile videretur optatum diem cernere nuptiarum, de quibus in diem certum
magnilicentissime reparandum domini iubentis edictum alacres susciperent.
Ita a colloquio discessum est, et ipse nihilo minus eam ipsam nuptiarum
curam domesticis suis imposuit, edixitque diem.
Fuit haud procul a palatio uillula paucorum atque inopum incola-
rum, quorum uni omnium pauperrimo Janicolae nomen erat, sed ut pau-
perum quoque tuguria nonnumquam gratia ceelestis inuisit, unica illi
contigerat Briseldis nomine, forma corporis satis egregia, sed pulchritudine
morum atque animi adeo speciosa, ut nihil supra, haec parco uictu, in
summa semper inopia educata, omnis inscia uoluptatis, nil molle, nil
tenerum cogitare didicerat, sed uirilis senilisque animus uirgineo latebat
in pectore, patris senium inextimabili refouens charitate,; et panculas eius
:oues pascebat, et colo interim digitos atterebat, uicissimque domum
rediens, oluscula et dapes fortunae congruas praeparabat, durumque cu-
biculum sternebat, et ad summum angusto in spatio totum filialis obe-
dientiae ac pietatis officium explicabar. In hanc uirgunculam Gualtherus
saepe illac transiens, quandoque oculos non iuuenili lasciuia sed senili
grauitate defixerat, et uirtutem eximiam supra sexum supraque aetatem,
quam uulgi oculis conditionis obscuritas abscondebat, acri penetrarat
intuitu. Unde effectum, ut et uxorem habere, quod unquam ante uol-
uerat, et simul hanc unam nullamque aliam habere disponeret. Instabat
nuptiarum dies, unde autem uentura sponsa esset, nemo nouerat, nemo
Griselidis in der französischen Literatur. 137
non mirabatur; ipse interim et anulos aureos et coronas et balteos con-
quirebat, uestes autem pretiosas et calceos et eius generis necessaria
omnia, ad mensuram puellae alterius, quae statura suae persimilis erat,
praeparari faciebat. Venerat expectatus dies, et cum nullus sponsae
rumor audiretur, admiratio omnium uehementer excreuerat, hora iam
prandij aderat, iamque apparatu ingenti domus tota feruebat. Tum Gual.
therus aduentanti uelut. sponsae obuiam profecturus domo egreditur, pro-
sequente uirorum et matronarum nobilium caterua.. Griseldis omnium
quae erga se pararentur ignara, peractis quae agenda domi erant, aquam
e longinquo fonte connectans, paternum limen intrabat, ut expedita curis
alijs, ad uisendam Domini sui sponsam cum puellis comitibus properaret.
Tum Gualtherus cogitabundus incedens, eamque compellans nomine:
‚Ubinam pater eius esset‘, interrogavit; quae cum illum domi esse reuerenter
atque humiliter respondisset, „Jube, inquit, ad me ueniat“, venientem seni-
culum, manu praehensum parumper abstraxit, ac submissa uoce, „Scio,
ait, me Janicola carum tibi, teque hominem fidum noui, et quaecunque
mihi placeant, uelle te arbitror; unum tamen nominatim nosse. uelim: an
me quem dominum habes, data mihi hac tua in uxorem filia generum
uelis?“ Inopino negotio stupefactus senex obriguit, et uix tandem paucis
hiscens, „Nil, inquit, aut velle debeo aut nolle, nisi quod placitum tibi sit,
qui dominus meus.es.“ „Ingrediamur soli ergo, inquit, ut ipsam de qui-
busdam interrogem, te praesente.“ Ingressi igitur, expectante populo ac
mirante, puellam circa patris obsequium satagentem, et insolito tanti
hospitis aduentu stupidam inuenere, quam ijs uerbis Gualtherus aggre-
ditur: „Et patri tuo placet, inquit, et mihi, ut uxor mea sis. Credo id
ipsum tibi placeat, sed habeo ex te quaerere, ubi hoc peractum fuerit,
quod mox erit, an uolenti animo parata sis, ut de omnibus tecum mihi
conueniat, ita ut in nulla unquam re a mea uoluntate dissentias, et quic-
quid tecum agere uoluero, sine ulla frontis aut uerbi repugnantia te ex
animo uolente mihi liceat.*“ Ad haec illa miraculo rei tremens, „Ego mi
domine, inquit, tanto honore me indignam scio: at si uoluntas tua, sique
sors mea est, nil ego unquam sciens, nedum faciam, sed etiam cogi-
tabo, quod contra animum tuum' sit, nec tu aliquid facies, et si me
mori iusseris, quod moleste feram,“ „Satis est,“ inquit ille; sic in publi-
cum eductam populo ostendens: „Haec, ait, uxor mea, haec domina nostra
est, hanc colite, hanc amate, .et si me carum habetis, hanc carissimam
habetote.*“ Dehinc, ne quid reliquiarum fortunae ueteris nouam inferret
in domum, nudari eam ivssit, et a calce ad uerticem nouis uestibus indui,
quod a matronis circumstantibus ac certatim sinu illam gremioque fouen-
tibus uerecundae ac celeriter ad impletum est. Sic horridulam uirginem,
indutam, laceramque comam recollectam manibus comptamque pro tem-
pore insignitam gemmis, et corona uelut subito transformatam, uix populus
recognouit; quam Gualtherus anulo pretioso, quem ad hunc usum detu-
lerat, solenniter desponsauit, niveoque equo impositam, ad palatium
deduei fecit, comitante populo et gaudente.e Ad hunc modum nuptiae
celebratae, diesque ille laetissimus actus est. Breui dehinc inopi sponsae
tantum diuini fauoris affulserat, ut non in casa illa pastoria, sed in aula
imperatoria educata atque edocta uideretur, atque apud omnes supra fidem
138 Richard Schuster.
cara et uenerabilis facta esset, uixque his ipsis, qui illam ab origine
nouerant, persuaderi posset Janicolae natam esse; tantus erat ujitae,
tantus morum decor, ea uerborum gravitas ac dulcedo, quibus omnium
animos nexu sibi magni amoris astrinxerat. Jamque non solum intra
patrios fines, sed per finitimas quasque prouincias suum: nomen celebri
praeconio fama uulgabat: ita ut multi ad illam uisendam uiri ac matronae
studio feruente concurrerent. Sic Gualtherus humili quidem sed insigni
ac prospero matrimonio, honestatis summa domi in pace, extra uero
summa cum gratia hominum uiuebat, quodque eximiam uirtutem, tanta
sub inopia latitantem, tam perspicaciter deprehendisset, uulgo prudentis-
simus habebatur. Neque uero solers sponsa muliebria tantum haec
domestica, sed ubi res posceret, publica etiam obibat officia uiro absente,
lites patriae nobiliumquae discordias dirimens atque componens tam
grauibus responsis tantaque maturitate et, iudicij aequitate, ut omnes
ad salutem publicam demissam coelo foeminam praedicarent. Neque
multum tempus effluxerat, dum grauida affecta, primum subditos anxia
expectatione suspendit, dehinc filiam enixa pulcherrimam, quamuis filium
maluissent, tamen notliua foecunditate non virum modo sed totam patriam
laetam fecit. Cepit, ut fit, interim Gualtherum cum iam ablactata esset
infantula, mirabilis quaedam, quaın laudibilis doctiores iudicent, cupiditas
satis expertam carae fidem coniugis experiendi altius et iterum atque
iterum retentandi. Solam igitur in thalamum seuocatam, turbida fronte
sic alloquitur: „Nosti, ö Briseldis, neque enim praesenti fortuna te prae-
teriti tui status oblitam credo: nosti, inquam, qualiter in hanc domum
ueneris. Mihi quidem cara satis ac dilecta es; at meis nobilibus non
ita, praesertim ex quo parere incepisti, qui plebeiae Dominae subesse
animis ferunt iniquissimis. : Mihi ergo, qui cum eis pacem Cupio, necesse
est de filia tua non meo sed alieno iuditio obsequi, et id facere, quo nil
mihi posset esse molestius. Id enim uero te ignara nunquam fecerim,
uolo autem tuum mihi animum accomodes, patientiamque illam praestes,
quam ab initio nostri coniugij promisisti.* Jis auditis, nec uerbo mota,
nec uultu. „Tu, inquit, noster es Dominus, et ego, et haec parua filia
tuae sumus; de rebus tuis igitur fac ut libet, nil placere enim tibi potest.,
quod mihi displiceat. Nil penitus uel habere cupio uel amittere metuo,
nisi te, hoc ipso mihi in medio cordis aflixi, nunquam inde.uel lapsu
temporis uel morte uellendum. Omnia prius fieri' possunt, quam hic
animus mutari.“ Laetus ille responso, sed dissimullans uisu moestus
abscessit, et post paululum unum suorum satellitum fidissimum sibi,
cuius opera grauioribus in negocijs uti consueuerat, quid agi uellet
edoctum, ad uxorem misit,. qui ad eam noctu ueniens, „Parce, inquit, o
domina, neque mihi imputes, quae coactus faecio. Scis sapientissima,
quid est esse sub dominis, neque tali ingenio praeditae quamuis inex-
pertae dura parendi necessitas est ignota: iussus sum hanc infantulam
accipere;“ atque eam hic sermone abrupto, quasi crudele ministerium
silentio exprimens subicuit. -Suspecta uiri fama, suspecta facies, suspecta
hora, suspecta erat oratio, quibus etsi clare occisum iri dulcem filiam intel-
ligeret, nec lacrymulam tamen ullam nec suspirium, dedit, in nutrice quidem,
nedum in matre durissimum. Sed tranquilla fronte puellulam accipiens,
Griselidis in der französischen Literatur. | | 139
aliquantulum respexit, et simul exosculans, benedixit, ac signum sanctae
erucis impressit, prorexitque satelliti: „vade, ait, quodque tibi Dominus
noster iniunxit exequere. Unum quaeso, cura ne corpusculum hoc ferae
lacerent, aut uolucres, ita tamen, nisi tibi contrarium sit praeceptum.“
Reuersus ad Dominum, cum quid dietum, quidue responsum esset exposuis-
set, et ei filiam obtulisset, uehementer paterna animum pietas mouit;suscep-
tum tamenrigorem propositi non inflexit, iussitque aatellitiobuolutam pannis,
<istae iniectam, ac jiumento impositam, quiete omni quanta posset diligentia
Bononiam deierret, ad sororem suam, quae illic Comiti de panico nupta
erat, eamque sibi traderet alendam materno studio, et caris moribus
instruendam, tanta praeterea occultandam cura, ut cuius filia esset, a
nemine posset agnosci- Fuit ille illico, et sollicite quod impositum ei
erat impleuit. Gualtherus interea, saepe uultum coniugis ac uerba con-
siderans, nullum unguam mutati animi perpendit indicium, par alacritas
atque sedulitas, solitum obsequium, idem amor, nulla Iristitia, nulla filiae
mentio, nunquam siue ex proposito siue incidenter nomen eius ex ore
matris auditum. Transiuerant hoc in statu anni quatuor, dum ecce grauida
iterum filium elegantissimum peperit, laetitiam patris ingentem atque
omnium amicorum. Quo nutrici ab urbe post biennium subducto, ad
curiositatem solitam reuersus pater, uxorem rursus affatur: „et olim, ait,
audisti populum meum aegre nostrum ferre connubium, praesertim ex
qup te foecundam cognouere. Nunquam tamen egregius, quam ex quo
marem peperisti, dicunt enim et saepe ad aures meas murmur hoc
peruenit, obeunte igitur altero, Janiculo nepos nostri dominabitur, et tam
nobilis patria tali domino subiacebit. Multa quotidie in hanc sententiam
iactantur in popnlis; quibus ego et quietis auidus, et ut uerum fatear
mihi metuens permoueor, ut de hoc 'infante disponam, quod de sorore
disposui. Id tibi praenuncio ne te inopinus et subitus dolor turbet.“
Ad haec illa: „dixi, ait, et repeto, nihil possum seu uelle, seu nolle nisi
quae tu, neque uero in eijs filijs quicquam habeo praeter laborem; tu
mei, et ipsorum dominus, tuis in rebus uire tuo utere nec consensum
meum quaeras, in ipso enim tnae domus introitu ut pannos, sic et uolun-
tates affectusque meos exui; tuis indui, quaeunque ergo de re quicquid
tu uis, ego etiam uolo: nempe quae si futurae tuae uoluntatis essem
praescia, ante etiam quicquid id esset, et uelle, et cupere. inciperem,
quam tu uelles; nunc animum tuum, quem praeuenire non possum, libens
sequor: fac sententiam tibi placere quod moriar, uolens moriar, nec res
ulla denique nec mors ipsa nostro fuerit par amori.“ Admirans foeminae
constantiam, turbato multu abijt, confestimque satellitem olim missum ad
eam remisit, qui multum excusafa necessitate parendi, multumque petita
uenia, siquid ei molestum aut fecisset aut faceret, quasi immane scelus
acturus poposcit iniantem. Illa eodem quo semper: uultu, qualicunque
animo filium forma corporis atque indole non matri tantum sed cunctis
amabilem in manus cepit, signansque eum signo crucis, et benedicens
ut fiiam fecerat, et diuticule oculis inhaerens, atque deosculans, nullo
penitus signo doloris edito, petenti obtulit. „Et tene, inquit, fac quid
jussus es, unum nunc etiam precor, ut si fieri potest, hos .artus teneros
infantis egregij protegas a uexatione uolucrum ac ferarum.“ Cum ijs
140 Richard Schuster.
mandatis reuersus ad Dominum, animum eius magis in stuporem egit,
ut nisi eam nosset amantissimam filiorum, paulominus suspicari posset,
hoc femineum robur quadam ab animi feritate procedere, sed cum
suorum omnium ualde, nullus erat amantior quam uiri. Jussus inde
Bonomiam proficisci, et illum tulit, quo sororem tulerat. Poterant rigi-
dissimo coniugi haec beneolentiae et fidei coniugalis experimenta suf-
ficere: sed sunt, qui ubi semel inceperint non desinant, imo incumbant,
haereantque proposito. Defixis ergo in uxorem oculis, an ulla eius
mutatio erga se fieret contemplabatur assidue, nec ullam penitus inuenire
poterat, nisi quod fidelior illi indies atque obsequentior fiebat, sic ut
duorum non: nisi unus animus uideretur, isque non communis amborum,
sed uiri duntaxat unius, uxor enim per se nihil, uel uelle, ut dictum est,
nihil nolle firmauerat. : Coeperat sensim de Gualthero decolor fama creb-
rescere, quod uidelicet effera et inhumana duritie, humilis panitentia ac
pudore coniugii filios iussisset interfici, nam neque pueri comparebant,
neque ubinam gentium essent ullus audierat; quo se ille uir alioquin
clarus et suis carus multis infamem odiosumque reddiderat. Neque ideo
trux animus flectebatur, sed in suspecta severitate experiendique sua
dura illa libidine procedebat. Itaque cum iam ab ortu filiae duodecimus-
annus elapsus esset, nuncius Romam misit, qui simulatas inde literas
apostolicas referrent. Quibus in populo uulgaretur, datam sibi licentiam
a Romano Pontifice, ut pro sua et suarum gentium quiete, primo matri-
monio rejecto, aliam ducere posset uxorem: nec operosum sane fuit.
alpestribus rudibusque animis quidlibet persuadere. Quae fama cum ad
Griseldis notitiam peruenisset, tristis ut puto, sed ut quae semel de se
suisque de sortibus statuisset, inconcussa constitit, expectans quid de se
ille decerneret, cui se et sua cuncta subiecerat. Miserat iam ille Bono-
niam cognatum que rogauerat, ut ad se filios suos adduceret, fama undique
diffusa uirginem illam sibi in coniugium adduci. Quod ille.fideliter exe-
cuturus, puellam iam nubilem, excellentem forma praeclaroque conspi-
cuam ornatu, germanumque suum simul annum iam septimum agentem
ducens cum eximia nobilium comitiua, statuto die iter arripuit. Haec
inter Gualtherus solito, ut uxorem retentaret, in genio, doloris ac pudoris
ad cumulum, in publicum adductae .coram multis, „Satis, inquit, tuo
coniugio delectabar, mores tuos non origine respiciens: nunc quoniam,
ut video, magna omnis fortuna seruitus magna est, non mibhi licet, quod
cuilibet liceret agricolae. Cogunt mei, et Papa consentit, uxorem me
alteram habere, iamque uxor in via est statimque aderit. Esto igitur
forti animo, dansque locum alteri, et dotem tuam referens, in antiquam.
domum aequa mente reuertere. Nulla homini perpetua sors est.“ Contra
illa, „Ego, inquit, mi domine, semper sciui, inter magnitudinem tuam et
humilitatem meam nullam esse proportionem, meque nunquam ftuo, non
dicam coniugio, sed servitio dignam duxi, inque hac domo, in qua tu
me dominam fecisti, Deum testor, animo semper ancilla permansi. De
hoc igitur tempore, quo tecum multo cum .honore longe. supra omne
meritum meum fui, Deo et tibi gratias ago; de reliquo, parata sum bono
pacatoque animo paternam domum repetere, 'atque ubi pueritiam egi,
senectutem agere et mori, felix semper atque honorabilis uidua quae
Griselidis in der französischen Literatur. 141
uiris talis uxor fuerim. Nouae coniugi uolens cado, quae tibi utinam
felix adueniat, atque hinc ubi iucundissime degebam quando ita tibi
placitum est, non inuita discedam: at quid iubes dotem meam mecum
ut auferam, quale sit uideo, neque enim excedit, ut paternae olim domus
in limine spoliata meis, tuis induta uestibus ad te ueni, neque omnino
alia mihi dos fuit, quam fides et nuditas. Ecce igitur ut hanc uestem
exuo, anulumque restituo, quo me subarasti, reliqui anuli et uestes et
ornamenta quibus de donante ad inuidiam aucta eram, in thalamo tuo
sunt: nuda e domo patris egressa, nuda itidem reuertar, nisi quod indig-
num reor, ut hic uterus, in quo filij fuerunt quos tu genuisti, populo
nudus appareat. Quam ob rem si tibi placet, et non aliter, oro atque
obsecro, ut in precium uirginitatis, quam huc attuli, gquamque non refero,
unicam mihi camisiam linqui iubeas earum quibus tecum uti soleo, qua
uentrem tuae quondam uxoris operiam.*“ Abundabant uiro lachrymae,
ut contineri amplius iam non posset, itaque faciem auertens, et „cami-
siam tibi unicam habeto“, uerbis trementibus uix expressit. Et sic abijt
illachrymans; illa coram cunctis sese exuens, solam sibi retinuit camisiam,
qua contecta, nudo capite, pedibusque nudis, coram cunctis egreditur.
atque ita prosequentibus multis ac flentibus fortunamque culpantibus,
siccis una oculis, et honesto ueneranda silentio, ad paternam domum
remeauit. Senex qui has filiae nuptias semper suspectas habuerat, neque
unquam tantem spem mente ceperat, semperque hoc euenturum cogi-
tauerat, ut satietate sponsae tam humilie exorta, domo illam quandoque
uir tantus et more nobilium superbus abijceret, tunicam eius hispidam,
et attridam senio, abditam paruae domus in parte seruauerat. Audito ergo
non tam filiae tacitae redeuntis quam comitum strepitu occurrit in limine,
et seminudam antiqua ueste cooperuit. Mansit illa cum patre paucos dies,
aequanimitate atque humanitate mirabili, ita ut nullum in ea signum animi
tristioris, nullum vestigium fortunae prosperioris extaret, quippe cum in
medijs opibus inops semper spiritu vixisset atque humilis. Jam Panicius
comes propinquabat, et de nouis nuptijs fama undique frequens erat,
praemissoque uno ex suis, diem quo Salutias peruenturus esset acceperat.
Pridie igitur Gualtherus ad se Griseldam euocans, deuotissime uenienti:
„Cupio, ait, ut puella cras huc ad prandium uentura magnifice excipiatur,
uirique et matronae qui secum sunt, simulque et nostri, qui conuiuio
intererunt, ita ut locorum, verborumque honor integer, singulis pro dig-
nitate servetur; domi tamen feminas ad hoc opus idoneas non habeo,
proinde tu, quamius ueste inopi, hanc tibi quae mores meos nosti, optime
suscipiendorum locandorumque hospitum curam sumes.* „Non libenter
modo, inquit illa, sed cupide, et haec et quaecunque tibi placita sensero
faciam semper, neque in hoc unquam fatigabor, aut lentescam dum spiritus
huius reliquiae uelle supererunt;* et cum dicto, seruilia mox instrumenta
corripiens, domum uerrere, mensas instruere, lectos sternere, hortarique
alias caperat, ancillae in modum fidelissimae. Proximae lucis hora
tertia, Comes superuenerat, certatimque omnes et puellae et germani
infantis mores ac pulchritudinem mirabantur. Erantque qui dicerent
prudenter Gualtherum ac fcliciter permutasse, quod et sponsa haec tene- -
rior esset, et nobilior, et cognatus tam speciosus accedered. Sic feruente
142 Richard Schuster.
conuiuij apparatu, ubique praesens omniumque sollicita Griseldis, nec
tanto casu deiecto animo nec obsoletae uestis pudore confusa. sed sereno
uultu intranti obvia puellae, flexo poplite seruilem in modum, uultuque
demisso reuerenter atque humiliter, „Bene uenerit domina mea,“ inquit.
Dehinc caeteros dum conuivas laeta facie et uerborum mira suauitate
susciperet, et immensam domum multa arte disponeret, ita ut omnes et
praesertim aduenae unde ea maiestas morum atque ea prudentia sub
tali habitu, uehementissime mirarentur, atque ipsa in primis puellae
pariter atque infantis laudibus satiari nullo modo posset, sed uicissim
modo virgineam, modo infantilem elegantiam praedicaret. Gualtherus
eo ipso in tempore, quo assidendum mensis erat, in eam uersus, clara
uoce coram omnibus, quasi illudens, „Quid tibi uidetur, inquit, Griselidis
de hac mea sponsa? Satis pulchra atque honesta est?* „Plane, ait
illa, nec pulchrior ulla nec honestior inveniri potest, aut cum nulla un-
quam, aut cum hac tranquillam agere poteris, ac felicem uitam; utque ita
sit cupio, et spero: unum bona fide te precor ac moneo, ne hanc illis aculeis
agites, quibus alteram agitasti. Nam quod et iunior et delicatius enutrita
est, pati quantum ego auguror non ualeret.* Talia dicentis alacritatem.
intuens, atque constantiam totiens tamque acriter offensae mulieris exami-
nans, et indignam sortem non sic meritae miseratus, ac ferre diutius non
ualens, „Satis, inquit, mea Griseldis, cogitata et spectata mihi fides est tua,
nec sub ca&lo aliquem esse puto, qui tanta coniugalis amoris experimenta
perceperit.“ Simul haec dicens, caram coniugem laeto stupore perfusam et
uelut e somno turbido experrectam, cupidis ulnis amplectitur, „et tu, ait, sola
uxor mea es, aliam nec habui, nec habebeo; istam autem quam tu sponsam
meam reris, Silia tua est: hic qui cognatus meus credebatur, tuus est filius;
quae diuisim perdita uidebantur, simul omnia recepisti. Sciant qui contra-
rium credidere me curiosum atque experientem esse, non impium, probasse
coniugem, non damnasse, occultasse filios, non mactasse.“ Haec illa audiens
pene gaudio exanimis et pietate amens iucundissimisque cum lacrymis,
suorum pignorum in amplexus ruit, fatigatque osculis, pioque gemitu made-
facit;raptimque, plaususque laetisimus et fausta omnium uerba circumsonant,
multoque cum gaudio et fletu ille dies celeberrimus fuit, celebrior quoque
quam dies fuerat nuptiarum. Multosque post per annos ingenti pace concor-
diaque uixere, et Gualtherus inopem socerum, quem hactenus neglexisse
uisus erat, ne quando conceptae animo obstaret experientiae, suam in domum
translatum in honore habuit, filiam suam magnificis atque honestis nuptijs col-
locauit filiumque sui domini successorem liquit, et coniugio laetus.et sobole.
Hanc historiam stylo nunc alio retexere uisum fuit, non tam ideo, ut
matronasnostritemporisad imitandam huius uxoris patientiam, quaemihi uix
imitabilis uidetur, quam ut legentes ad imitandam saltem faminae constan-
tiam excitarem, ut quod haec uiro suo praestitit, hoc praestare Deo nostro
audeant, qui licet (ut Jacobus ait Apostolus) intentator sit malorum, et ipse
neminemtentet. Probat tamen etsaepe nos, multis ac grauibus flagellis, exer-
ceri sinit,non ut animum nostrum sciat, quem scivit antequam crearemur, sed
ut nobis nostra fragilitas notis ac domesticis indicijs innotescat; abunde ergo
constantibus uiris asscripserim, quisquis is fuerit, qui pro Deo. suo sine
murmure patiatur, quod pro suo mortali coniuge rusticana haec muliercula
passa est. | '
Griselidis in der französischen Literatur. 143
Bibliographie.
Ausgaben.
Boccaccio: Decameron volume quarto, Milano 1803.
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Allgemeine Literatur.
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Cat. Mend2£s: Rapport sur le mouvement poetique frangais. Paris 1900.
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L. Quicherat: Trait€e de versification francaise. Paris 1850.
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Weitere Literaturangaben siehe in und unter dem Fext.
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Druck der Ulmer Zeitung A.-G.
rn 8.6854 c.1
selidis in der franzsischen Lite
111 TI
087 568
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